“Integration, eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft.” Ministerin Marie-Josée Jacobs im Télécran-Interview zur Übrarbeitung des Integrationsgesetzes
Maryse Lanners: Frau Ministerin, Immigration und Integration seien zwei Seiten derselben Medaille, ließ Immigrationsminister Nicolas Schmit bei der Vorstellung des neuen Immigrationsgesetzes anklingen. Wird nun auch das Integrationsgesetz erneuert?
Marie-Josée Jacobs: Das Integrationsgesetz stammt aus dem Jahr 1993. Insofern ist es immerhin 21 Jahre jünger als das Einwanderungsgesetz, das auf 1972 zurückgeht. Es muss daher auch nicht rundum erneuert werden. Allerdings sind etliche Änderungen und Ergänzungen geplant.
Maryse Lanners: Warum wurden beide Vorhaben nicht zeitgleich in Angriff genommen?
Marie-Josée Jacobs: Das Immigrationsgesetz ist ein Vorentwurf, der als Diskussionsbasis dienen soll. Später muss der Text nochmals im Regierungskabinett begutachtet werden. Uns bleibt also ausreichend Zeit, das Eingliederungsgesetz nachzubessern.
Maryse Lanners: Es soll also doch ein ganzes Paket geschnürt werden?
Marie-Josée Jacobs: So ist es geplant.
Maryse Lanners: Wie stark bemühen sich der Staat und die Gemeinden um die Integration der Ausländer?
Marie-Josée Jacobs: Das ist schwer zu bewerten, weil die Lage sehr unterschiedlich ist im Land. Es gibt viele Gemeinden, die sich sehr um die Eingliederung bemühen. Der Staat hat sich in den vergangenen Jahren weniger um die Problematik der Integration gekümmert, weil die entsprechenden Dienststellen vollauf mit der Flüchtlingsfrage beschäftigt waren. Wir haben uns nicht so intensiv damit befasst, wie ich es gewollt hätte. Man muss sich nämlich bewusst sein, dass die Integration der Ausländer in unsere Gesellschaft eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft sein wird.
Maryse Lanners: Inwiefern?
Marie-Josée Jacobs: In der EU werden im Jahr 2020 zwanzig Millionen Menschen in Rente gehen, bis 2050 werden es fünfzig Millionen sein. Wenn wir unser Sozialsystem absichern wollen – bei gleich bleibender demografischer Entwicklung – brauchen wir eine massive Zuwanderung. Diese Menschen werden wir jedoch nicht mehr in Europa finden, auch nicht in den neuen Ländern. Deshalb sind wir langfristig auf Immigranten aus Afrika und Asien angewiesen. Wir werden mit neuen Kulturen konfrontiert. Wie werden wir diese Menschen integrieren? Schon heute tun wir uns schwer mit der Integration von Menschen, die aus dem gleichen Kulturkreis stammen. Dieses Problem zu lösen wird die größte Herausforderung der kommenden Jahre.
Integrationsfaktor Sprache
Maryse Lanners: Bislang hat der Staat sich jedoch nicht ausreichend mit der Problematik befasst, wie Sie vorhin sagten. Ihre Dienststellen waren mit der Unterbringung von Asylanten ausgelastet. Wo muss denn der Hebel angesetzt werden?
Marie-Josée Jacobs: Wir brauchen mehr Mittel, das ist klar. Einer der wichtigsten Integrationsfaktoren ist die Sprache. Darauf müssen wir uns verstärkt konzentrieren. Viele Gemeinden bieten bereits seit Jahren Sprachkurse an. Einige haben sich besondere Motivationsstrategien einfallen lassen. Zum Beispiel, dass Ausländern die Kosten zurückerstattet werden, wenn sie einen Sprachkurs erfolgreich abschließen. Auch die ONGs, wie Asti, Clae und Sesopi bemühen sich sehr stark auf diesem Gebiet. Es ist also nicht so, dass gar nichts unternommen würde.
Maryse Lanners: Dennoch hat man den Eindruck, dass es vor allem viel Rhetorik gibt und wenig Taten. So wurde vor Jahren angekündigt, Ausländer bekämen die Möglichkeit, Sprachkurse während ihrer Arbeitszeit zu belegen. Bis heute wurde diese Maßnahme noch nicht umgesetzt.
Marie-Josée Jacobs: Sie wird in einem Gesetzentwurf von Arbeitsminister Francois Biltgen geregelt. Konkret geht es um die Freistellung von 80 Stunden während der Arbeitszeit. Der entsprechende Ausfall wird dem Arbeitgeber vom Staat zurückerstattet. Bislang verfügte das Arbeitsministerium über Kredite, die es ermöglichten, Sprachkurse zu besuchen während der Arbeitszeit. Viele Betriebe haben diese genutzt.
Maryse Lanners: Andererseits: Wie steht es eigentlich um die Bereitschaft von Ausländern, die luxemburgische Sprache zu erlernen? Stimmt es, dass Menschen, die von ganz weither zu uns kommen, eher bereit sind, Sprachkurse zu besuchen, als Ausländer aus den Grenzregionen?
Marie-Josée Jacobs: Ob sie Sprachkurse nehmen oder nicht, hängt vielfach davon ab, welchen Nutzen sie sich davon erwarten. Wir können EU-Bürger nicht dazu zwingen, Luxemburgisch zu lernen. Die Niederlassungsfreiheit kann nicht durch derartige Vorschriften eingeschränkt werden. Daher wäre auch ein “contrat d’accueil” nur bindend für Bürger aus Dritt-Staaten. Bestandteil eines derartigen Kontraktes wäre der Besuch von Sprachkursen, Zivilkunde und – zum Beispiel – generelle Informationen über Luxemburg sowie praktische Tipps.
Maryse Lanners: Wird der “contrat d’accueil” für Ausländer eingeführt?
Marie-Josée Jacobs: Er wird Teil der geplanten Amendements sein. Wie er genau aussehen wird, ist derzeit noch unklar. Wir schauen uns verschiedene Modelle im Ausland an. Und dann müssen wir das Projekt natürlich mit den Gemeinden absprechen. Sie spielen in der Integrationsproblematik eine Hauptrolle, weil sie am nächsten beim Bürger sind. Es ist wichtig, dass wir Wege finden, um Ausländer auf lokaler Ebene einzugliedern.
Maryse Lanners: Wie können Gemeinden die Integration fördern?
Marie-Josée Jacobs: Da gibt es viele Möglichkeiten. Zum Beispiel organisiert die Gemeinde Kiischpelt ein lokales Fest, bei dem sich alle neuen Einwohner vorstellen. Integration läuft über den Alltag, dessen muss man sich bewusst sein. Und dort muss sie gefördert werden. Ein weiteres Beispiel sind die “maison relais” als Begegnungsort für Eltern, die eines gemeinsam haben: Sie sind berufstätig und haben Kinder, die dort betreut werden. Da treffen sich Menschen, die sich sonst womöglich nie begegnet wären, knüpfen Kontakte, reden über Schulprobleme – den Alltag eben. Es gibt auch jede Menge interessante Projekte zur Förderung der Integration, zum Beispiel vom Service National de la Jeunesse. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Fremdenfeindlichkeit zumeist ein Ausdruck der Angst ist. Angst vor dem Unbekannten.
Maryse Lanners: Diesbezüglich liefert die jüngste Umfrage der Zeitung “Le Jeudi” Anlass zur Sorge: 60 Prozent der Luxemburger sind der Meinung, dass die Ausländer keinen Respekt vor der nationalen Identität haben, 72 Prozent finden, dass den Grenzgängern dieses Gefühl fremd ist, heißt es dort. Hat Sie das erschreckt?
arie-Josée Jacobs: Das hat mich zum Teil sehr erschreckt. Alles hängt natürlich mit der Fragestellung zusammen. Damit will ich aber nicht abstreiten, dass es ein Problem gibt.
Maryse Lanners: Laut dieser Umfrage ärgern die Leute sich am meisten über die Grenzgänger, weil diese die Luxemburger Identität am wenigsten respektierten…
Marie-Josée Jacobs: Ja, das berühmte “parlez français” in den Geschäften. Die Grenzgänger sind sehr schwer zu erreichen. Die “Conférence nationale des étrangers” hatte sie speziell angeschrieben, um über Integration zu diskutieren. Es kam aber niemand.
Maryse Lanners: Was wollen Sie an der aktuellen Integrationspolitik ändern?
Marie-Josée Jacobs: Generell müssen wir überprüfen, ob die aktuellen Instrumente noch die richtigen sind. Wir müssen den Ausländerkommissionen der Gemeinden zur Seite stehen, ihnen neue Ideen und Perspektiven geben. Zur Beratung der Gemeinden brauchen wir geschultes Personal. Ich weiß, dass die Vereinigungen diesbezüglich bereits jetzt sehr gute Arbeit leisten. Man muss ja auch zugeben, dass wir bislang wenige Probleme mit der Integration von Ausländern hatten. Bei uns gibt es keine Ausländerghettos. In jedem Dorf und in jeder Stadt leben Ausländer, sie sind im ganzen Land verteilt.
Maryse Lanners: Was sind Ihre Hauptsorgen?
Marie-Josée Jacobs: Dass wir die Leute überhaupt erreichen. Und dass das Gefühl, das aus der Umfrage hervorgeht, sich nicht durchsetzt. Wir müssen den sozialen Zusammenhalt dieses Landes erhalten…
Quelle: Télécran, 11. Juli 2007, Maryse Lanners