Die Rückeroberung

Bilanz nach fünf Jahren : Ein LW-Gespräch mit Kammerpräsident Lucien Weiler

VON LAURENT ZEIMET

Fünf Jahre stand Lucien Weiler an der Spitze des Parlaments. Zu Beginn seiner Amtszeit kündigte der CSV-Politiker an, nicht nur die präsidiale Glocke bedienen zu wollen. Am 7. Juni stellt sich Lucien Weiler im Norden wieder dem Wählervotum.

Luxemburger Wort: Herr Weiler, drei Jugendkandidaten kennen den Namen des Parlamentspräsidenten nicht. Ein Mangel an politischer Bildung oder liegt es an einer schlechten Öffentlichkeitsarbeit des Hohen Hauses?

L. Weiler: Schwer zu sagen. Ich bezweifele, dass wir nicht genügend Öffentlichkeitsarbeit geleistet haben. Im Gegenteil, wir haben uns wesentlich verbessert. Das „Chamberbliedchen“ wurde aufgefrischt und mit der Live-Übertragung der Plenarsitzungen sowie der Hintergrundsendung „Chamber Aktuell“ wurde das Angebot wesentlich erweitert. Wissen Sie, ich bedauere allerdings, dass die Arbeit der Abgeordneten in den Kommissionen nicht wirklich wahrgenommen wird. Die Bürger sehen nur die Schlussdebatte, das vermittelt aber ein verfälschtes Bild der parlamentarischen Arbeit. Bisher ist uns noch kein geeignetes Mittel eingefallen, um dies zu ändern. Die Ausschüsse tagen ja aus gutem Grund nicht öffentlich. Dort wird fraktionsübergreifend nach einer Lösung gesucht und um Kompromisse gerungen. Diese Diskussionen sollten daher vertraulich bleiben. Ansonsten bestünde das Risiko, dass die Kommissionssitzungen zur Selbstdarstellung missbraucht werden.

Luxemburger Wort: Hand aufs Herz Herr Präsident. Das Parlament verabschiedet kurz vor den Wahlen noch 30 Gesetze. Kann man da noch von seriöser parlamentarischer Arbeit sprechen?

L. Weiler: Ich gebe zu, das gibt kein gutes Bild der Abgeordnetenkammer ab. Aber unter diesen Entwürfen befanden sich eine ganze Reihe von EU-Richtlinien und internationalen Abkommen, bei denen der Einfluss der Parlamentarier ohnehin gering ist. Diese Textvorlagen werden in anderen Parlamenten bloß noch aufgerufen, aber nicht mehr debattiert. Andere Entwürfe wurden in den letzten zwei Jahren intensiv vorbereitet und kamen eben erst jetzt zum Abschluss. Wir haben eigentlich ein ganz normales Ende einer Legislaturperiode erlebt. Mal abgesehen von dem dringlichen Antikrisenpaket der Regierung.

Luxemburger Wort: Premier Jean-Claude Juncker meinte am Ende der Debatte zur Lage der Nation, vor Wahlen solle man auf diese Tradition verzichten. Sie gaben zu verstehen, dass das Parlament das ähnlich sieht. Aber was ist eigentlich verkehrt daran, am Ende einer Legislaturperiode Bilanz zu ziehen?

L. Weiler: Wir befinden uns doch in einer Zwitter-Lage. Was soll eine Regierung kurz vor Ende einer Legislatur denn noch ankündigen, wenn einige Wochen darauf eine neue Regierung in Amt und Würden sein wird. Was zählt, ist doch die Regierungserklärung der neuen Mannschaft. Daher macht es in der Tat wenig Sinn, kurz vor den Wahlen eine Debatte über die Lage der Nation zu führen. Die Bilanz der Regierungsarbeit soll im Wahlkampf gezogen werden. Die Bewertung nimmt der Wähler vor. Dazu braucht es keiner zusätzlichen Debatte im Parlament.

Luxemburger Wort: Während der diesjährigen Erklärung zur Lage der Nation kam es zu einem Zwischenfall mit Greenpeace-Aktivisten. Werden die Sicherheitsvorkehrungen nun verschärft?

L. Weiler: Wir verfallen bei solchen Zwischenfällen nicht in Panik, sondern bewahren unsere Ruhe. Protestaktionen oder Demonstrationen kommen regelmäßig vor. Wir waren bisher ziemlich tolerant und haben darauf verzichtet, massiv die Polizei aufmarschieren zu lassen. Allerdings war der Greenpeace-Auftritt im Plenum schon ziemlich dreist. Das können wir nicht hinnehmen. Die Sicherheitsvorkehrungen wurden nicht verschärft, aber wir haben veranlasst, dass alle bestehenden Sicherheitsvorkehrungen streng eingehalten werden und ohne Ausnahme gelten. Also auch für Minister und Abgeordnete.

Luxemburger Wort: Sie sind nicht immer sehr streng mit Ihren Kollegen. Der Premier beschwerte sich über das laute „Geklimpere“ auf den Tastaturen während seiner Rede.

L. Weiler: Ach wissen Sie, manchen bin ich zu pingelig, anderen nicht streng genug. Ich versuche, einen goldenen Mittelweg zu finden. Ich will den Humor aber nicht ganz im Keim ersticken.

Luxemburger Wort: Manchmal lässt die Aufmerksamkeit der Abgeordneten aber zu wünschen übrig.

L. Weiler: Das will ich nicht kommentieren.

Luxemburger Wort: „Ich will nicht nur die Glocke bedienen“, meinten Sie bei Amtsantritt. Sie wollten Themen anregen. Ist Ihnen das gelungen?

L. Weiler: Ich muss eingestehen, dieses Vorhaben hat sich als delikater herausgestellt, als ich gedacht hatte. Manche meinten, das sei mit der Neutralität des Kammerpräsidenten nicht vereinbar. Es ist schon richtig, dass der Präsident sich nicht in die Tagespolitik und den Parteienstreit einmischen soll. Aber bei Fragen, die über das Tagesgeschäft hinausgehen, muss er seine Meinung sagen können. Ich habe zum Beispiel auf die unzureichende finanzielle Absicherung von geschiedenen Frauen aufmerksam gemacht und mich für eine stärkere Wahrnehmung der Kinderrechte eingesetzt. Ich glaube, solche Beiträge des Kammerpräsidenten werden jetzt von den Kollegen eher akzeptiert. Der nächste Präsident der Abgeordnetenkammer kann von dieser Rückeroberung bei Bedarf Gebrauch machen.

Luxemburger Wort: Sie hatten sich auch für eine zeitliche Trennung der Landes- und Europawahlen ausgesprochen …

L. Weiler: Stimmt. Aber ich muss sagen, dass ich mit der jetzigen Regelung hoch zufrieden bin. Alle großen Parteien treten mit getrennten Listen an. Wichtig ist, dass der Wähler nicht mehr für dumm verkauft wird.

Luxemburger Wort: Hat Sie etwas am Amt des Kammerpräsidenten überrascht?

L. Weiler: Ja. Man begegnet in diesem Amt sehr vielen Menschen, die sich ehrenamtlich für ihre Mitmenschen engagieren. Wir sind keine Gesellschaft von Egoisten. Dass die Bereitschaft zu helfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, noch so verbreitet ist, hat mich wirklich überrascht.

Luxemburger Wort: Würden Sie das Amt noch einmal ausüben?

L. Weiler: Die letzten Jahre haben mir Spass gemacht. Dieses Amt wird einem aber angetragen. Man kandidiert nicht dafür.

Luxemburger Wort: Was sollen die neuen Abgeordneten mitbringen?

L. Weiler: Begeisterung und Geduld. Man muss sich die Zeit nehmen, das Parlament und seine Funktionsweise kennenzulernen.

Luxemburger Wort:: Sie haben sich bei Ihrer Abschiedsrede einen besonnenen Wahlkampf gewünscht. Wird dieser Wunsch in Erfüllung gehen?

L. Weiler: Ich hoffe doch sehr. Der Ernst der Lage gebietet das. Die politische Klasse muss den Wählern unter Beweis stellen, dass das Wohl des Landes wichtiger ist als die eigene Profilierung.

Quelle: Luxemburger Wort, vom 16. Mai 2009