Krisenzeiten und die mit ihnen einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen bergen erhebliches Spannungspotenzial. Das gilt für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft, es gilt allerdings auch für die Beziehungen zwischen Staaten. Die Spannungen in der Europäischen Union sind mittlerweile deutlich spürbar. Dabei scheint es, als ob vor allem verschiedene große Staaten einzelnen Kleinen am Rock flicken wollten. Doch so einfach ist es nicht. Frank Engel, Europakandidat, im CSV Profil
Krisenzeiten und die mit ihnen einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen bergen erhebliches Spannungspotenzial. Das gilt für den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft, es gilt allerdings auch für die Beziehungen zwischen Staaten. Die Spannungen in der Europäischen Union sind mittlerweile deutlich spürbar. Dabei scheint es, als ob vor allem verschiedene große Staaten einzelnen Kleinen am Rock flicken wollten. Doch so einfach ist es nicht.
Koalitionen der Willigen
Wir haben uns lange eingeredet, Europa und seine Union seien eine faktische Solidargemeinschaft. Nun stellen wir fest, dass die Union auf dramatische Weise an Handlungsfähigkeit und -willen einbüßt. In einer Zeit, in der jeder mehr und mehr an sich denkt, bevor europäische Reflexe – so weit sie denn vorhanden sind – sich überhaupt manifestieren können, kommt es eben zu „Koalitionen der Willigen“ außerhalb der offiziellen Strukturen. Wir haben das alles bereits erlebt.
Warum traf sich der Präsident der Vereinigten Staaten mit den Premierministern Großbritanniens und Spaniens auf den Azoren, um gegen die Beschlusslage in der UNO doch noch einen Krieg gegen Irak zu beschließen? Warum unterschrieben heutige EU-Mitglieder entgegen geltendem Völkerrecht Abkommen mit den USA, die besagen, dass Angehörige der US-Streitkräfte von ihnen nicht an internationale Strafinstanzen ausgeliefert werden? Wieso braucht Deutschland Unterstützung in seinen Bemühungen um einen ständigen Sitz im Weltsicherheitsrat, wenn die europäische Linie besagt, dass die Union als solche dort einige ihrer Mitgliedsländer ersetzen soll? Warum forderte Nicolas Sarkozy am Ende der französischen EU-Ratspräsidentschaft, diese sollte verlängert werden, weil man den Tschechen in diesen Zeiten doch nun wirklich nicht die Führung der Union anvertrauen könne? All diese Bewegungen entsprechen dem gleichen politischen Archetyp: Man bedient seine eigenen Interessen zuerst. Wenn diese den übergeordneten Interessen des internationalen Rechts und der europäischen Solidarität zuwiderlaufen – naja, da kann man nichts machen.
Unglaubwürdige Union?
Die Europäische Union wird in der gegenwärtigen Krise zusehends unglaubwürdiger. Sie ist dabei, der allgemeinen Tendenz in Richtung beliebiger Punktkoalitionen zum Opfer zu fallen. Man soll von keinem überzeugten Europäer hierzulande verlangen, dass er Sarkozy und Merkel noch ernst nimmt. Es gab eine Zeit, in der auch große Staaten von Europäern geführt wurden. Diese Zeiten sind vorbei. Für viele von deren aktuellen Chefs ist Europa nur mehr ein Projektionsforum ihrer nationalen Ambitionen, ihres globalen Drangs zu Größe und Anerkennung. Wenn zur Befriedigung dieses Drangs dann eben faktische Entscheidungsforen auf „ad hoc“ Basis erfunden werden müssen, umso besser.
Unter diesen Umständen werden die kleineren Europäer irgendwann zurückschlagen wollen. Das würden sie aufgrund geltenden Rechts innerhalb der europäischen Ordnung tun – mit der Konsequenz, dass das Risiko der völligen Blockade der europäischen Institutionen in beängstigender Weise steigt. Sie haben eigentlich keine andere Wahl, als mit der Androhung einer Verschlimmerung der aktuellen europäischen Konfusion zu versuchen, die EU-Räson wieder herzustellen. Im besten Fall kann dies dazu führen, dass überflüssige G4- und G20-Foren wieder verschwinden, und die EU sich dazu aufrafft, wieder zu handeln.
Im schlimmsten Fall verkommt die Union zur Hülse, und faktisch lautet die Maxime: Jeder für sich, alle gegen alle. Möge der bessere gewinnen …
Frank Engel, CSV Profil, 21. März 2009