Zwischen Forderungen und Verweigerung

Politik in Luxemburg ist anders, als anderswo. Das Land ist klein, die Menschen kennen sich, Kontakte zu Politikern sind häufig und einfach. Man könnte glauben, in einem politischen Mikrokosmos, wie Luxemburg einen besitzt, würde die Regel der kurzen Wege und der schnellen Entscheidungen gelten. Wenn man dieser Tage allerdings die Anfeindungen betrachtet, denen die Politik und ihre – vor allem nationalen – Entscheidungsträger ausgesetzt sind, dann wird man eines besseren belehrt. Profil-Artikel von Michel Wolter, Fraktionspräsident

Primärschullehrer wollen mehr Gehalt und weigern sich, eine Lohnaufbesserung im Zusammenhang mit einer Erhöhung ihrer Schulstundenzahl zu sehen. CGFP und OGBL fordern die sofortige vollständige Wiedereinsetzung des Indexmechanismus, und dies trotz anders lautenden Tripartite-Beschlüssen und Inflationszahlen, die beunruhigende Dimensionen annehmen. In den Augen besagter Gewerkschaften natürlich nicht TROTZ, sondern WEGEN der Inflation – als ob man die Preissteigerung nicht durch überzogene Lohnerhöhungsmechanismen weiter anheizen würde! Ein Untersuchungsgefängnis soll überall hin dürfen, nur nicht auf das Gebiet einer Gemeinde – doch wo im Lande gibt es schon ein Gebiet, das nicht zu einer Gemeinde gehört? Die Aufzählung kann beliebig fortgeführt werden: auf der Saarautobahn gibt es noch immer einen Kreisverkehr quasi in Privatbesitz, und keine Tankstelle. Das organisierte Patronat läuft noch immer Sturm gegen ein Einheitsstatut, dem es vor langer Zeit seine prinzipielle Zustimmung gegeben hat. Und so weiter, und so fort. 

Wo bleibt in diesem Sammelsurium aus Forderungen und Verweigerungshaltung eigentlich noch der reelle Handlungsspielraum der Politik? Was ist das für ein Land, in dem Gewerkschaften, Berufskammern, Bürgerinitiativen und leider auch viele Gemeinden den Eindruck vermitteln, als haben Regierung und Parlament lediglich noch jenen kleinen Teil Gemeinwohl zu verwalten, der ihre eigenen Interessen nicht betrifft? Wer redet eigentlich noch vom Gemeinwohl, um Altkanzler Helmut Schmidt leicht abgewandelt zu zitieren? Ist dem Gemeinwohl gedient, wenn immer mehr Freiheiten beschnitten, immer mehr Eigenverantwortungselemente aufgehoben, immer mehr staatliche Regeln zur Überwachung des individuellen Verhaltens eingeführt werden? Und zwar fast immer auf Betreiben aktiver Minderheiten, die nicht mehr einsehen wollen, dass es auch andere legitime Lebensmodelle gibt, als ihre eigenen… 

In knapp 14 Monaten sind Parlamentswahlen programmiert. Bis dahin sollte die gewählte Volksvertretung und die von ihr unterstützte Regierung ihre Arbeit erledigen können. Das wird nicht einfach. Früher oder später werden wir allerdings in Luxemburg die Frage in den Raum stellen müssen, ob politisches Handeln, Zukunftsplanung, Vorbereitung auf die kommende Zeit überhaupt noch erwünscht sind. Der dauerhafte Erfolg des luxemburgischen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells ist nicht ohne weiteres garantiert. Er findet nicht von alleine statt. Um ihn für die Zukunft abzusichern, braucht es die allgemeine Einsicht, dass nicht jeder für sich und gegen alle anderen Recht haben kann. Eine kleine Solidargemeinschaft wie unsere kann sich nicht ewig leisten, nur mehr als Gegenüberstellung von einzelnen Forderungen und Verweigerungshaltungen zu funktionieren. 

Luxemburg braucht wieder eine gemeinsame Vision und einen Plan zu ihrer Verwirklichung. Denen, die heute bereits an Wahlkampf denken, würde es gut tun, dieses Element schon einmal in ihre Planspiele für Juni 2009 zu integrieren. 

Michel Wolter
CSV-Fraktionspräsident