Der CSV-Fraktionssekretär Frank Engel “zu Gast im Land” (8.Juli 2005)
Die Lügen der letzten Stunde
Noch zwei Tage bis zum Referendum. Eine spannende Kampagne nähert sich ihrem Ende – und gerade jetzt wird von den Verfechtern des Nein versucht, mit allen Mitteln noch ein paar Prozentpunkte zu ergattern.
Da wird behauptet, die Europäische Union könnte mit der Verfassung auf eine Art und Weise enteignen, die in Sachen Entschädigung für die betroffenen Bürger weit hinter dem zurücksteht, was die luxemburgische Verfassung garantiert. Bloß: enteignen kann nur, wer souveräne Rechte besitzt. Nur Staaten können enteignen. Die Europäische Union ist kein Staat und besitzt keine eigene Souveränität – sie übt lediglich gemäß den europäischen Verträgen einen Teil der Souveränitätsrechte ihrer Mitglieder aus. Also kann die Union überhaupt nicht enteignen, sie hat es noch nie getan und wird es nie tun. Wenn enteignet wird, wenn in Luxemburg enteignet wird, dann passiert das nach unseren eigenen, luxemburgischen Verfassungsregeln. Und die besagen, dass im Falle von Enteignung dem betroffenen Bürger eine gerechte und vor der Enteignung zu erfolgende Entschädigung zusteht!
Noch surrealistischer müsste jedem Juristen, der sein Handwerk versteht, die peinliche Polemik um den Gegensatz zwischen unserem nationalen Verfassungsrecht “auf Arbeit” und dem in der europäischen Verfassung vorgesehenen Recht “zu arbeiten” erscheinen. Nur ein Staat kann ein Recht auf Arbeit garantieren, nicht aber die Europäische Union, die kein Staat ist und keiner wird. Nur ein Staat kann dafür sorgen, dass seine Bürger Arbeit haben, und nur ein Staat kann, wenn dieses Recht an sich nicht greift, Arbeitslosenunterstützung gewähren. Die Staaten besitzen arbeitsmarktpolitische Instrumente, mit denen sie Beschäftigung fördern können – die Europäische Union hat diese Instrumente nicht, kann sie auch nicht haben, denn ihr fehlt eine allgemeine Zuständigkeit für Beschäftigung.
Wenn die Union das Recht “zu arbeiten” in der Ausübung ihrer Befugnisse zu garantieren hat, dann bedeutet dies, dass niemandem aufgrund seiner Hautfarbe, seines Geschlechts, seiner politischen Überzeugung oder aus was für anderen Gründen auch immer verboten werden darf, zu arbeiten. Genau das war bis einigen Jahren noch in einigen der neuen Mitgliedstaaten der Fall. Und genau das wird mit der neuen Bestimmung der europäischen Verfassung verhindert. Für das Recht “auf Arbeit” sind und bleiben die Staaten zuständig – durch eine Beschäftigungspolitik, die jedem die bestmöglichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnen soll. Nicht Europa kann betriebliche Beschäftigungsmaßnahmen fördern, nicht Europa kann Aus- und Weiterbildungspolitiken am Ziel eines hohen Beschäftigungsgrades ausrichten, sondern allein seine Mitgliedstaaten
Niemand sollte sich von Lügen der letzten Stunde in die Irre führen lassen. Europa braucht eine Verfassung, um sich weiterentwickeln zu können, und nicht um seine Bürger zu schwächen oder zu gängeln.
Die Verfassung ist für die europäischen Bürger ein Mehrwert gegenüber den aktuellen Verträgen. Sie erschließt neue Dimensionen für die Union, in denen es um Werte, Ziele und soziale Gerechtigkeit geht.
Sie ist es wert, am Sonntag unterstützt zu werden.
Frank Engel