Europäische Union

Überlegungen zur Wiedervereinigung Europas durch die Erweiterung der Union nach Osten
Europäische Union-Erweiterung um 70 Millionen Europäer

Die Erweiterung der Europäischen Union nach Süden und Osten ist ein Prozess, in dem nicht nur die beitrittswilligen Staaten eine Rolle spielen. Vielmehr geht es bei dieser grössten Erweiterungswelle seit der Gründung der europäischen Gemeinschaften – nicht weniger als 10 Länder sollen gleichzeitig in die EU aufgenommen werden – um den Eintritt von 70 Millionen europäischen Bürgern in die kontinentale Wertegemeinschaft.

Die Erweiterung der Union, die so abgeschlossen werden soll, dass die Bürger der neuen Mitgliedsstaaten an den Europawahlen 2004 teilnehmen können, bringt uns wieder ein Stück näher an unsere gemeinsame Geschichte heran. Teile Europas, die im historischen Ablauf eine ungemein wichtige Rolle gespielt haben, werden mit dem Westen politisch vereint. Europa wird europäischer, vollständiger, bedeutungsvoller.

Wussten Sie zum Beispiel,

* Dass der geografische Mittelpunkt unseres Kontinents in Südlitauen liegt, an der Grenze zur russischen Exklave Kaliningrad ?

* Dass der luxemburgische Kaiser des Deutschen Reiches Karl IV. 1388 die Universität in Prag gründete ?

* Dass die baltischen Hauptstädte Riga und Tallinn im Mittelalter und in der frühen Neuzeit von der deutschen Hanse ausgebaut wurden ?

* Dass die estnische Universität von Tartu im Jahr 1632 vom schwedischen König Gustav II. Adolf gegründet wurde, und im 19. Jahrhundert die einzige Universität im zaristischen Russland war, an der auf deutsch unterrichtet wurde ?

* Dass von 1867 bis 1918 die parlamentarische Versammlung des österreichisch-ungarischen Kaiserreiches abwechselnd in Wien und in Budapest tagte, und während dieser Zeit der österreichische Kaiser durch eine getrennte Krönungszeremonie in der Budapester Matthiaskirche ebenfalls ” Apostolischer König von Ungarn ” war ?

Die europäische Landkarte wird durch den Beitritt der 10 Kandidaten facettenreicher. Sich innerhalb der Union zu bewegen, bedeutet nicht mehr nur 2000 Kilometer von Luxemburg aus nach Süden fahren zu können, sondern dieser Ausflug wird ab 2004 auch in Richtung Osten möglich sein – er könnte dann, nach 2000 Kilometern, genauso gut in Lettland enden, wie in Südspanien.

Die Osterweiterung wird allzu oft mit zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Union gleichgesetzt. Natürlich ist sie nicht umsonst zu haben. Die aktuellen Gemeinschaftsprogramme wie LEADER, ERASMUS, INTERREG und viele mehr sind das schliesslich auch nicht – und von ihnen wurden auch zahllose Projekte in Luxemburg sowie die Mobilität einer erheblichen Zahl von Studierenden aus allen Mitgliedsstaaten der Union finanziert. Der gesamte Haushalt der europäischen Union darf nach geltendem europäischen Recht – und daran wird sich auch nach 2004 nichts ändern – den Gegenwert von 1,27% des gesamten Bruttosozialproduktes der Union nicht übersteigen. Zum Vergleich : ein luxemburgisches Staatsbudget macht rund ein Viertel des nationalen Bruttosozialproduktes aus, und in den übrigen Mitgliedsstaaten ist das nicht anders. Wer unter diesen Umständen die Finanzierung der Erweiterung infrage stellen will, versteht nichts von öffentlichen Haushalten. Nicht einmal ein Zwanzigstel der Steuern, die ein Einwohner Luxemburgs bezahlt, fliesst nach Europa – und zwar gleichgültig, ob wir das Steueraufkommen vor oder nach der Erweiterung betrachten.

Wir sind den Europäern in Budapest, Ljubljana, Warschau und Bratislava das Eintrittsticket in die Union schuldig. Diese Menschen trugen keine Schuld an der Tatsache, dass ihnen der Weg nach Europa bis 1990 versperrt blieb. Die Erweiterung der Union ist eine historische Chance, sie vereint Menschen, sie stärkt die europäische Identität und sie erschliesst Märkte für die Wirtschaft. Der Farbton, in dem die Erweiterung zu malen ist, muss deswegen ein warmer, ein positiver Ton sein. Gefühlskälte und Milchmädchenrechnungen, wie sie die Populisten hierzulande und anderswo an den Tag legen, werden der historischen Bedeutung der Angelegenheit nicht gerecht.