Luxemburg als europäisches Versuchslabor

Das Großherzogtum Luxemburg veranstaltet gemeinsam mit den sieben Partnerländern des Interreg IV B Nordwesteuropa-Programms am 22. und 23. September in Luxemburg ein internationales Kolloquium zu den Herausforderungen im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und den damit verwurzelten Problemen, wie der Migration und dem sogenannten „Brain drain“. Die Folgeerscheinung des demografischen Wandels sind Problemlagen, die nicht allein die Großregion, sondern ganz Europa betreffen. Innenminister Jean-Marie Halsdorf, verantwortlich in Luxemburg für die Umsetzung des Interreg IV B-Programms, steht im Vorfeld der Veranstaltung dem „Luxemburger Wort“ Rede und Antwort, um die Problemstellungen Luxemburgs zu diesem Themenspektrum zu erörtern.

Luxemburg nimmt in seiner Gesamtheit am Interreg-Programm IV B Nord-West-Europa teil, in dem Länder wie Großbritannien, Belgien, Irland, Deutschland u. a. mitbeteiligt sind. Welche Rolle spielt dabei das Großherzogtum?

Luxemburg hat durch seine geografische Position, durch seine Vergangenheit und durch seine heutige Konstellation auf dem Arbeitsmarkt mit rund 40 prozentiger Beteiligung an ausländischen Arbeitskräften eine in Europa herausragende Stellung. Wir sind eine Art Versuchslabor in Europa, in der sich die unterschiedlichsten Kulturen – wie in einem Schmelztiegel – vermischen. Diverse Sozialpolitiken müssen hier in Einklang gebracht werden. Wir versuchen dabei der europäischen Dynamik gerecht zu werden. Gerade in einen kleinen Land, wo die Grenzen viel näher sind als in den meisten anderen EU-Staaten, kann Luxemburg viel einfacher ausprobieren und zeigen wie sich die verschiedenen Politiken aufeinander abstimmen lassen. Man kann es auch anders formulieren: Europa schaut auf Luxemburg, wie es mit den Problemen einer sich internationalisierenden Gesellschaft umgeht.

Mit insgesamt 355 Millionen Euro EU-Fördermitteln für den Zeitraum 2007-2013 wird das Interreg IV B NWE ausgestattet. Dieses Geld dient der Realisierung von vier Zielen. Zwei Ziele haben für Luxemburg und die Großregion eine besondere Relevanz. Das erste ist die verbesserte Nutzung der Verkehrs-, Transport und Kommunikationswege. Stichwort IVL: Wie sieht es hier mit der europäischen Relevanz aus?

Das Integratives Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept ist im Hinblick auf die europäische Relevanz, ein gutes Beispiel. Das IVL hat direkte wirtschaftliche und soziale Auswirkungen, die von enormer Bedeutung sind. Es wird dabei sehr genau analysiert, wo unsere Mitbürger arbeiten und vor allem wo sie wohnen. Allerdings müssen wir auch die Umwelt, insbesondere das Thema Nachhaltigkeit berücksichtigen. Gleichzeitig sind wir als Regierung bemüht, weiterhin unseren Lebenstandard – zumindest wie bisher – zu halten. Doch um all das zu ermöglichen, müssen wir jährlich ein vierprozentiges BIP-Wachstum erreichen, vor allem aber auch im Hinblick auf die Aufrechterhaltung unseres Renten- und Sozialsystems. Dies sind enorme Herausforderungen, denen sich unser Staat stellt. Europa schaut daher sehr genau hin, wie wir diese Probleme in den Griff kriegen. Gleichzeitig sind die Projekte, die wir im Rahmen des Interreg IV B-Programms umsetzen, konkrete Ansatzpunkte, um Zusammenarbeit über die Grenzen hinaus im Alltag zu testen und durch Erfahrungsaustausch mit den Partnern aus Nordwesteuropa unsere eigenen Methoden rascher zu optimieren.

Ist ein IVL-Großregion überhaupt denkbar?

Einer der Kritikpunkte am IVL war es, gerade nicht die Dimension der Großregion mit einbeziehen zu können. Heute sieht die Sachlage anders aus. Täglich strömen an die 140 000 Pendler in unser Land zugunsten Luxemburgs aber auch zum Vorteil der Partnerregionen. Luxemburg wird als wirtschaftliches Zugpferd in der Großregion angesehen. Luxemburg ist auf die fruchtbare Kooperation mit seinen Nachbarn angewiesen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. Viele erkennen darin eine Win-Win-Situation, solange wir im Dialog miteinander auch bestimmte Ziele gemeinsam formulieren. Wir hoffen daher, gemeinsam Lösungen im Bereich IVL zu finden, die für alle Beteiligten Vorteile bringen. Dass wir an grenzüberschreitender Kooperation interessiert sind, zeigen wir u. a. am Beispiel von Esch/Belval. Zudem hat uns die Kommission durch die Schaffung des „Europäischen Verbunds für territoriale Zusammenarbeit“ (EVTZ oder „Gect“) ein Instrument in die Hand gegeben, das die transnationale wie die interregionale Kooperationsbereitschaft fördern kann.

Der Demografie-Effekt, das Hauptthema Ihres Kolloquiums, ist in den Gebieten der Großregion anders zu interpretieren. Während in vielen ländlichen Teilen im Saarland auf die negative Geburtenrate durch Abbau von Grundschulen reagiert wird, ist es in Luxemburg durch den Bau von Schulen genau umgekehrt. Welche Antworten kann Luxemburg auf so unterschiedliche Demografie-Effekte geben?

Wir haben den großen Vorteil – im Vergleich zu unseren Nachbarn –, in unserer Entscheidungsfindung nicht abhängig von einer anderen Instanz zu sein. Als souveräner Staat können wir viel schneller Entscheidungen treffen. Das ist sicherlich ein Wettbewerbsvorteil, der uns zu dem Wohlstand geführt hat, den wir jetzt haben. Allerdings lassen wir unsere Nachbarn nicht im Regen stehen. Durch die Errichtung des deutsch-luxemburgischen Schengen-Lyzeums in Perl geben wir Antworten, wie wir gemeinsam die Zukunft unserer Kinder gestalten können. Ich gehe sogar einen Schritt weiter und würde mir wünschen, dieses Konzept sogar ab der Primärschule umzusetzen.

Ein Problem, das eng mit dem Demografie-Effekt verbunden ist, ist die Integration von Migranten auf lokaler und nationaler Ebene. Welche Fragestellungen ergeben sich dabei für Luxemburg?

Wir sind um die Integration von Immigranten in Luxemburg sehr bemüht. Wir haben mit unseren italienischen und portugiesischen Mitbürgern mit gleicher Konfession große Fortschritte gemacht. Wir beobachten allerdings, dass mit steigender Immigration neue Fragestellungen auf uns zukommen – insbesondere durch den Zuzug von Menschen mit einem anderen Konfessionshintergrund – die wir in der Form in Luxemburg noch nicht kannten. Wir hoffen auf diesem Kolloquium auch Beispiele anderer Regionen kennenzulernen, die schon viel früher mit diesen Fragestellungen befasst waren. Wir wollen mit dieser Veranstaltung ganz klar den Austausch von Ideen fördern. Daraus sollen transnationale Kooperationsprojekte resultieren, die uns helfen, noch besser und rascher auf die Herausforderungen des demografischen Wandels zu reagieren. 

Was ist INTERREG IVB Nordwesteuropa (NWE)?

Insgesamt sieben EU-Mitgliedstaaten kooperieren im Interreg IVB Nordwesteuropa Programm. Belgien, Großbritannien, Irland, Luxemburg, Niederlande und die Schweiz als externer Partner nehmen ganz teil. Frankreich und Deutschland sind nur teilweise im Programm vertreten. Für das INTERREG IV B stehen insgesamt 355 Mio. Euro EU-Mittel für den Zeitraum 2007-2013 zur Verfügung. Zuzüglich der mindestens 50% Eigenmittel ein Gesamtvolumen von mehr als 650 Millionen Euro (Zum Vergleich: Luxemburg erhielt für den vorgehenden Interreg III B-Zeitraum 2000-2006 rund vier Millionen Euro). Ziel des neuen Interreg IVB-Programms ist es, sich mit raumbezogenen Fragen im gesamten NWE-Gebiet zu befassen. Es soll dabei ein Beitrag zur wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Nordwesteuropas geleistet und eine regionale ausgewogenen und nachhaltige Entwicklung des Gebiets gefördert werden. In der aktuellen Interreg IV B NWE-Programmperiode meldet das Innenministerium, dass im Rahmen der bisher stattgefundenen zwei Projektaufrufen 21 Projekte genehmigt wurden, davon sechs Projekte mit Luxemburger Beteiligung (FITT, ForestClim, HDC, PILLS, BAPTS, ICMA). Für diese Partner wurden insgesamt 2,2 Millionen Euro sogenannte EFRE-Mittel (Europäischen Fonds für regionale Entwicklung) bewilligt. Da die Kofinanzierungsrate 50 Prozent beträgt, wird noch einmal der gleiche Betrag in Form von Eigenmitteln seitens der Partner investiert. Dies ergibt ein Investitionsvolumen von 4,4 Millionen Euro.

Quelle: Luxemburger Wort, 20. 9. 2008, Christophe Langenbrink