Primus inter pares

Wort- Sommerserie: Schwarz-Rot unter der Lupe: “Primus inter pares” – Staatsministerium: Der Motor der Regierung

VON LAURENT ZEIMET 

Der Premierminister ist Primus inter pares – Erster unter Gleichen: Jean-Claude Juncker führt die Regierungsgeschäfte nun seit 13 Jahren. Die CSV/LSAP-Koalition traf sich in den letzten vier Jahren alleine zu 215 Kabinettssitzungen. Das Klima wird allgemein als gut und kollegial beschrieben, wenn man von kleinen rhetorischen Zwischenfällen einmal absieht.

Der Premierminister ist Teamchef und muss dafür sorgen, dass das Regierungsprogramm in die Tat umgesetzt wird. Nach 13 Jahren an der Spitze der Regierung beherrscht Jean-Claude Juncker die politische Szene wie kaum ein anderer vor ihm.

Der „Chef“ genießt Respekt und Ansehen nicht nur in den eigenen Reihen. Unangefochten führt Juncker die Meinungsumfragen an. Eine mögliche Abberufung nach Brüssel sorgte im vergangenen Jahr für manche Spekulationen. Der dienstälteste Regierungschef der Europäischen Union wurde als heißer Favorit für den Posten eines ständigen Vorsitzenden des EU-Rats gehandelt.

Doch das Nein der Iren zum Europäischen Reformvertrag sollte allen Gedankenspielen vorerst ein jähes Ende bereiten. Aller Voraussicht nach wird Jean-Claude Juncker seine Amtszeit bis zum Ende auskosten und die CSV in die kommende Wahlauseinandersetzung führen. Bei den Christlich-Sozialen dürfte diese Entwicklung eine beruhigende Wirkung entfaltet haben. Schließlich entgeht man auf diese Weise einem überstürzten Nachfolge-Gerangel und kann dem Urnengang entspannter entgegensehen. Eine Abwahl von Publikumsliebling Juncker ziehen nicht einmal die Oppositionsparteien ernsthaft in Betracht.

Die Wahlen 2004 waren für den CSV-Spitzenkandidaten ein wahres Plebiszit. Fünf Sitze konnte die Regierungspartei auf einen Schlag hinzugewinnen. Nach einer fünfjährigen Unterbrechung fanden sich CSV und LSAP um den Koalitionstisch wieder. Dabei hatte Juncker vor den Wahlen vor einer schwarz-roten Konstellation gewarnt. „Wer die Sozialisten wählt, wählt Streit in die Regierung.“ Doch bekanntlich wird keine Suppe so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Das neue Kabinett stand gleich nach Amtsantritt vor einer europäischen Herausforderung.

Zum 1. Januar 2005 sollte das Großherzogtum die Présidence der EU übernehmen. Die neuen Minister mussten sich also nicht nur in ihre nationalen Dossiers einarbeiten, sondern im Eiltempo europäische Erfahrung sammeln. Für den Premierminister bot sich die Gelegenheit, sein europäisches Geschick unter Beweis zu stellen. Die Lissabon-Strategie zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit wurde um eine nachhaltige und ökologische Komponente erweitert. Unter Junckers Regie wurde der Euro-Stabilitätspakt reformiert, während die Festlegung der Finanzperspektiven knapp scheiterte und erst unter britischer Ratspräsidentschaft zum Abschluss gebracht werden konnte. Tony Blair räumte allerdings ein, dass 95 Prozent der Arbeit von den Luxemburgern geleistet worden war.

Kurz nach der Présidence galt es zu Hause unter widrigen Umständen, das Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag zu bestehen. Mit 56 Prozent Ja-Stimmen erleichterte Luxemburg den Weg zum Reformvertrag von Lissabon. Bei diesen Nachverhandlungen wurde der Regierung das positive Votum vom 10. Juli 2005 zugute gehalten. „Wir wurden von keiner Seite unter Druck gesetzt“, erinnert sich Juncker.

Schwierige Tripartite-Verhandlungen

Im Herbst 2005 nahm die Koalition die Tripartite-Verhandlungen wieder auf. „Die schwierigsten, die ich bisher erlebt habe“, so der Premier. Die Regierung hatte alle Mühe, die Standpunkte der Sozialpartner auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Auf die Zukunftsfragen ließen sich keine leichten, kurzfristigen Antworten finden. Es galt nicht zuletzt, die Schieflage der öffentlichen Finanzen zu bereinigen. Die automatische Indexierung ließ auch die Staatsausgaben aus dem Ruder laufen. Im Triparite-Paket einigten sich die Sozialpartner auf zeitlich begrenzte „Modulierungen“ des Indexmechanismus.

Im Januar 2006 ließ die Nachricht einer feindlichen Übernahme des Traditionskonzerns Arcelor durch die Mittal-Gruppe das Land aufschrecken. Juncker musste sich einschalten, Gespräche führen. Manchmal besteht die Kunst der Politik darin, am Ende zu vermitteln, was am Anfang noch undenkbar schien. Aber das ist nicht zuletzt die Aufgabe des Premiers, er muss die Regierungsarbeit vermitteln und erklären.

Juncker fand sich oft an vorderster Front wieder: Ob in Sachen Einheitsstatut oder Lehrergehälter, die Autorität des Premiers war immer gefragt. Während der Einheitsstatut-Verhandlungen, ließen sich die widerspenstigen Handwerker erst nach Zusagen von Juncker wieder am Verhandlungstisch nieder.

Juncker, der Karlspreisträger, war nicht nur in Luxemburg gefragt

In den letzten vier Jahren führte er 45 bilaterale Gespräche mit Staatschefs und setzte sich mit 111 Amtskollegen zu Unterredungen zusammen. Alleine 156 Treffen mit Staats- und Regierungschefs, die vor- und nachbereitet werden wollen. Ungezählt bleiben die Arbeitssitzungen mit den Kollegen Finanzministern. Denn obwohl es manchmal in Vergessenheit gerät, hält Juncker auch im Finanzministerium die Zügel noch in der Hand. Die Tarifbegradigung der Steuertabellen um sechs Prozent und die Einführung des Kinderbonus entstanden unter seiner Regie. Als Chef der Euro-Gruppe wacht Juncker zudem über die Währungsunion.

Eine unangenehme Erfahrung

Als enttäuschend empfand Jean-Claude Juncker bislang die Unterstellungen, die ihm persönlich und seiner Partei im Rahmen der Bommeleeër-Affäre gemacht wurden. „Eine unangenehme Erfahrung“, nennt er die Mutmaßungen und Unterstellungen, die in Umlauf gebracht wurden. „Das hätte ich unter Menschen, die sich eigentlich kennen, nicht für möglich gehalten.“ Auch nach über 25-jähriger Politikerfahrung kann man noch dazulernen: „Das habe ich mir gemerkt“, bemerkt er knapp.

Ein Jahr bleibt Schwarz-Rot noch, um das legislative Programm zu bewältigen. Mit dem Wahlkampf will sich Juncker erst Mitte April beschäftigen. Im Juni müssen die Bürger entscheiden, ob die CSV/LSAP-Koalition ihr Soll erfüllt hat. Modernisierung, Innovation, Veränderung und Integration gab Juncker im August 2004 als Arbeitsmotto vor. „Wenn wir die Welt durch unser Handeln nur ein Stück weit besser machen, wir Luxemburger, dann haben wir nicht umsonst gehofft geträumt und gelebt.“
Die Hausaufgaben

Erledigt:
– Verankerung der Parteien in der Verfassung und Parteienfinanzierung.
– Gesetz über Referenden, die Volksinitiative wurde zurückgesetzt.
– Reform der Europawahlen: Nur noch sechs Kandidaten werden sich für die sechs Mandate auf jeder Liste bewerben. Doppelkandidaturen bleiben möglich.

In der Prozedur:
– Die Aufstockung des Staatsrats wurde im Parlament schubladisiert. 

Quelle: Luxemburger Wort, 3. September 2008, Seite 2