Die Ein-Prozent-Hürde

Die Wort Sommerserie, Schwarz-Rot unter der Lupe: Eigentlich hat Jean-Louis Schiltz die schönste Stelle in der schwarz-roten Regierung. Denn als Minister für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe ist er der designierte Gutmensch im Juncker/Asselborn-Team. Bei der ambitionierten Unterstützung Luxemburgs für die Länder der Dritten Welt kann der CSV-Mann überdies auf den partei-übergreifenden kooperationspolitischen Konsens zählen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit lernte er jedoch die schrecklichen Seiten seiner ministeriellen Mission kennen.

VON MARC SCHLAMMES 

26. Dezember 2004: In den frühen Morgenstunden des zweiten Weihnachtsfeiertages erschüttert ein Seebeben der Stärke 9,3 den Meeresboden vor der Nordwestküste Sumatras. Die Region um den Indischen Ozean wird von einer Naturkatastrophe apokalyptischen Ausmaßes heimgesucht. Der Tsunami reißt späteren Schätzungen zufolge 220 000 Menschen mit in den Tod, darunter zwei Luxemburgerinnen. Über eine halbe Million Menschen werden obdachlos, ganze Gegenden zwischen Indien und Indonesien sind vollends verwüstet. 

Auf die beispiellose Katastrophe folgt eine weltweit beispiellose Hilfsaktion. Da Luxemburg zum Jahreswechsel 2004/2005 die EU-Ratspräsidentschaft von den Niederlanden übernimmt, fällt Kooperationsminister Jean-Louis Schütz die Koordination der Hilfsmaßnahmen der Europäischen Union zu. Gemeinsam mit dem europäischen Entwicklungskommissar Louis Michel reist er schon am 1. Januar 2005 in das Tsunamigebiet, um sich direkt vor Ort ein Bild der Dimensionen der Tragödie zu machen – und selbst mit anzupacken: Bilder zeigen Michel und Schiltz, wie sie auf Sri Lanka Rot-Kreuz-Hilfssäcke verteilen. 

Den sechsmonatigen Ratsvorsitz sollte Jungminister Schiltz dazu nutzen, seine damals 24 europäischen Ratskollegen mit Nachdruck an ihre Verpflichtungen gegenüber den Menschen in der Dritten Welt zu erinnern. Vor dem Hintergrund der acht Millennium-Ziele – u. a. die Halbierung der Armut bis 2015 und der Vorgabe der Vereinten Nationen, dass die Industriestaaten 0,7 Prozent ihrer nationalen Wertschöpfung für die Entwicklungszusammenarbeit aufbringen sollen, rang Luxemburg den EU-Partnern das Engagement ab, bis 2015 eben jene 0,7-Prozent-Marke zu erreichen. Als Zwischenetappe wurde damals 2010 festgelegt; bis dahin sollen die EU-Länder bei 0,56 Prozent angekommen sein, so dass ihnen auf der anderen Seite immer noch 99,44 Prozent für die Finanzierung aller sonstigen Politikbereiche bleiben. 

Die Realität ist indes eine andere. Anstatt sich kontinuierlich dem 0,7-Prozent-Ziel zu nähern, hat sich die Europäische Union im vergangenen Jahr sogar davon entfernt. Da 0,38 Prozent ein alles andere als zufrieden stellendes Ergebnis darstellen, hat sich Jean-Louis Schiltz denn auch unlängst mit seiner deutschen Amtskollegin Heidemarie Wieczorek-Zeul an den französischen Staatssekretär Alain Joyanet gewandt. In seinem Schreiben verlangt das deutsch-luxemburgische Duo von Paris, die Entwicklungszusammenarbeit in den kommenden sechs Monaten wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. 

Im Gegensatz zu den meisten seiner europäischen Partnerstaaten gilt Luxemburg in der Entwicklungszusammenarbeit als absoluter Musterschüler. So gehört das Großherzogtum zum kleinen Kreis jener Länder, die heute schon die UN-Quote von 0,7 Prozent erfüllen. Im Koalitionsabkommen von August 2004, das der Kooperationspolitik sechs Zeilen zugesteht, hatten sich CSV und LSAP darauf verständigt, die Em-Prozent-Marke anzupeilen. Damit wurde die bisherige Entwicklungspolitik auch unter Schwarz-Rot fortgeschrieben. 

2007 war Luxemburg nach OECD-Angaben bei 0,9 Prozent oder 365 Millionen US-Dollar angelangt. Vornehmlich wird dieses Geld in den zehn Zielländern der luxemburgischen Kooperationshilfe investiert: Burkina Faso, El Salvador, Kap Verde, Laos, Mali, Namibia, Nicaragua, Niger, Senegal und Vietnam. Eine Entscheidung, ob es auch weiterhin bei diesen zehn privilegierten Partnerstaaten bleiben wird, haben die Verantwortlichen im Hotel Saint-Augustin noch nicht gefällt. Bei der Vorstellung des vorletztjährigen Tätigkeitsberichtes stellte Minister Schiltz jedoch in Aussicht, die Hilfe für El Salvador und Vietnam aufgrund der dort erfolgreichen Entwicklung mittelfristig gen Null zurückzuführen. Aus Namibia will man sich aus geografischen Gründen zurückziehen. 

Demgegenüber will sich die Regierung in Zukunft in noch stärkerem Maße in den fünf westafrikanischen Zielstaaten engagieren. Die Entwicklungshilfe beruht auf einem partnerschaftlichen Nord-Süd-Vorgehen und wird jeweils via Programme indicatif de cooperation abgewickelt. Damit entspricht Luxemburg in seiner Kooperationspolitik der Pariser Erklärung aus 2005, die auf eine verstärkte Einbindung der Drittweltländer und ihrer Bevölkerung hinauszielt. 

Die Programme, deren Umsetzung von einer bilateral besetzten Kommission begleitet wird, konzentrieren sich auf sechs Bereiche, Bildung, berufliche Eingliederung, Gesundheitswesen, Mikrokredite, gute Regierungsführung sowie Wasseraufbereitung und -Versorgung. Die Präsenz vor Ort wird durch Kooperationsbüros in Dakar, Hanoi, Kap Verde, Managua und Ouagadougou gewährleistet. 

Ein besonderes Augenmerk der Schiltz’schen Entwicklungszusammenarbeit gilt der Qualität. Glaubt man einem Bericht der unabhängigen Hilfsorganisation Actionaid, dann ist Luxemburg das Land, das seine Entwicklungsgelder am effizientesten einsetzt. 

Der Effizienz- und Qualitätsgedanke liegt auch den Assises de la cooperation zugrunde, die in dieser Legislaturperiode eingeführt wurden. Sie sollen es allen Akteuren erlauben, sich einmal im Jahr über alle Aspekte der Kooperation auszutauschen. 

Was den Einsatz der Entwicklungsgelder angeht, tendieren immer mehr Staaten (und auch die EU) zur direkten Budgethilfe. Luxemburg steht diesem Modell skeptisch gegenüber und beschränkt sich derzeit auf zwei Pilotprojekte. 

Ein wichtiger Pfeiler der luxemburgischen Entwicklungszusammenarbeit sind die Nichtregierungsvereinigungen. Rund 80 Drittweltorganisationen sind vom Ministerium anerkannt und werden in ihren Kooperationsbestrebungen finanziell unterstützt. 

Die Hausaufgaben 

In Arbeit: 

– ein Prozent der nationalen Wertschöpfung für die Entwicklungszusammenarbeit aufbringen 

– Überprüfung der Zielländer der luxemburgischen Kooperationshilfe 

Quelle: Luxemburger Wort, 22. August 2008, Marc Schlammes