Paradigmenwechsel – hin zur zukunftsfähigen Eisenbahn

Wer sich mit der Zukunft der Eisenbahn in der Europäischen Union beschäftigt, kommt nicht umhin, dem interessierten Leser einen Blick in die Eisenbahngeschichte zu liefern. Eine freie Tribüne von Dr.-Ing. Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter

Den englischen Maschinenbauer Richard Trevithick sieht man als den ersten Eisenbahnpionier an, konstruierte er, ausgehend von der Watt’schen Niederdruckdampfmaschine, die erste funktionierende Wanderdampfmaschine als Hochdruckdampfmaschine. Als wirkungsvoll für die weiterführenden Arbeiten erwiesen sich die geringen Abmessungen, die hohe Leistungsfähigkeit sowie der reduzierte Verbrauch an Kohle. Diese Dampfmaschine kam im Jahr 1802 in Pen-y-Darren bei Merthyr Tydfil (Wales) zum Einsatz. 

Der technische Fortschritt setzte einen Meilenstein, als am 21. Februar 1804 eine Zuggarnitur aus fünf Güterwagen mit jeweils 10 t Kohle sowie 70 Personen die beachtliche Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 8 km/h auf der 15,7 km langen Bahnstrecke erreichte. 

Nach John Blenkinsop trat mit George Stephenson eine Figur auf das Eisenbahnparkett, der die Dampfmaschine zur vollen Blüte brachte. Am 25.Juli 1814 wird die Lokomotive unter dem Namen „My Lord“ in den Verkehr gebracht und nach der Schlacht bei Waterloo wird sie „Blücher“ umbenannt. Sie besaß einen wesentlichen Unterschied zur Dampfmaschine von Blenkinsop, ihre Treibräder übertrugen die Antriebskraft durch Reibung auf die Schienen. 

Weitere Erfolge ließen nicht auf sich warten, doch sollte erst das Jahr 1825 den Durchbruch bringen, die erste öffentliche Eisenbahnverbindung wurde zwischen den Städten Stockton und Darlington in England in Betrieb genommen. Die von George Stephenson gebaute Dampflokomotive, die „Locomotion“, erreichte am 27. September 1825 die Geschwindigkeit von etwa 17 km/h. Die nun folgenden Jahre stellten die Erfolgsjahre der Eisenbahn dar, eroberte doch das „Kohle schluckende Ungetüm“ binnen kurzer Zeit viele Länder und Kontinente. 

Die flächenhafte Ausbreitung der Eisenbahn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird ohne Zweifel als die erste Revolution der Mobilität bezeichnet. Die Eisenbahn sprengte die lokalen Distanzen und Siedlungsstrukturen, die Wirtschaftsweisen und die Lebensstile veränderten sich. Leider erstarb die Euphorie für die Eisenbahn mit dem Aufkommen der uneingeschränkten Mobilität des einzelnen Bürgers durch das Automobil. Man hatte schnell vergessen, dass die Eisenbahn das Rückgrat jeglicher vernetzter Verkehrspolitik darstellt, das Automobil hingegen nur den Menschen im ländlichen Raum bedienen sollte.

Die Eisenbahn – Sicherheit als oberste Priorität 

Es hat sich während den vergangenen Jahrzehnten gezeigt, dass die Schiene der umweltfreundlichste Verkehrsträger ist, ihr Anteil verringerte sich im Verkehrsträgervergleich seit dem 2. Weltkrieg in einem hohen Mass. Doch seit der Einführung des „Shinkansen“ in Japan im Jahr 1964 und in Deutschland mit der CC-Serie ein Jahr später war das Eis gebrochen. In Frankreich rollte der erste TGV auf der Strecke Paris nach Lyon ab 1981 und weitere Strecken folgten. Aus umweltschützerischen Gründen und logistischen Überlegungen kam es zum Mentalitätswandel und in manchen EU-Mitgliedsstaaten wurden neue Hochgeschwindigkeitszüge AVE, ICE sowie Eurostar mit wachsenden Akzeptanz in Dienst gestellt. Sogar Luxemburg hat sich von dem neuen „Feierwôn“ anstecken lassen und seit dem 10. Juni 2007 gibt es fünf Verbindungen nach Paris, die 380.000 Passagiere im ersten Jahr bezeugen dies zur Genüge. 

Die Liberalisierung des Eisenbahnmarktes, die Einführung eines einheitlichen europäischen Eisenbahnverkehrsleitsystems, die Festlegung von Normen für die Interoperabilität sowie die Einrichtung der Europäischen Eisenbahnagentur stellen neue Elemente in der Verkehrspolitik dar. 

Anlässlich der rezenten Konferenz „Sea Rail“ in Ostende, organisiert vom Unternehmen „Infrabel“, wurde das Potenzial der Zusammenarbeit zwischen der Eisenbahn und dem Ozean ausgelotet. Eine wichtige Schlussfolgerung hält fest, dass der Güterfernverkehr auf der Strasse an das Maximum seiner Leistungsfähigkeit stößt, derweil die Eisenbahn und das Kanalsystem sich als Partner einbringen möchten. Der Eisenbahngüterkorridor C von Antwerpen über Bettemburg nach Basel umfasst die Distanz von 1840 km und erweist sich als ein wichtiges Element der Logistik, mittels welchem die Wirtschaftszonen in Antwerpen mit jenen in der iberischen und französischen Mittelmeerküste und ebenfalls über Basel mit denen in Norditalien verbunden sind. 

Von den vorstehenden Überlegungen ausgehend darf man schlussfolgern, dass die Verkehrspolitik in der Europäischen Union an einer Weiche angekommen ist und wir uns auf die Eisenbahnschiene mit zukunftsfähigem bewegen müssen. Dies führt dazu, dass wir einerseits die Beförderung auf der Strasse auf intelligente Art gestalten und andererseits den rasant wachsenden Personen- und Güterverkehr wieder auf die Schiene zurückbringen müssen.

Die Eisenbahn – leider ein Stiefkind des Verkehrs 

Der wachsende Güterverkehr auf der Strasse stellt hohe Risiken und Nebenwirkungen dar, dies bedingt durch die unzähligen Staus, Engpässe und Unfälle. Laut Aussagen der Europäischen Kommission belaufen sich die Staukosten jährlich auf mehrere zig Milliarden €. Im Gegenzug wirkt sich das Gegeneinanderarbeiten der einzelnen nationalen Eisenbahngesellschaften im grenzüberschreitenden und im europäischen Verbund kontraproduktiv aus. Die grenzüberschreitenden Güterzüge durchqueren die Grenzen innerhalb der Europäischen Union mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von lediglich 18 km/h, das Postkutschenzeitalter lässt grüßen. Es steht ohne Zweifel fest, für den „just in time“-Güterverkehr und den hohen Individualverkehr zahlen die Menschen und die Umwelt einen hohen Preis. Obwohl der Erdölpreis derzeit einen rasanten Preisanstieg vermeldet, stellt sich noch kein eindeutiges Umdenken und Umlenken im Verkehrsbereich ein. 

Der Güterverkehr ist in der Europäischen Union zwischen 1970 und 2000 um das Dreifache angewachsen, jedoch hat die Strasse den größten Anteil für sich beansprucht, die Eisenbahn hat nur verschwindend gering an diesem Wachstum teilgenommen. Während den vergangenen Jahren sank der Anteil der Eisenbahn am Güterverkehr laut Eurostat-Unterlagen von 12,6 Prozent im Jahr 1995 auf 10,5 Prozent im Jahr 2006, der Transport auf der Strasse erhöhte sich im selben Zeitraum von 42,1 Prozent auf 45,6 Prozent. 

In Bezug auf den Personenverkehr mögen folgende Zahlen das Problem umreißen: Verringerung von 6,6 Prozent im Jahr 1995 auf 6,1 Prozent im Jahr 2006 für die Eisenbahn, der Personenverkehr auf der Strasse reduzierte sich im selben Zeitraum von 73,1 Prozent auf nur 72,7 Prozent und der Flugverkehr stieg von 6,4 Prozent auf 8,6 Prozent. Die Folgen sind offensichtlich: überlastete Transitrouten und Wohngebiete mit hohen Umweltbelastungen, starke Belastungen der Straßen und hohe Unterhaltskosten, zusehends aber auch Gesundheitsschäden für Mensch und nicht korrigierbare Umweltschäden. 

Die europäische Kommission erwartet indes bis 2020 eine Zunahme des Güterverkehrs um etwa 30 bis 45 Prozent. Um diesen Zuwachs zu meistern, erfreut sich das Straßennetz innerhalb der europäischen Staaten eines regen Zuspruchs aus den 12 neuen Mitgliedsländern, für die Eisenbahn fallen nur die Brosamen ab. Da das Schienennetz diesen Zuwachs nicht kennt, wird die Eisenbahn in unserer schnelllebigen Zeit mit globaler Dimension nicht mithalten können und in vielen europäischen Ländern steht die Sorge um die Eisenbahn nicht an erster Stelle der politischen Diskussionen. 

Aber es gibt bereits Lichtblicke u.a. konnte die DB Tochter Railion vermelden, dass sie es schaffte das Gütervolumen von 69,5 Milliarden tkm im Jahr 1995 auf 95 Milliarden tkm im Jahr 2005 zu steigern. Den jüngsten Resultaten der luxemburgischen Eisenbahngesellschaft kann entnommen werden, dass 2007 ein erfolgreiches Jahr war, wurden nicht nur mehr Passagiere, sondern ebenfalls auch mehr Fracht befördert. Im Personenverkehr mit Blick auf die Großregion ist ein Anstieg von 15,5 Prozent zu vermelden, leider eine Verringerung im nationalen Personenverkehr und dies trotz aller Appelle dem Öffentlichen Personennahverkehr den Vorzug zu geben. Wie stark müssen denn die Kraftstoffe noch steigen bis der Mentalitätswandel einsetzt? Im Frachtverkehr hingegen verzeichnete man auch einen stolzen Zuwachs von 20 Prozent auch wenn die Bahnstrecke Bettemburg nach Perpignan noch ein Sorgenkind darstellt. 

Das ausgemachte Ziel der europäischen Güterverkehrspolitik kann nur sein, ein leistungsfähiges grenzüberschreitendes Verkehrsnetz für die zukünftigen Güterverkehrsströme aufzubauen und im Gefolge den Verkehrskollaps verhindern.

Die Umwelt verbessern – durch mehr Eisenbahnverkehr 

Laut der Europäischen Energieagentur in Paris trägt der Verkehr auch einen erheblichen Anteil zu den CO2-Emissionen bei. Im Jahr 2005 betrug dessen Anteil 30 Prozent, davon 23 Prozent allein aus dem Straßenverkehr. Der Klimawandel und seine Folgen stellen das größte Problem unseres Jahrhunderts dar, die weltweit schmelzenden Gletscher, die Dürren und die Hungersnot sowie der Anstieg des Meeresspiegels lassen die Menschen nicht unberührt. Durch ein ehrgeiziges Programm möchte die Europäische Union ihren Teil beisteuern, die Erwärmung der Atmosphäre auf weniger als 2 °C zu begrenzen. Es muss uns allen bewusst werden, im Rahmen des Paradigmenwechsels, dass wir nur einen Planeten haben, mit dem wir sorgsam umgehen müssen. 

Um die Umweltbilanz der einzelnen Verkehrsträger gegeneinander abzuwägen, können folgende Daten dienen. Die Eisenbahn emittiert nur 4,79 kg CO2 auf 100 Personenkilometer, das Pkw etwa 17,6 CO2 und das Flugzeug rund 23 kg CO2. An dieser Stelle muss ebenfalls erwähnt werden, dass rund 70 Prozent des importierten Erdöls im EU- Verkehrssektor verbraucht werden und hohe Umweltbelastungen hervorrufen. Wir sind alle gefordert, eine andere Verkehrspolitik einzuleiten, dies um die Lebensqualität der Menschen zu erhöhen und die Biodiversität zu schonen. 

Eine Möglichkeit der Eisenbahn weitere Anteile am Personen- und Güterverkehr zuzuführen besteht im Gedanken der Internalisierung der externen Kosten. Wenn die Infrastrukturkosten und die externen Kosten hinsichtlich des Lärms, der Gesundheit, der Stauschäden, der Umweltbelastung sowie der Unfallkosten mit in die Berechnungen einfließen, wird sich die zukünftige nachhaltige Verkehrspolitik der Europäischen Union in einem Licht betrachten lassen. Laut EU-Angaben betragen die externen Kosten im Durchschnitt pro 1000 tkm für die Eisenbahn 17,9 €, für das Binnenschiff 22,5, für den LKW 87,8 € und für das Flugzeug 271,3 €. In unserer Marktwirtschaft sollten die Preise des Verkehrssystems auch die externen Kosten widerspiegeln.

Ineffizientes Verkehrssystem – kein nachhaltiges Wachstum 

Die Politik kommt aus umweltschützerischen Überlegungen nicht umhin, eine zukunftsorientierte Vision zu entwickeln, umso die intakten Lebensräume im ländlichen Raum zu erhalten und den Menschen in den urbanen Gebieten die Lebensqualität zu garantieren. Eine Politik, die konkrete Ziele bezüglich Effektivität, Sozial- und Umweltverträglichkeit als wesentliche Elemente ihrer „nachhaltigen Entwicklung“ im Verkehr erreichen will, muss die Rahmenbedingungen für den Wirtschaftssektor Verkehr so festlegen, dass sich diese nicht nur auf die Sicherstellung freier Marktbedingungen für den Individualverkehr und LKW-Güterverkehr beschränken. 

Im grenzüberschreitenden Verkehr hemmen die unterschiedlichen Sicherheitssysteme, die Spurweiten, die Spannungen und die Frequenzen die Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahnen im internationalen Güterverkehr. Vor allem sind Investitionen in die Anlagen des kombinierten Verkehrs notwendig, Umladeterminals und Umladetechniken sollen ausgebaut werden. Wenn das Europa von morgen verkehrstechnisch und klimapolitisch den ersten Platz belegen möchte, dann muss es zu einer Renaissance der europäischen Eisenbahnen kommen. Die ausgewiesenen europäischen Frachtkorridore im Güterverkehr werden ihrerseits einen wichtigen Beitrag einbringen und man möge beachten, dass in den USA der Schienengüteranteil etwa 40 Prozent beträgt, während er in der Europäischen Union bei rund 14 Prozent liegt. 

In Bereich Personenverkehr zeichnet bereits sich ein positives Bild ab, dies unterstreichen der Neubau sowie der Zubau von Hochgeschwindigkeitsstrecken u.a. Paris nach Bordeaux, zwischen Brüssel über Lüttich nach Köln sowie von Brüssel nach Amsterdam. Ohne ein resolutes Umsteuern bewegen wir mit uns mit der vorherrschenden Verkehrspolitik mit Vollgas in den Verkehrskollaps. 

Die Europäische Union braucht leistungsfähige und integrierte Verkehrsalternativen, die zugleich die Umwelt schonen und den Bedürfnissen der Konsumenten entsprechen. Soll die nachhaltige und zukunftsfähige Eisenbahn weiter auf der Überholspur bleiben, dann bedarf es zunächst des Mentalitätswandels in den Köpfen der Bürger, alsdann können hohe Investitionen in die Infrastrukturen eingebracht werden. Im Gefolge dieser Maßnahme wird es sowohl zu einer spürbaren Entlastung der Umwelt als auch der erhöhten Lebensqualität für den Menschen kommen.

Die Eisenbahn – auch ein Rückgrat für unsere Großregion 

Als einen wichtigen Punkt bezüglich der Großregion müssen wir die Resultate der rezenten PVT betrachten, lieferte sie doch brisante Informationen zur Entwicklung des Verkehrs. Die aktuelle Entwicklung der Einwohnerzahl in Luxemburg sagt voraus, dass etwa 650.000 Menschen in Luxemburg im Jahr 2030 leben werden und die Zahl der Pendler aus der Großregion auf 254.000 steigen wird. Beträgt der Modal-Split derzeit 14:86 und erhofft man 25:75 im Jahr 2020, so redet die Studie von nur 16:84 im Jahr 2030, eine eher pessimistische Aussage. Fakt ist, dass heute nur 8 Prozent der Grenzpendler den öffentlichen Verkehr benutzen. 

Die Schaffung eines gemeinsamen Verkehrsverbundes für die Großregion war u.a. ein Element der Konferenz über die Mobilität in der Großregion am 19. Mai 2008. Die Absicht der Einführung eines grenzüberschreitenden Fahrscheines stellt einen wichtigen Schritt dar, genau wie das Ausloten von eventuellen neuen Schienenverbindungen, hier sollen die Verbindungen von Luxemburg nach Bettemburg und Esch/Alzette zitiert werden. Der Ausbau resp. der Neubau der Verbindung von Luxemburg über Karthaus nach Saarbrücken stellt auch einen Meilenstein der grenzüberschreitenden Kooperation dar. 

Neben der Investition in Höhe von Hunderten von Millionen € werden wir die Menschen einladen, auf den Öffentlichen Verkehr umzusteigen. Die Nachfolgekosten für die Gesundheit der Menschen und die Beseitigung der Umweltschäden zwingen uns zu diesem Schritt. In dieses Konzept passt auch die nun vorliegende Idee der Einführung der Trambahn in der Hauptsstadt Luxemburg. Sie allein aber nur auf die Europahauptstadt beschränken, macht keinen Sinn, das Projekt muss auch die Verbindungen zu den Peripheriebahnhöfen u.a Cessingen und Howald beinhalten. Ebenfalls müssen nun beherzte Schritte zum Bau von grenznahen Parkinganlagen in der Nähe der Bahnhöfe eingeleitet werden. 

Die aufkommenden rasant steigenden Verkehrsströme, bedingt durch die Flut der auf der Strasse zu transportierenden Güter und der zu bewegenden Menschenmassen drohen zusehends, die Wirtschaft innerhalb und außerhalb unserer Grenzen zu lähmen. 

Es bedarf dazu eindeutig der politischen Vorgehensweise in Richtung des nachhaltigen Verkehrs unter Einbeziehung der zukunftsfähigen Eisenbahn. 

Dr.-Ing. Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter

Literaturhinweise
1) Weißbuch der EU-Kommission Ausgabe 2001 und Ausgabe 2006
2) Tabellenwerk 2008 Eurostat Luxemburg
3) http://de.wikipedia.org Anfänge der Eisenbahngeschichte