Im Rahmen seiner letzten Afrika-Reise skizzierte Kooperationsminister Jean-Louis Schiltz vor den Professoren und den Studenten der Cheikh-Anta-Diop-Universität in Dakar die Grundlagen der künftigen Entwicklungspolitik. Sein Referat, das in der afrikanischen Presse große Beachtung fand, beschäftigte sich mit dem Verhältnis zwischen Nord und Süd.
In einem ersten Kapitel ging Minister Schiltz auf die ökonomische Seite der Entwicklungszusammenarbeit ein. Ernüchternd stellte er fest, dass die internationale Gemeinschaft die Millennium-Ziele kaum erreichen wird. Von dem Ziel, die schlimmste Armut bis 2015 um die Hälfte zu reduzieren, sei man noch weit entfernt. Deshalb reiche es auch nicht aus, die Hilfe lediglich effizienter zu gestalten oder die Regierungsführung in den betroffenen Ländern zu verbessern.
Schiltz erinnerte in seinen Ausführungen daran, dass die Europäische Union zwischen 55 und 60 Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe aufbringt. Lediglich vier Staaten bringen zur Zeit mehr als 0,7 Prozent ihres nationalen Einkommens für die Kooperation auf, sechs weitere werden das Ziel, das sich die EU 2005 gesetzt hatte, wahrscheinlich bis 2015 erreichen. Wenn die „internationale Solidarität“ keine bloße Floskel bleiben soll, darf die „Entwicklungshilfe nicht zur institutionalisierten Barmherzigkeit verkommen, Entwicklungshilfe muss vielmehr integraler Bestandteil der Politik sein,“ forderte Schiltz. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts dürfe es bei der Armutsbekämpfung keine Entschuldigung mehr geben: „Wir sind die erste Generation, die das Wissen und das Geld hat, und gleichzeitig die Lösungen zur Armutsbekämpfung kennt. Es hängt nun alles davon ab, ob wir den erforderlichen politischen Willen mobilisieren können, um dauerhaft etwa zu bewirken.“
Kredite nur in Ausnahmefällen
Was die Bereitstellung von Entwicklungsgeldern anbelangt, spricht sich Jean-Louis Schiltz klar gegen die Praktik der Kreditvergabe aus. Kredite führen laut Schiltz zu einer zunehmenden Verschuldung der Entwicklungsländer. Bei der Tilgung der Schulden komme es zudem zu Ungerechtigkeiten, weil Ländern, die aus eigener Kraft keine Chance mehr hatten, aus der Schuldenfalle herauszukommen, die Schulden am Ende meist erlassen werden. Die Staaten aber, die zumindest einen Teil der Gelder zurückbezahlen, seien folglich benachteiligt, denn die Gelder, die zur Tilgung der Kredite gebraucht werden, fehlen natürlich bei der Entwicklung des Landes. Problematisch sei zudem, dass angesichts der Zinsen die Schulden am Ende oft vier bis fünf Mal höher ausfallen, als die ursprünglichen Kredite. Kooperationsminister Schiltz vertritt die Meinung, dass Kredite nur in Ausnahmefällen gewährt werden sollen, etwa als Investitionsbeihilfen für Länder, die das Gröbste bereits überwunden haben. Auch wenn Schiltz grundsätzlich die Partnerschaft zwischen Afrika, China und Europa bei der Entwicklungshilfe befürwortet, so warnte er in Dakar dennoch davor, dass China bei seiner Kooperationspolitik allzu oft auf die Vergabe von Krediten setzt.
„Geld allein reicht nicht“, so Schiltz weiter. Wenn man dauerhaft etwas bewirken will, muss man nach Aussage des Ministers die einzelnen Politikfelder wie beispielsweise Agrarpolitik und die Einwanderungspolitik sorgfältig aufeinander abstimmen.
Im zweiten Teil seiner Rede befasste sich Minister Schiltz mit den Beziehungen zwischen Entwicklungshilfe und internationalem Handel. Der Handel kann dazu beitragen, den Teufelskreis der Abhängigkeit zu durchbrechen, so Schlitz. Voraussetzung ist allerdings, dass gewisse Regeln eingehalten werden. Zum einen können Handelsbeziehungen kein Ersatz für die Grundbedürfnisse der Entwicklungsländer sein. Bildung und Gesundheit beispielsweise bleiben auch weiterhin die Domäne der klassischen Entwicklungshilfe.
Man dürfe aber nicht so blauäugig sein zu glauben, dass man die Globalisierung ausklammern kann. Schiltz fordert deshalb, dass der Süden bei den Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation stärker eingebunden wird. Besonders große Hoffnungen setzt der Minister in die accords de partenariats économique (APE), die nach wie vor nicht umgesetzt wurden: „Die wirtschaftlichen Partnerschaftsabkommen müssten endlich Realität werden“, so Jean-Louis Schiltz mit Nachdruck.
Für einen asymmetrischen Handel
Beim Handel zwischen Nord und Süd müssen zum Schutz der Entwicklungsländer gewisse Regeln eingehalten werden. Schiltz spricht sich in dem Zusammenhang für einen „asymmetrischen Handel“ aus. Während die Entwicklungsländer unverzüglich Zugang zu den Märkten des Nordens bekommen müssten, sollten die Handelsströme in umgekehrter Richtung noch für 20 bis 30 Jahre kontrolliert fließen.
Jeder Kontinent müsse ferner das Recht haben, seine Landwirtschaft so zu gestalten, wie er dies für sinnvoll hält. „Das gilt für die Europäische Union, aber auch für Afrika“, unterstrich der Entwicklungshilfeminister mit Nachdruck. Die Gestaltung der Landwirtschaft ist sowohl eine Frage der Nahrungsmittelsicherheit als auch eine Frage der Nahrungsmittelsouveränität, so Schiltz weiter. Die Freiheit, seine Landwirtschaft nach eigenem Gutdünken auszurichten, kennt aber auch ihre Grenzen: Die Freiheit endet, wenn die eigene Agrarwirtschaft nämlich negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft der anderen hat: „Im Konkreten bedeutet dies, dass wir den Exporten von subventionierten europäischen Hähnchen ein Ende bereiten müssen, weil dadurch die Märkte in Afrika zusammenbrechen“, so Schiltz.
Vorteile für den afrikanischen Handel sieht der Minister zudem in einer stärkeren regionalen Integration sowie im Ausbau der Kapazitäten. Insgesamt muss der Norden Sorge tragen, dass der Süden optimal vom Handel profitieren kann, forderte Schiltz. Die positiven Effekte müssten möglichst schnell spürbar und die Wirkung müsste möglichst nachhaltig sein.
Das dritte Kapitel der Grundsatzrede war dem Thema Regierungsführung gewidmet. „Je besser die Regierungsführung, desto effizienter werden die Entwicklungsgelder genutzt“, so der Minister einleitend. Schiltz setzt in dem Kontext auf den politischen Dialog zwischen dem Norden und dem Süden. Allerdings müsste der Dialog auf gleicher Augenhöhe zwischen gleichberechtigten Partnern geführt werden. Um die Herausforderung zu meistern, bedarf es aber nicht nur gut gemeinter Worte sondern auch konkreter Taten, so der Minister. Eins zu eins dürfe man das europäische Verständnis von Staatsführung allerdings nicht auf die afrikanischen Länder umsetzen. Vielmehr gelte es, die vielfältigen Traditionen der einzelnen Länder zu berücksichtigen.
Der Süden habe zwar kaum etwas zum Klimawandel beigetragen, die Folgen treffen die Entwicklungsländer aber umso härter, so Schiltz in seinem vierten und letzten Kapitel. „Wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, wird es in den südlichen Ländern zu ungewohnt schweren Hungersnöten kommen, und die wiederum werden zu immer mehr Konflikten führen“, warnte der Minister. Schon jetzt sei die Nahrungsmittelproduktion in Afrika rückläufig. Allein sei der Süden nicht in der Lage, die Konsequenzen des Klimawandels zu bewältigen. „Die Welt braucht eine klimatische Gerechtigkeit, auch sie ist Teil der internationalen Solidarität.“
Quelle: Luxemburger Wort, 24. November 2008, Dani Schumacher