Die Kaukasus-Krise bedingt die Diversifizierung unserer Energieversorgung

Die Entwicklung in der Krisenregion Kaukasus zeigt erneut die Notwendigkeit, die Sicherheit der Energieversorgung in der Europäischen Union zu überdenken. Etwa 70 Prozent der Erdöl- und Erdgasreserven der Welt befinden sich in Russland, im Nahen und Mittleren Osten, in den Gebieten am Kaspischen Meer. Aus Russland bezieht die Europäische Union derzeit 42 Prozent ihrer Erdgas- und 33 Prozent ihrer Erdölimporte. Mittlerweile beträgt die EU-Abhängigkeit bei Erdöl und Erdgas bereits 82 Prozent resp. 57 Prozent und beide Werte könnten bis 2030 auf über 90 Prozent ansteigen. Freie Tribüne von Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter

Sich darauf zu verlassen, dass die in der Planung resp. Bau befindenden Erdgaspipelines (die Ostseepipeline „North Stream“, die Nabucco-Pipeline und die Südosteuropapipeline „South Stream), auch wenn sie das Kernland Russland nicht durchqueren, liefert keine dauerhafte Lösung. Die sich verringernde Förderung der europäischen Erdöl- und Erdgasförderung innerhalb der nächsten 20 Jahre bedingt darüber hinaus das Erkunden von neuen Energieversorgungswegen. Da die fossilen Energieträger die Voraussetzung für die Dynamik der europäische Wirtschaft sind, insbesondere im Transportsektor, wird die Europäische Union auf Jahre hinaus vom Erdöl abhängig bleiben, die Ersatzkraftstoffe liegen noch nicht vor. 

Die rezenten Warnungen der Internationalen Energieagentur in Paris sollten nicht ignoriert werden, die weltweite Erdölnachfrage steigt stetig an und die Industrieländer sind deshalb zu größeren Anstrengungen im Bereich Energiesparen aufgerufen. Der IEA zufolge wird sich der Energieverbrauch ohne grundlegenden Wandel in den kommenden 25 Jahren um etwa 60 Prozent erhöhen: Erdöl, Erdgas und Kohle werden jedoch noch immer etwa 80 Prozent abdecken und die CO2-Emissionen werden mit 42 Milliarden t im Jahr 2030 veranschlagt. Allein der Bedarf an Erdöl wird sich auf 120 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2030 erhöhen. 

Angesichts der zur Neige gehenden Reserven an fossilen Energieträgern werden die kommenden Jahre von wirtschaftlichen Spannungen geprägt sein. Unsere Gesellschaft muss sich deshalb umgehend damit abfinden, dass sich das Zeitalter der billigen fossilen Energieträger dem Ende zuneigt. Das Wachstum der Weltbevölkerung, insbesondere in den Entwicklungsländern und dem steigenden Wohlstand in den Industrieländern sowie einigen Schwellenländern mit hohen Bevölkerungszahlen bedingt diesen erhöhten Energieverbrauch. Die begrenzt vorliegenden fossilen Energieressourcen und der durch ihre Verbrennung hervorgerufene Klimawandel läuten ohne Zweifel einen neuen Weg in der Energieversorgung ein. 

Die Europäische Union hat dies erkannt und bemüht sich um ein Gesamtkonzept für eine wirtschaftliche, zuverlässige und umweltfreundliche Energieversorgung. Wenn die westliche Welt die Fessel der Energieabhängigkeit abschütteln will, dann braucht sie nun Mut und Ideenreichtum.

Mit einer vernetzten Vision die Energieversorgung umgestalten 

Die Europäische Union hat sich für den nachhaltigen Weg entschieden, hat sie doch beschlossen, den CO2-Ausstoß um mindestens 20 Prozent bis 2020 zu reduzieren. Die Industrieländer müssen diesen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten, denn sie sind als Hauptverursacher gefordert. Darüber hinaus hat sie sich für den 20 Prozentanteil der erneuerbaren Energien am Gesamtenergieverbrauch ausgesprochen. Zusätzlich werden wir uns bemühen, den Gesamtprimärenergieverbrauch um 20 Prozent bis 2020 zu verringern und dies durch ein hervorragendes Bündel von Energiesparmassnahmen u.a. im Fahrzeugbereich, im Gebäudebestand, der Energieversorgung und der Güterfertigung. 

Diese Vision 2020 bildet den Hintergrund der gegenwärtigen Diskussion um die zuverlässige Energieversorgung. Die Verschwendung der begrenzten fossilen Energieträger und die Umweltzerstörung müssen gestoppt werden, wenn wir den kommenden Generationen nicht ihre Lebensqualität total vermiesen wollen, es ist unsere moralische Verpflichtung heute zu beginnen. Der Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen müssen das Hauptanliegen der politischen und wirtschaftlichen Arbeiten werden; die Verknüpfung von wirtschaftlicher Entwicklung mit sozialer Kohäsion stellt das Rückgrat der Politik dar. 

Es drängt sich demzufolge mittel- bis langfristig ein neuer Weg in der zukünftigen Energieversorgung auf: “Weg von den Fossilen, hin zu den Erneuerbaren“. Sicher, wir können heute noch nicht auf die fossilen Energieträger verzichten, aber niemand behindert uns in der Aufgabe, die erneuerbaren Energien auf breiter Basis „anzuzapfen “. Eine durchaus ökologisch und technisch sinnvolle sowie langfristig wirtschaftliche Variante stellt die Gewinnung von elektrischer Energie aus den Gebieten rund um das Mittelmeer, in den Mahreb-Staaten sowie der Sahelzone dar. Hier liegen riesige Potenziale an Wind- und Solarenergie vor. Die Errichtung von Windparks sowie Photovoltaikanlagen und solarthermischen Kraftwerken stellt kein technisches Problem dar, es bedarf nur Mut und Willen. Durch den Aufbau von Hochspannungs-Gleichstromübertragungsleitungen wird die elektrische Energie bis 4.000 km mit 12 Prozent Verlust in die Europäische Union geleitet. Die Länder in der Sahelzone, in den Maghreb-Staaten und im Nahen Osten werden ihren gerechten Anteil an elektrischer Energie erhalten und die überschüssige Energie gegen Devisen exportieren. 

Es lohnt sich jedenfalls in diesem Bereich der Energiegewinnung hohe Investitionen zu tätigen und eine saubere Energie anzuzapfen, als auf Jahre die Umweltschäden durch die fossilen Energien zu bezahlen, ja sogar die Rechnung an unsere Kinder und Enkel weiter zu reichen.
Die Umweltpolitik im 21. Jahrhundert muss wirtschaftliche, umweltgerechte und sozialgesellschaftliche Erkenntnisse in einer vernetzten Struktur betrachten, denn entweder ändern wir heute unser Energieverbrauchsverhalten oder unsere Umwelt wird sich morgen noch schneller verändern, und wir sind dann diesem Prozess nicht mehr gewachsen. 

Die auf Nachhaltigkeit beruhende Entwicklung kann im Kernpunkt nur lauten, den kommenden Generationen die Lebens- und Entwicklungschancen durch unser heutiges Fehlverhalten nicht zu verbauen.

Dr.-Ing. Marcel Oberweis, 10 September 2008