Es gibt nicht viele Menschen in Luxemburg, die auf ein halbes Jahrhundert Politik zurückblicken können. Jean Spautz ist dieses Kunststück gelungen. Am 1. Februar 1959 trat er sein Amt im Parlament an, als damals jüngster Abgeordneter für den Südbezirk. Der allseits beliebte und geachtete CSV-Politiker blickt aber auch auf eine lange und spannende Karriere als Gewerkschafter zurück. Seit 60 Jahren ist Jean Spautz Mitglied des LCGB, 13 Jahre lang war er Präsident des christlichen Gewerkschaftsbundes. Ein Gespräch mit einem Mann, der wie kaum ein anderer, die politische und soziale Geschichte des Landes in den vergangenen Jahrzehnten geprägt hat. (Soziale Fortschrëtt)
Jean Spautz, was hat Sie dazu bewegt sich politisch und gewerkschaftlich zu engagieren?
Der Zweite Weltkrieg war ausschlaggebend für mein Engagement. Die Gräueltaten die damals passiert sind haben mich zutiefst schockiert. Schon als Jugendlicher hat man ein Gespür, ein Instinkt für Ungerechtigkeiten, die den Menschen angetan werden. Und diese Ungerechtigkeiten verschwinden nicht von selbst. Deshalb habe ich mich schon sehr früh engagiert, weil dies für mich der einzige Weg ist, die Dinge zu verändern.
Wie sah dieses Engagement konkret aus?
Mit 15 Jahren wurde ich Mitglied der christlichen Arbeiterjugend JOC, deren Präsident ich von 1954 bis 1959 war, mit 19 Jahren trat ich dem LCGB bei. An der JOC hat mir ihr Einsatz für die Klassenzusammengehörigkeit und auch ihr europäischer Geist gefallen. Ich war immer gegen den marxistischen Klassenkampf und habe mich stattdessen, so wie die christliche Sozialdoktrin es fordert, für den sozialen und wirtschaftlichen Dialog eingesetzt.
Sie haben fast 20 Jahre lang als Stahlarbeiter im Walzwerk 7 der Arbed-Belval gearbeitet, wo die Kommunisten das Sagen hatten.
Das stimmt. Belval war eine Hochburg der Kommunisten, der LCGB war nur sehr schwach vertreten. Das hat mich aber nicht entmutigt. Meine Devise lautete: nicht nur schöne Sonntagsreden halten, jetzt geht es in erster Linie darum eine starke Sektion aufzubauen. Und das ist uns auch gelungen. Bei den Ausschusswahlen im Jahre 1967 hatten wir vom LCGB mehr Sitze als der sozialistische LAV. Den Arbeitern auf Belval hat es gefallen, dass es Alternativen zu den Sozialisten und Kommunisten gab.
In den 50er Jahren wurde dann aber auch der Grundstein für ihre politische Karriere gelegt.
Ende der 50er Jahre gab es Streikaktionen auf der „Schmelz“. Ich muss allerdings hinzufügen, dass der Streik von den Kommunisten angezettelt wurde, der LCGB suchte zuerst den Weg an den Verhandlungstisch ehe es zu einer Arbeitsniederlegung komme soll. Diese Aktionen waren im ganzen Land in aller Munde. Parallel ging die Regierung im Dezember 1958 in die Brüche, deshalb wurden Neuwahlen anberaumt.
Pierre Grégoire, der Generalsekretär der CSV hat damals auf der „Schmelz“ angerufen, um mich zu fragen, ob ich als Kandidat mit in die vorgezogenen Wahlen gehen würde. Für ihn war es wichtig, dass in einer Volkspartei wie der CSV auch ein Arbeiter auf der Liste wäre.
Hat Sie dieser Anruf überrascht?
Das kann man wohl sagen. Ich habe Pierre Grégoire zu verstehen gegeben, dass mir alles ein bisschen zu schnell gehen würde. Meine Freunde von der JOC haben mir aber geraten mit in die Wahlen zu gehen. Es wäre nämlich wichtig, dass auch die Arbeiter im Parlament vertreten seien. Dann hat Pierre Grégoire noch einmal angerufen weil jeder Kandidat mit einem Spruch in die Wahlen gehen sollte. Nach kurzem Überlegen fiel mir spontan ein:“ Den Alten den Rat, den Jungen die Tat“.
Wurde zu Hause über Politik geredet?
Ja, weil meine Eltern eine Ader für Politik hatten. Diskutiert wurde vor allem über die Sorgen und Probleme der einfachen Leute. Mein Vater war auch Militant im LCGB, er war aber kein großer Redner. Dieses Talent habe ich eher von meiner Mutter geerbt. Sie hat mir immer den guten Rat mit auf den Weg gegeben, das Beste aus jeder Situation zu machen.
1959 wurden sie ein erstes Mal in die Abgeordnetenkammer gewählt, 1967 dann wurden sie LCGB-Präsident, ein Mandat das Sie bis 1980 innehatten. War die Doppelfunktion Präsident und Volksvertreter nie ein Problem, eine Belastung?
Nein, das ist zweierlei. Eine Gewerkschaft ist zunächst dazu da sich der in den Betrieben stellenden Probleme anzunehmen. Darüber hinaus besteht ihre Aufgabe darin, Druck auf die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft auszuüben um gesellschaftspolitisch arbeitnehmerfreundliche Lösungen anzustreben. Alles in allem kann man sagen, dass die Politik für einen Gewerkschafter die Fortführung der gewerkschaftlichen Tätigkeit auf anderer Ebene ist.
Während 50 Jahren erneuerten die Wähler Ihnen immer wieder das Vertrauen. Wie erklären Sie sich Ihre Beliebtheit bei den Menschen?
Ohne mich hier zu loben, will ich aber klar und deutlich sagen, dass ich nie meine Visitenkarte verloren habe. Ich habe nie vergessen, wem ich alles zu verdanken habe. Ich war nie der „Här Minister“ oder der „Chamberpresident“, jeder Mensch kannte mich als „Spautze Jang“, der sich seine ersten Sporen als Hüttenarbeiter bei Arbed Belval verdient hatte. Ich habe nie gekünstelte Reden gehalten oder den Leuten etwas vorgegaukelt.
Was waren denn die wichtigsten und größten Momente in Ihrer ereignisreichen Karriere?
Ohne Zweifel gehört dazu eine ganze Reihe von Gesetzen im Bereich der sozialen Sicherheit, unter ihnen der Solidaritätsfonds als Vorreiter des Mindesteinkommens und mehrere Rentenreformen.
Ein anderer wichtiger Moment in meiner Karriere war ohne Zweifel das Überwinden der Stahlkrise. Durch die Solidarität des ganzen Luxemburger Volkes, welches über eine Reihe von Massnahmen über 50 Milliarden Franken aufbrachte konnte die Stahlindustrie vor dem Ruin gerettet werden.
Dann als Minister für Wohnungsbau war es eine große Genugtuung neue Wege im sozialen Wohnungsbau zu beschreiten.
Eine lange politische und gewerkschaftliche Karriere neigt sich ihrem Ende zu. Sie gehen nicht mehr mit in die Wahlen für das Europaparlament. Welches Gefühl überwiegt: Sind Sie froh, dass Sie es hinter sich haben, oder traurig, dass es vorbei ist?
Ich kann sagen, dass ich sehr zufrieden bin mit meiner Karriere. Mein Ziel war immer Abgeordneter zu werden. Ich habe in meinem kühnsten Träumen aber nie daran gedacht, Minister oder Präsident der Abgeordnetenkammer zu werden. Eine grosse Genugtuung war es daher für mich, dass ich vom damaligen Staatsminister Pierre Werner als Nachfolger von Jean Wolter zum Minister für Inneres, Familie und sozialen Wohnungsbau ernannt wurde. Somit konnte ich den Beweis erbringen, dass ein Arbeiter nicht nur Sozialpolitik sondern auch andere Themen beherrscht.
Ich möchte hinzufügen, dass ich ohne die Hilfe meiner Frau solche Ziele nie hätte erreichen können. Meine Frau war immer verständnisvoll, nie hat sie mich zu etwas gedrängt.
Nach 50 Jahren in der Politik neigt Ihr Weg sich seinem Ende zu. Der Name Spautz bleibt der Politik aber erhalten. Welche Tipps haben Sie Ihrem Sohn Marc mit auf den Weg gegeben?
Er soll ruhig machen wie der „Jang“, allerdings muss er seinen eigenen Weg gehen. Schließlich habe ich meine Meinung, und er seine eigene. Mein guter Rat an Ihn war immer folgender: Immer auf dem Teppich bleiben, und den Menschen nichts versprechen, was Du nicht halten kannst!
Quelle: Soziale Fortschrëtt, Februar 2009