Kinderbetreuung, Jugendarbeit, Altenpflege, Chancengleichheit sowie die Integration der nicht-luxemburgischen Mitbürger, das Wirkungsfeld von Marie-Josée Jacobs ist weit gefächert. Die Familienministerin im Gespräch mit der CGFP-Zeitung
Das Wirkungsfeld von Familienministerin Marie-Josée Jacobs ist weit gefächert und reicht von der Kinderbetreuung über die Jugendarbeit bis hin zur Altenpflege. Ein ganz besonderes Augenmerk kommt seit geraumer Zeit ebenfalls der Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern zu. Zu den weiteren “ganz groβen Herausforderungen unserer Zeit” zählt für die Familienministerin zudem die Integration von Nicht-Luxemburgern, die mittlerweile über 40 Prozent unserer Bevölkerung ausmachen. Unter dem Motto “geben und nehmen” dürfe die multi-kulturelle Zusammensetzung der einheimischen Bevölkerung keineswegs als eine Bedrohung angesehen, sondern müsse sie vielmehr als eine einzigartige Chance für ein harmonisches Miteinander genutzt werden, erklärt Familienministerin Marie-Josée Jacobs im Gespräch mit Steve Heiliger von “fonction publique”.
fonction publique: Die Legislaturperiode hat kürzlich ihre Halbzeit überschritten. Anlass, bei der Familienministerin nachzufragen, wie es sich mit der Umsetzung des Regierungsprogramms in den Bereichen Familie, Chancengleichheit, Jugend- und Seniorenpolitik verhält?
Marie-Josée Jacobs: Sie erinnern sich, dass die allgemeine Finanzlage zu Beginn der Legislaturperiode nicht gerade rosig war. Das hatte seine Auswirkungen auf alle Politiken, auch auf die Familienpolitik. Nichtsdestotrotz, so meine ich, können wir mit einer durchaus vernünftigen Zwischenbilanz aufwarten. Es ging in erster Linie darum, die zur Verfügung stehenden Mittel gerade dort einzusetzen, wo sie am dringendsten benötigt wurden.
Ein Bereich, der mir da spontan einfällt, ist die Betreuung von Kindern und Jugendlichen, wo wir verstärkt in die Entwicklung der sogenannten “Maisons de relais” investiert haben, deren Sinn bekanntlich darin besteht, Kindern im schulpflichtigen Alter angemessene Betreuungsstrukturen zu bieten. In Luxemburg brechen im Schnitt rund 300 Jugendliche pro Jahr ihre schulische Laufbahn vorzeitig ab. Diesen Jugendlichen wollen wir mit gezielten Maßnahmen entgegenkommen, um sie entweder zu motivieren, ihre Studien fortzusetzen, oder aber, um sie auf dem sogenannten “ersten Arbeitsmarkt” unterzubringen. Ich denke in diesem Zusammenhang beispielsweise an den Gesetzesentwurf zur Förderung der Freiwilligenarbeit gerade bei Jugendlichen. Die Zielsetzung ist klar: Wir müssen diesen Menschen, die in jungen Jahren oftmals bereits einen sehr steinigen Weg hinter sich haben, neue Zukunftsperspektiven bieten. In Deutschland zum Beispiel geht die Rede von einem freiwilligen Sozialjahr. Das kann man sich durchaus auch in anderen Bereichen, wie etwa der Umwelt oder im Sport vorstellen, wo wir gemeinsam mit den Jugendlichen entsprechende Projekte entwickeln möchten. Gleichzeitig wollen wir den Nationalen Jugenddienst (“Service National de la Jeunesse”) reformieren. Parallel dazu müssen wir in den Jugendhäusern allein schon aufgrund der demographischen Entwicklung – über 40 Prozent aller Jugendlichen sind Nicht-Luxemburger – neue Wege gehen, um auch auf Vereinsebene das Miteinander zu fördern. Neue Initiativen, wie beispielsweise Projekte gegen die Gewalt und den Drogenkonsum, runden das Angebot ab. Dank all dieser Maßnahmen hoffen wir, auch einen Beitrag zu einer noch besseren Integration zu leisten. Und die Aufzählung wäre nicht komplett, wenn ich nicht zusätzlich zu all dem ein weiteres Gesetzesprojekt erwähnen würde, dessen Ziel es ist, gerade Kindern in Not einen besseren Schutz und eine bessere Betreuung zu gewährleisten.
Gewissermaßen als Pendant dazu haben wir unser Dienstleistungsangebot zugunsten unserer älteren Mitbürger erweitert. Neue Alten- und Pflegehäuser werden errichtet, andere durch aufwändige Umbauten den heutigen Gegebenheiten angepasst. Das erklärt auch zum Teil, dass es gerade jetzt in diesem Bereich gewisse Engpässe gibt. Das hindert uns aber nicht daran, neue Programme für die Zukunft zu entwickeln, wie beispielsweise das unter der Bezeichnung “Logement encadré” bekannte Konzept, das sich an Mitbürger richtet, die im Alter noch recht rüstig sind, gewisse Aufgaben wie etwa die Hausarbeit aber nicht mehr vollends allein erledigen können. Mussten diese Menschen früher gleich in ein Altenheim, finden sie heute einen Platz in einer dieser Strukturen, wo sie diejenige Unterstützung finden, die sie konkret benötigen. Dazu kann bis zu einem bestimmten Maß auch die Altenpflege zählen. Ab einem gewissen Moment muss dann natürlich auch der Übergang in ein richtiges Pflegeheim sichergestellt sein.
Parallel zur Alten- und Jugendpolitik haben wir unsere Bemühungen intensiviert, um den Wünschen und Anforderungen unserer behinderten Mitbürger gerecht zu werden. So konnte beispielsweise ein Gesetz gestimmt werden, das gerade behinderten Menschen – je nach der Schwere ihrer Behinderung – entweder ein Mindesteinkommen oder aber eine Arbeitsstelle in einem “Atelier protété” garantiert. Es geht vor allem darum, die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen besser zu ergründen und eine maßgeschneiderte Lösung anzubieten.
Ausbau der gezielten Hilfsleistungen
fonction publique: Sie wissen, dass die CGFP seit jeher in ihrem Aktionsprogramm der Familienpolitik ihre besondere Aufmerksamkeit widmet und auf diesem Gebiet eine Reihe Initiativen entwickelt hat, die Aufmerksamkeit hervorriefen und Fortschritte bewirkten. Wie ist es möglich, dass trotz guter Wirtschafts- und Finanzlage des Staates die Familien- und Kinderzulagen vor einem Jahr desindexiert wurden, wo es doch gerade darum gehen müsste, den Kaufkraftverfall dieser Beihilfen zu verhindern (Kindergeld, Erziehungszulage usw.)
Marie-Josée Jacobs: Die CGFP hat in all den Jahren gerade in dem Bereich der Familie Hervorragendes geleistet, was meine Achtung und Anerkennung verdient. Als Familienministerin wäre es auch mir natürlich lieber gewesen, wenn wir auf diese Maßnahme hätten verzichten können. Genau wie die Tripartite habe ich der Desindexierung letztlich dennoch zugestimmt, in einer Zeit, in der wir alle den Gürtel enger schnallen müssen und in der jedem Abstriche abverlangt werden. Sie dürfen erstens nicht vergessen, dass diese Beihilfen in Luxemburg trotz dieser Maßnahme immer noch weit über dem Niveau unserer Nachbarn liegen. Und zweitens kommen wir den betroffenen Familien ja über andere Wege entgegen. Ich denke nur an die Einführung des “Crédit d’impôt” und an die Neudefinierung von bestehenden Texten wie beispielsweise des Gesetzes über den Mindestlohn. Minderbemittelten Familien wollen wir gezielt unter die Arme greifen, und das weit über den Bereich der Kinderbetreuung hinaus. Ich denke etwa an konkrete Hilfen, um einen Haushalt ordentlich führen zu können. Solche gezielte Hilfestellungen scheinen mir sinnvoller als pauschale finanzielle Beihilfen. In Anbetracht dessen, so denke ich, ist die Tripartite-Maßnahme zur Des-indexierung der Familien- und Kinderzulagen schon vertretbar.
fonction publique: Ist es nicht so, dass den demographischen, sprich natalistischen Erwartungen, die früher auch an diese Beihilfen geknüpft wurden, heute keine Bedeutung mehr zuteil wird? Soll etwa das einheimische Nachwuchsdefizit hauptsächlich durch zunehmende Immigration aufgefangen werden?
Marie-Josée Jacobs: Offen gestanden bin ich nicht so ganz davon überzeugt, dass finanzielle Anreize die Geburten regeln könnten. Meines Erachtens ist und bleibt es wichtiger, gerade jungen Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind, die richtigen Auffang- und Betreuungsstrukturen für ihre Kinder zu bieten. Ohne die bestehenden Beihilfen in Frage stellen zu wollen, müssen wir in Zukunft verstärkt in diesen Bereich investieren. Dazu zählt auch der Ausbau und die Erweiterung der Elternschule, wo es gerade zwischen jungen Eltern zu einem interessanten Gedankenaustausch kommen kann. Ich denke vor allen Dingen aber auch an den Elternurlaub, der insbesondere auf Patronatsseite nicht immer auf Gegenliebe stößt, für die Erziehung der Kinder aber von größter Wichtigkeit ist. Mutterschafts- und Elternurlaub stellen sicher, dass ein Kind während anderthalb Jahren im Elternhaus erzogen werden kann, ehe eine andere Betreuungsstruktur überhaupt erst erforderlich wird. Diese Form der Erziehung hat sich seit jeher bewährt, und die gilt es auch zu erhalten. Es geht also keineswegs darum, an diesem bewährten Modell etwas ändern zu wollen, sondern ganz im Gegenteil diese Form der Betreuung durch zusätzliche Maßnahmen wie beispielsweise eine vorübergehende Teilzeitarbeit weiter zu fördern. Im öffentlichen Dienst besteht diese Möglichkeit ja schon. Jetzt setzen wir verstärkt darauf, auch im Privatsektor Partner zu finden, die diesen Weg mitgehen und ihren Angestellten zum Beispiel während der ersten Monate nach einer Geburt flexiblere Arbeitszeiten ermöglichen. Ich denke, um auf Ihre Ausgangsfrage zurückzukommen, dass solche Maßnahmen besser geeignet sind, um die Demographie in den Griff zu bekommen als das mit finanziellen Anreizen versuchen zu wollen. Europäische Vergleiche bestätigen im Übrigen diese Haltung: In skandinavischen Ländern, in denen die Auffangstrukturen für Kinder bestens funktionieren, sind demographische Probleme so gut wie inexistent. In den südlichen Ländern hingegen, in denen es diese Betreuungsstätten nur bedingt gibt, ist genau das Gegenteil der Fall.
fonction publique: Wäre es nicht an der Zeit, eine Art neue “Calot”-Studie in Auftrag zu geben, um zu erfahren, wo wir dran sind und wo wir hinsteuern?
Marie-Josée Jacobs: Aus rein demographischen Erwägungen heraus würde ich in unserer heutigen Zeit eher von einer solchen Studie absehen. Was ich hingegen befürworte, wäre eine Studie über die Armut innerhalb unserer Familien. Beides ist ja sehr eng miteinander verbunden. Wenn eine Familie auf ein zweites oder ein drittes Kind verzichtet, nur weil sie es sich angeblich nicht leisten kann, ist der Zusammenhang zwischen der demographischen Entwicklung des Landes und der finanziellen Situation der Familien doch hergestellt. Großfamilien benötigen zusätzlichen Wohnraum, möglicherweise auch ein geräumigeres Auto. Das wiederum kann sich nicht jedermann leisten. Wie wir hier Abhilfe schaffen könnten, sollte uns schon beschäftigen.
fonction publique: In punkto Familienbeihilfen fordert die CGFP u.a. die Erhöhung der sogenannten “baby years” von zwei auf vier Jahre, die Einführung einer spezifischen Altersversicherung für Ehepartner, die sich der Familienbetreuung widmen, und die Einführung einer sogenannten “allocation à l’investissement familial”, Forderung, die sie mit einem Gesetzesvorschlag untermauert hat. Wie stellt sich die Regierung dazu?
Marie-Josée Jacobs: Ohne dem in dieser Frage doch eher zuständigen Wohnungsbauminister zuvor kommen zu wollen, bin ich der Meinung, dass dem Wohnungsbau ein ganz besonderes Augenmerk zukommen muss, weil, so stellen wir fest, in der Tat große Unterschiede bestehen zwischen Menschen, die sich ein Eigenheim leisten können, und solchen, die das eben nicht können. Gerade wenn es darum geht, eine Familie zu gründen, gilt es, diese Diskrepanzen aus dem Weg zu schaffen. Was die Erhöhung der von Ihnen angesprochenen Baby-Jahre betrifft, haben wir in den letzten Jahren so manches bewirken können. Ich denke beispielsweise ebenfalls an die Möglichkeit, auch dann noch in einen Pensionsfonds einzahlen zu können, wenn man nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis steht. Frauen, die beispielsweise 15 oder 20 Jahre lang berufstätig waren und sich dann entscheiden, fünf weitere Jahre in einen solchen Fonds einzuzahlen, können letztlich von einer vernünftigen Rente profitieren – eine Möglichkeit, die es vor Jahren in dieser Form noch nicht gegeben hat.
Berufstätig bleiben
fonction publique: Die DP hat heute Vormittag (3. Mai 2007. Die Red.) in ihrer Pressekonferenz zur Familienpolitik eine interessante Forderung erhoben, die die Umwandlung des Kindergeldes für das erste Kind in eine nicht exportierbare Wohnprämie vorsieht und somit Geldmittel für ein besseres Kinderbetreuungsangebot hierzulande freisetzt. Wie stellen Sie sich zu einem solchen Vorschlag?
Marie-Josée Jacobs: Ich stelle mir ganz ernsthaft die Frage, ob eine solche Maßnahme in allen Fällen die angemessene Antwort sein kann. Sehen Sie, es gibt ja auch Familien, die bereits über ein Eigenheim verfügen. Solche Familien hätten doch eher Interesse daran, das Kindergeld in seiner jetzigen Form zu erhalten. Und dann gibt es natürlich auch Familien, die das Kindergeld für ihre laufenden Ausgaben schlicht benötigen. Ich bin sicherlich nicht bekannt dafür, mich Verbesserungsvorschlägen prinzipiell zu widersetzen. In dieser konkreten Frage aber bin ich der Überzeugung, dass sich unser jetziges System über all die Jahre bewährt hat. Einen Grund für eine radikale Veränderung erkenne ich sicherlich keinen.
fonction publique: Familie und Beruf noch besser unter einen Hut zu bringen, bleibt eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, und das trotz gut gemeinter Maßnahmen wie Elternurlaub oder Teilzeitarbeit. Was raten Sie Frauen, die einer beruflichen Tätigkeit nachgehen möchten und gleichzeitig eine Familie gründen wollen?
Marie-Josée Jacobs: Frauen, die diesen Wunsch haben, würde ich auf jeden Fall ermutigen, auch weiterhin berufstätig zu bleiben. Und das aus gutem Grund, wie ich meine. Sehen Sie, heutzutage werden in Luxemburg über 50 Prozent aller Ehen geschieden. Im öffentlichen Dienst ist es ja prinzipiell noch möglich, seinen Posten nach einer Auszeit wieder zu besetzen. Im Privatsektor hingegen gibt es diese Sicherheit nicht. Insofern könnte ich mir schon vorstellen, dass insbesondere Frauen ihre Arbeitszeiten nach der Geburt eines Kindes anders einzuteilen versuchten, niemals aber vollends auf ihre berufliche Tätigkeit verzichten sollten. Modelle, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen, gibt es genug. Sie müssen nur genutzt werden. Dann kommt aber noch ein weiterer Punkt hinzu: Durch den in so manchen Bereichen erfolgten Stellenabbau haben unzählige Menschen, die niemals damit gerechnet haben, ihren Arbeitsplatz verloren. Schauen Sie nur, wie viele Stellen in den vergangenen Jahren allein im Bankensektor abgebaut wurden. Und wenn wir es dann mit einer Familie zu tun haben, in der nur einer der beiden Ehepartner ein Gehalt bezieht, kann sich die Lage sehr schnell zuspitzen. Sehr häufig sind die Kinder noch im schulpflichtigen Alter, Darlehen müssen zurückgezahlt werden usw. Demzufolge, so meine ich, ist es schon wichtig, auch nach der Geburt eines Kindes berufstätig zu bleiben, auch wenn die Arbeitsmodelle, sofern dies möglich ist, den neuen Gegebenheiten angepasst werden sollten. Denn: Wer nach einer längeren Auszeit wieder Fuß in der Arbeitswelt fassen will, tut das nicht einfach so. Zum einen gibt es so viele offene Stellen nicht, und zum anderen ist die technische Entwicklung heute derart rapide, dass es sehr schwierig wird, nach einer mehrjährigen Pause Schritt zu halten mit den neuesten Gegebenheiten.
fonction publique: Bekanntermaßen sind es die Frauen, die die Kinder auf die Welt setzen. Die Natur will es so. Die damit verbundene Auszeit veranlasst so manchen Arbeitgeber, Frauen erst gar nicht in Spitzenpositionen aufsteigen zu lassen. Was raten Sie gerade jungen, engagierten und oft hoch ausgebildeten Frauen, die einmal in die “Teppichetage” eines Unternehmens aufrücken wollen? – Einfach kinderlos zu bleiben, kann doch nicht die Antwort darauf sein, oder?
Marie-Josée Jacobs: Ich möchte dazu vorab eins bemerken: Die Wirtschaft, sprich die Arbeitgeber haben auch eine gewisse Verantwortung und bestimmte Pflichten dem Land gegenüber. Denn: Wenn wir morgen kinderlos sind, brauchen wir auch keine Unternehmen mehr. Dessen müssen wir uns ganz einfach bewusst sein. In der Frage um die demographische Entwicklung des Landes muss demnach jeder gewillt sein, seine Verantwortung zu übernehmen, auch die Konzernchefs. Im Übrigen profitieren ja nicht nur die Frauen, sondern auch die Männer vom Elternurlaub. Insofern hat die Frage, so wie sie gestellt ist, heute kaum noch Bestand. Es kann doch nicht angehen, dass auf einmal nur noch eine bestimmte Schicht Frauen Kinder in die Welt setzt und eine andere Karriere macht. Um gerade dies zu verhindern, versuchen wir ja auch gemeinsam mit den Unternehmen, ein geeignetes Umfeld zur Förderung von Familie und Beruf zu schaffen. Denn eins müssen wir uns immer wieder vor Augen führen: Ob Frau oder Mann, ob jung oder erfahren, von jedem Einzelnen können in einem Unternehmen positive Impulse ausgehen. Auf diesen Mix kommt es an. Und gerade das wollen wir fördern und erreichen – auch im Interesse der Unternehmen.
fonction publique: Was antworten Sie denn Arbeitgebern – und wir sprechen hier ganz klar von einer kleinen Minderheit -, die ihren Beschäftigten hinter vorgehaltener Hand empfehlen, doch bitte schön auf Eltern- und Erziehungsurlaub zu verzichten, ansonsten ihre Aufstiegschancen im Unternehmen gefährdet seien…
Marie-Josée Jacobs: Ich finde dies insofern schade und bedauerlich zugleich, als der Mitarbeiter, der vom Elternurlaub profitiert, ja mit neuen, bis dahin nicht gekannten Erfahrungen ins Unternehmen zurückkehrt. Das gilt sowohl für die Frauen als auch für die Männer. In der Zeit des Elternurlaubs entfalten sich bis dahin ungeahnte Organisationstalente und Kompetenzen, die ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin vorher im Beruf vielleicht nicht benötigte, die dem Unternehmen aber sehr viel bringen können. Dass gerade kleine Betriebe mit zwei oder drei Beschäftigten hier vor eine große Herausforderung gestellt werden, dessen bin ich mir durchaus bewusst. Ich erlebe das ja auch in meinen Dienststellen und Ministerien. Sie sehen, selbst der öffentliche Dienst kennt diese Problematik. Ich bin und bleibe aber der Überzeugung, dass gerade jungen Eltern diese Möglichkeit einer Auszeit auch weiterhin gegeben werden muss, zum Wohle des Kindes und im Interesse der Familie.
fonction publique: Gerade in den Spitzenstunden droht auch Luxemburg im Verkehrschaos zu ersticken. Dank modernster Kommunikationsmittel könnten weitaus mehr Arbeiten von zuhause aus erledigt werden als das heute schon der Fall ist. “Telearbeit” lautet das Zauberwort. Verbirgt sich hinter dieser Arbeitsweise aber nicht auch die Gefahr, Menschen, insbesondere Frauen, zusehends in die soziale Isolation zu drängen?
Marie-Josée Jacobs: Doch. Daher bin ich auch davon überzeugt, dass die “Telearbeit”, um bei diesem Beispiel zu bleiben, bestenfalls als eine zeitlich begrenzte Übergangslösung betrachtet werden kann, die zudem ein gewisses Maß an Arbeitsstunden nicht überschreiten darf. Die Erklärung liegt doch auf der Hand: Neben der von Ihnen völlig zu Recht erwähnten Gefahr, in der Tat auf einmal vom Rest der Welt abgeschnitten zu sein, bringt das neugeborene Kind ja auch ein bestimmtes Maß an Arbeit und ein Bedürfnis an Pflege mit sich. Wie aber wollen Sie ein Kind erziehen und betreuen, wenn Sie gleichzeitig einer beruflichen Tätigkeit nachgehen müssen, auch wenn sie diese Arbeit vom heimischen Wohnzimmer aus erledigen wollten? Das passt einfach nicht zusammen. Insofern kann die “Telearbeit” meines Erachtens in einigen wenigen Fällen als Möglichkeit in Erwägung gezogen, niemals aber als generelle Lösung betrachtet werden.
fonction publique: Auf dem Gebiet der Kinderbetreuung hat die CGFP bereits vor über zehn Jahren ein deutliches Zeichen gesetzt mit der Einrichtung einer CGFP-eigenen Kindertagesstätte. Private Arbeitgeber hingegen tun sich oft heute noch schwer, wenn es um die Schaffung solcher Auffangstrukturen für Kinder geht. Müssten nicht gerade in diesem Bereich weitere Anstrengungen unternommen werden und wie könnten zusätzliche begleitende Kinderbetreuungsmaßnahmen des Staates aussehen?
Marie-Josée Jacobs: Bei der Schaffung von Kindertagesstätten sind und bleiben die Gemeinden unser wichtigster Partner. Bei der Betreuung von Kleinkindern etwa verhält sich die Sache im Prinzip so, dass die jeweilige Gemeinde die Infrastruktur stellt und der Staat denjenigen Teil der laufenden Kosten übernimmt, der nicht von den Eltern aufzubringen ist. Bei den eingangs erwähnten “Maisons de relais” verhält sich die Angelegenheit leicht anders: Hier zahlt der Staat aufgrund einer mit den Gemeinden unterschriebenen Konvention die Hälfte der Infrastrukturkosten und ein Maximum von 10.000 Euro pro Krippenplatz sowie die Hälfte der laufenden Kosten. Im Privatsektor steckt die Entwicklung wohl noch in den Kinderschuhen, doch versuchen mehr und mehr Arbeitgeber, insbesondere Finanzinstitute, ihren Mitarbeitern entsprechende Dienste im eigenen Haus anzubieten oder Vorzugstarife bei einem Fremdanbieter für die gesamte Belegschaft auszuhandeln. Hinter der Einrichtung von Kindertagesstätten innerhalb von Unternehmen verbirgt sich aber auch eine oftmals unterschätzte Gefahr, und zwar eine zu große Abhängigkeit des Arbeitnehmers seinem Arbeitgeber gegen-über. So soll es schon vorgekommen sein, dass ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nur deswegen nicht wechseln konnte, weil er sonst einen neuen Krippenplatz für das Kind hätte finden müssen. Nichtsdestotrotz bezuschusst der Staat auch die Gründung von Kindertagesstätten innerhalb von Unternehmen, auch wenn der Betrag eher bescheiden ausfällt und 15 Prozent der Investition kaum übersteigt. Erziehung:
Vater und Mutter gleichsam verantwortlich
fonction publique: Typisierung und geschlechtsspezifische Rollenverteilung haben sich bis ins 21. Jahrhundert durchgesetzt. Die Frau wird mit Erziehung, Familienleben und Emotion in Verbindung gebracht, während wir im Mann den Ernährer, Berufsleben und Rationalität zu erkennen glauben. Muss es hier nicht grundsätzlich zu einem Gesinnungswandel kommen? Wie könnte konkret der Beitrag Ihres Ministeriums aussehen?
Marie-Josée Jacobs: Insbesondere bei jungen Menschen haben wir diesen Gesinnungswandel weitgehend erreicht. Dass dennoch ein gewisser Nachholbedarf besteht, ist für mich allerdings genau so sicher. Mir scheint auf jeden Fall nichts wichtiger, als dass Vater und Mutter sich gleichsam um die Erziehung ihrer Kinder kümmern und die damit verbundenen Aufgaben und Pflichten auch gleichmäßig unter sich aufteilen. Kinder brauchen Vorbilder, besonders Jungen benötigen das Vorbild des Vaters und das ist weder zu ersetzen durch Computerspiele noch durch andere materielle Werte. Aus diesem Grunde möchten wir ja auch die Teilzeitarbeit nicht nur für Mütter, sondern gleichermaßen auch für Väter fördern.
fonction publique: Innerhalb der Beamtenschaft wird die Chancengleichheit respektiert: Die Einstellungsprüfungen sind anonym, die Aufstiegsmöglichkeiten gesichert, das Gehalt für Frau und Mann dasselbe. Das scheint in der Privatwirtschaft nicht immer der Fall zu sein. Frauen verdienen in Luxemburg größtenteils weniger als Männer, allein aufgrund ihres Geschlechts, heißt es. Welche Kontrollmechanismen gedenken Sie sich zu geben, um dieser Entwicklung wirksam entgegenzuwirken?
Marie-Josée Jacobs: Wir stellen in der Tat Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern bis zu 15 Prozent fest. Die Statistiken sprechen da eine sehr deutliche Sprache. Interessanterweise gibt es diese Unterschiede allerdings kaum bei den Anfangsgehältern, sondern schleichen sie sich erst im Laufe der Jahre nach und nach ein. Ein Ingenieur, um nur ein Beispiel zu nennen, hat in der Regel ein bestimmtes Anfangsgehalt, und das unabhängig davon, ob es sich bei dem Kandidaten um eine Frau oder um einen Mann handelt. Letztlich sind es aber die Männer, die die größeren Aufstiegschancen haben. Fort- und Weiterbildungskurse werden zusehends an den Wochenenden organisiert und richten sich somit von vornherein schon eher an ein männliches Publikum. Auch werde ich den Eindruck nicht los, dass Frauen bei ihren Aufstiegsmöglichkeiten im Gegensatz zu den Männern schon recht früh gegen Barrieren rennen, die für sie kaum überwindbar sind. Das gilt im Übrigen nicht nur für junge Mütter, sondern ebenfalls für kinderlose Frauen, die ja vielleicht später einmal Kinder bekommen könnten. Wir sind jedenfalls sehr darum bemüht, die Balance zwischen Frauen und Männern in unseren Unternehmen ins Gleichgewicht zu bringen und die Unternehmer davon zu überzeugen, dass auch sie nur als Gewinner aus einer solchen Situation hervorgehen können. Unsere Bemühungen tragen auch schon erste Früchte. Eine große Bank beispielsweise hat sich verpflichtet, mehr Frauen in ihre Führungsgremien aufzunehmen. Solche Beispiele bestärken uns in unserer Arbeit und haben gleichzeitig Vorbildfunktion.
fonction publique: Haben Sie Verständnis dafür, dass eine Vereinigung gegründet wurde, die sich für die Rechte des Mannes stark macht? Werden die Männer in unserer heutigen Zeit diskriminiert, in der Frage um das Sorgerecht eines Kindes etwa, wie die AHL beteuert? Es ist ja so, dass auch Männer und Väter berechtigte Anliegen haben und gleiche Rechte beanspruchen können, die es heute anscheinend nicht gibt, sonst wäre diese Vereinsgründung doch kaum erfolgt…
Marie-Josée Jacobs: Ich denke, dass der Mann in der Vergangenheit in einzelnen Fragen schon anders behandelt wurde und zum Teil auch heute noch anders behandelt wird wie die Frau. Aus diesem Grunde wollen wir ja auch Änderungen im gesetzgeberischen Bereich vornehmen, so etwa, was das Scheidungsgesetz betrifft. Das von Ihnen erwähnte Sorgerecht eines Kindes beispielsweise soll nach dem nun vorliegenden Geseztesentwurf künftig gleichermaßen auf beide Elternteile aufgeteilt werden. Wenn noch weitere Diskriminierungen vorliegen, müssen wir alles unternehmen, um auch diese aus der Welt zu schaffen. Das steht doch außer Frage. Denn: Die Gleichstellung eines Geschlechts kann und darf niemals auf Kosten des anderen Geschlechts gehen. Ich denke, in dem Punkt stimmen wir auch überein. In der Art und Weise, wie wir dorthin kommen, gehen die Meinungen vielleicht noch etwas auseinander.
fonction publique: Die Tatsache, dass über die Gleichberechtigung gesprochen wird, zeigt ja vor allem eins, und zwar, dass sie noch nicht in allen Bereichen vollends erreicht worden ist. Sehen Sie eine Chance, dass – im Zuge der Bemühungen um die Gleichstellung beider Geschlechter – eines Tages vielleicht doch der Paragraph über die Chancengleichheit wiederum hinfällig und ein einziger Paragraph über die Gleichheit aller Menschen genügen wird?
Marie-Josée Jacobs: Frauen und Männer müssen sich gleichsam dieser Herausforderung stellen. Dazu zählt die vorhin schon erwähnte gleichmäßige Aufteilung der Aufgaben und Pflichten innerhalb einer Familie ebenso wie ein gesundes Miteinander im Berufs- und Wirtschaftsleben. Dann, so denke ich, sind die Grundvoraussetzungen hierzu schon einmal geschaffen.
fonction publique: Als Familienministerin dürfte Ihnen auch die Altenbetreuung und Altenpflege besonders am Herzen liegen. Die Warteliste, um in einem Alten- oder Pflegeheim aufgenommen zu werden, ist lang. Was gedenken Sie gerade in diesem Bereich zu unternehmen, um der steigenden Nachfrage auch gerecht werden zu können? In einem wohlhabenden Land wie Luxemburg kann es doch nicht angehen, dass pflegebedürftige Menschen eine Lösung jenseits unserer Landesgrenzen suchen müssen…
Marie-Josée Jacobs: Gerade in diesem Bereich haben wir in den vergangenen Jahren so manches bewirken können. Viele neue Alten- und Pflegehäuser wurden fertiggestellt oder in Angriff genommen. Mit einem Anteil von einem Pflegebett auf 6.000 Einwohner, die älter sind als 65 Jahre, liegen wir im europäischen Vergleich weit an der Spitze. Und wenn die Nachfrage in der Tat sehr groß ist, führe ich das in erster Linie auf unser vielfältiges Angebot zurück. Jeder hat die Möglichkeit, in einem Pflegeheim oder “Centre Intégré” aufgenommen zu werden. Und wer die finanziellen Möglichkeiten dazu nicht hat, dem wird über den staatlichen “Fonds de solidarité” unter die Arme gegriffen. Ich will aber keineswegs leugnen, dass zurzeit in der Tat Engpässe bestehen, die vor allem darauf zurückzuführen sind, dass sich mehrere Häuser im Umbau befinden und daher vorübergehend geschlossen sind. Gerade weil die Nachfrage derart groß ist, haben wir den Bau von neuen Häusern beschlossen, so etwa in Junglinster, in Petingen und in der Stadt Luxemburg. Und wenn diese Bauten einmal fertiggestellt sind, können wir auch zahlreichen zusätzlichen Anfragen gerecht werden. Wir sprechen übrigens hier von beachtlichen Investitionen: Die Einrichtung eines neuen Pflegebettes kommt den Staat im Schnitt um die neun Millionen alter Luxemburger Franken zu stehen. Wenn man bedenkt, dass solche Häuser in der Regel um die 100 Betten zählen, liegt der Kostenpunkt eines solchen Hauses bei knapp einer Milliarde alter Franken. Ich denke, hier hat der Staat schon große Anstrengungen gemacht.
fonction publique: Worin sehen Sie eine der größten sozialen Zukunftsaufgaben des Landes?
Marie-Josée Jacobs: Bei einem Ausländeranteil von über 40 Prozent zählt die Integration von Nicht-Luxemburgern für mich sonder Zweifel zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Die multi-kulturelle Zusammensetzung unserer Bevölkerung sollte keineswegs als eine Bedrohung angesehen, sondern muss als eine Chance genutzt werden. “Geben und nehmen”, muss die Devise lauten. Ein besonderer Stellenwert kommt dabei den eingangs bereits erwähnten “Maisons de relais” zu, wo Kinder und Jugendliche bereits in frühen Jahren zu einem gesunden Miteinander ermutigt werden. Es geht schlicht und ergreifend darum, nicht nur nebeneinander, sondern buchstäblich miteinander zu leben. Und das wollen wir fördern. Denn letztlich können nur beide Seiten ausgiebig davon profitieren.
fonction publique: Frau Ministerin, wir bedanken uns recht herzlich für dieses Gespräch.
Quelle: CGFP-Organ, Mai 2007, Steve Heiliger