Das Schengen-Label macht Sinn

Aufregung um die globale EU-Weinbaureform, internationaler Impakt dank der geplanten Schengen-Charta, neues Qualitätsprädikat für Spitzenweine: Im Télécran-Interview bezieht Weinbauminister Fernand Boden Stellung

Télécran: Herr Minister, warum war die EU-Weinbaureform notwendig?

Fernand Boden: In den letzten Jahren ist in der EU der Export gesunken und der Import von Weinen gestiegen, ein erheblicher Teil der Weinproduktion in Europa ist destilliert worden. Das kostet eine halbe Milliarde Euro im Jahr, und ist schlicht nicht sinnvoll! Europa ist das größte Weinbaugebiet und der größte Exporteur der Welt, mit Bulgarien und Rumänien sind noch zwei weitere Weinproduzenten hinzu gekommen – in Europa gibt es 3,8 Millionen Hektar Rebfläche, das sind zwei Prozent des gesamten landwirtschaftlichen Areals. Die EU zählt 1,8 Millionen Winzer.

Es macht also Sinn, dass versucht wird, dort, wo Überproduktion herrscht und die Weine destilliert werden müssen, andere Wege zu beschreiten. Die Lösung kann aber nicht sein, 400000 Hektar Rebfläche zu roden, so wie die Kommission es vorgeschlagen hat. Damit kann niemand leben. Denn wenn es stimmt, dass weniger Wein getrunken wird, dann ist es genau so richtig, dass die Konsumenten mehr Qualitätswein verlangen – die EU produziert zu viel Tafelwein, nicht zu viel Qualitätswein!

Wir brauchen demnach gezielte Lösungen, aber kein pauschales Abroden. Ich bin überzeugt: Wenn weniger Wein niedriger Qualität hergestellt wird, steigen die Nachfrage und der Export. Der Ansatz der Kommission ist richtig: statt eine halbe Milliarde in die Destillation zu stecken, soll dieses Geld benutzt werden für eine bessere Unterstützung der Prädikatsweine – und parallel für eine aggressivere Vermarktung der europäischen Weine, denn auch auf diesem Gebiet herrscht Nachholbedarf.

Télécran: Sie plädieren, wie die meisten EU-Minister, für einzelstaatliche Lösungen statt für globe Direktiven…

Fernand Boden: Das Problem ist, dass die Kommission nicht klar genug gemacht hat, dass Rodungen nur dort vorgenommen sollen, wo sie Sinn machen. Das hat für einige Aufregung gesorgt. Ich bin aber auch der Meinung, dass nicht jeder einzelne Winzer entscheiden kann, wo gerodet wird und wo nicht – das ist die Sache der Staaten. Luxemburg ist ein Qualitätsweingebiet, und wenn jeder nach seinem Gutdünken dort Reben ausheben könnte, wo er will, wäre das eine Katastrophe. Das gilt für alle Weinbaugebiete. Die Kommission war in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend, aber ich hoffe, dass sie am Ende einsieht, dass das die Lösung nicht sein kann. Noch einmal: Jeder Staat muss mitentscheiden können, was in den eigenen Weinbaugebieten passiert.

Télécran: In Luxemburg gibt es bei einer Rebfläche von 1 300 Hektar ohnehin kaum noch etwas zu roden…

Fernand Boden: Wir haben festgelegt, wo produziert werden kann, und sind der Meinung, dass dieses Areal in Ordnung ist. Die bisher gerodeten Reben befanden sich nicht im Weinbau-Perimeter, und ich schließe nicht aus, dass hier und dort noch einige Reben ausgehoben werden können, wenn die Lage für Weinbau nicht geeignet ist. Aber das beschränkt sich auf ganz kleine Flächen. Im Prinzip soll am bestehenden Areal nichts geändert werden: Der Weinbau ist ein integraler Bestandteil unseres Landes, auch in touristischer Hinsicht, und eine ganze Region lebt zu einem großen Teil von der Weinkultur.

Ich möchte hier einflechten, dass es mich freut, dass die Umweltverwaltung die Notwendigkeit der Flurbereinigung eingesehen hat. Ein Hauptzweck des “Remembrement” ist ja auch, dass später in diesen Gebieten besser gewirtschaftet werden kann, unter der Berücksichtigung von Umwelt-Kriterien. Die Flurbereinigung ist ein wichtiges Element, wenn wir weiterhin Weinbau betreiben wollen. Das betrifft u. a. die Steillagen, in denen ja oft die besten Weine entstehen – wir müssen demnach alles tun, um in diese Lagen zu fördern. Wir haben Terrassen angelegt, damit diese steilen Lagen auch maschinell bewirtschaftet werden können. Im Agrargesetz sind höhere Landschaftspflegeprämien vorgesehen, damit die Leute ermutigt werden, in schwierigen Lagen Weinbau zu betreiben und die Lagen zu erhalten.

Das ist die Botschaft, die wir der Kommission zu verstehen gaben, und ich glaube, dass diese in Brüssel angekommen ist. Wir müssen noch Überzeugungsarbeit leisten, aber ich bin optimistisch, dass die zuständige Kommissarin bei ihrem Besuch in Luxemburg Ende Mai die Luxemburger Belange verstehen wird. Ich denke, dass der Schwerpunkt Rodung im Sinne der Winzer umformuliert werden wird.

Télécran: Herr Minister, wird in Luxemburg zuviel Wein produziert?

Fernand Boden: Nein, in Luxemburg wird ja kaum Tafelwein produziert. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen, u. a. wurde der Hektarhöchstertrag strenger geregelt, auch wenn man die Latte noch höher setzen könnte. In den letzten Jahren sind im Weinbau und in der Weinkelterung viele Anstrengungen gemacht worden. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Luxemburger Weine regelmäßig auf Wettbewerben ausgezeichnet werden.

Wir müssen für die richtige Werbung, für die richtige Propaganda sorgen, damit der Konsument Luxemburger Wein trinkt und auch bereit ist, für diesen Qualitätswein aus dem eigenen Land etwas mehr auszugeben. Die Richtung stimmt auf jeden Fall! Ich will hinzufügen, dass der Weinkonsum in Luxemburg – im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa – gestiegen ist. Allerdings hat nur der Genuss von Rotwein zugenommen. Deshalb muss man versuchen, das Publikum mehr für unseren Wein zu interessieren, auch im Ausland. In Belgien z.B. ist noch einiges zu holen, aber wir müssen auch versuchen, andere Standbeine aufzubauen.

Télécran: Zurück zur Europäischen Kommission, der auch die Chaptalisierung, das Anreichern des Mostes mit Zucker, ein Dorn im Auge ist.

Fernand Boden: Vor zehn Jahren gab es in Luxemburg laute Kritik gegen die Möglichkeit, Weine durch Most anderer Herkunft anzureichern, man fürchtete, der Typus der Luxemburger Weine ginge verloren. Doch heute wird konzentrierter, geschmacksneutraler Most in Luxemburg regelmäßig verwendet. Ein Verbot würde gar keinen Sinn machen. Das Problem ist halt, dass dieser Most relativ stark subventioniert wird. Die Kommission hatte argumentiert, diese Subvention abzuschaffen, was zu lauten Protesten in den südlichen Ländern geführt hätte, und gleichzeitig sollte auch die Anreichung der Weine durch Saccharose in den nördlichen Ländern verboten werden. Das Projekt der Kommission sieht vor, dass die Kriterien der internationalen Weinbau-Organisation OIV angewendet werden. Das ist aber ein Irrweg, denn es würde bedeuten, dass traditionelle önologische Verfahren wie die Chaptalisierung, die u. a. in Luxemburg noch immer angewendet wurde, auf einmal verboten werden. Das ist doch unlogisch!

Dazu kommt, dass dort, wo mit Zucker angereichert wird, keine Überproduktion herrscht, dort wird nicht distilliert. Ich denke, dass das Mostkonzentrat weiter subventioniert werden wird, vielleicht mit etwas weniger Geld, aber man wird einen Kompromiss finden. In nördlichen Weinbaugebieten wie Luxemburg gibt es nun einmal Jahrgänge, in denen man anreichern muss, so wie in südlichen Ländern angesäuert werden muss, damit ordentliche Weine entstehen. Alles in allem wurde die Problematik hochgespielt, und ich glaube nicht, dass sie in der letzten Verhandlungsrunde im Mai eine Rolle spielen wird.

Télécran: Luxemburger Wein genießt in der Luxemburger Gastronomie nicht den Stellenwert, der ihm zusteht. Ist das Problem zu lösen?

Fernand Boden: Europaweit besteht der Trend zu Importen aus Kalifornien, Chile usw… Das ist der freie Markt. Wir müssen schauen, die in Luxemburg ansässigen Konsumenten und Fachleute für den Luxemburger Wein zu interessieren, das versuchen wir ja über die Commission de promotion, u. a. in Zusammenarbeit mit den Sommeliers. Wenn jeder bedeutende Betrieb einmal bei solchen Veranstaltungen, oder an Kursen über Luxemburger Weine, teilnimmt und das gastronomische Potenzial kennen lernt, das in Luxemburger Weinen steckt, dann hat man schon viel erreicht. Auch in den Hotelschulen muss der “accord mets et vins luxembourgeois” gefördert werden. Aber in der Luxemburger Gastronomie arbeitet hauptsächlich nicht luxemburgisches Personal, das oft keinen Bezug zu unseren Weinen hat. Wir müssen selbstverständlich versuchen, dort einzuwirken. Allerdings darf man nicht übersehen, dass die Gewinnmarge bei ausländischen Weinen – wenn auch oft minderer Qualität – oft weit höher sind als bei Luxemburger Qualitätsweinen. Im absoluten Vergleich stimmt das Verhältnis Qualität/Preis bei den hochwertigen Luxemburger Weinen aber absolutl

Télécran: Der gute alte “Patt” könnte ja wieder die mediale Funktion übernehmen, die er einst innehatte…

Fernand Boden: Ja, das ist eine Spur, die von der Commission de promotion verfolgt und die auch von den Winzern diskutiert wird. Warum sollte man nicht gezielt Qualitätsweine “au verre” anbieten, mit der entsprechenden Werbung und auch über einen angepassten, interessanten Preis pro Glas?

Hinzu kommt auch, dass wir demnächst auch in Luxemburg die 0,5-Promille-Grenze einführen werden. Das bedeutet, dass eine Flasche Wein für zwei Leute schon zuviel sein kann – also käme das Angebot eines Qualitätsweins “im Glas” gerade recht. Man muss umdenken und innovieren, die Chancen nutzen. Das ist letztlich die Aufgabe der Commission de promotion.

Télécran: Wie steht es um die ominöse Schengen-Charta, die seit mehr als einem Jahr in der Diskussion steht?

Fernand Boden: Die Akteure, also die Winzer, sind selbst gefordert. Zu Beginn sollte die Qualitätscharta ja nur für den Raum Sehengen gelten, jetzt wird wohl die gesamte Mosel betroffen sein. Jedenfalls scheint sich die Idee durchzusetzen, dass etwa fünf Prozent der Luxemburger Weine als absolute Spitzenprodukte ausgewiesen sein werden, um im Ausland als Aushängeschild firmieren zu können. Diese Weine müssen aber bestimmten Kriterien entsprechen: niedriger Ertrag, Lagenspezifizierung usw. Das Schengen-Label macht Sinn, weil dieser Name international einen gewissen Impakt hat. Ich unterstütze die Idee, nur muss genau definiert werden, was denn nun einen absoluten Spitzenwein ausmacht. Es muss eine echte Selektion sein, wir haben ja heute das Problem bei der Marque nationale, dass viel mehr Grands Premiers Crus als Premiers Crus vergeben werden… Eine Verdichtung der Qualitätsspitze würde dem Image der Luxemburger Weine sicher helfen, auch und gerade international.

Télécran: Wäre ohne die Charta denn nicht ohnehin eine weitere Neuregelung bei der Marque nationale notwendig?

Fernand Boden: Im Januar sind ja einige Veränderungen eingetreten. In diesem Rahmen hatte ich vorgeschlagen, ein solches Spitzenprädikat vorzusehen, aber die Winzer wollen zunächst einmal Erfahrungen mit ihrer eigenen neuen Charta sammeln. Darin spielen ja auch die Kriterien Hektar-Höchstertrag und Lagentypizität eine wichtige Rolle.

Télécran: Herr Minister, welche Rebsorte bevorzugen Sie persönlich?

Fernand Boden: Ich mag sehr gerne Pinot gris, und trinke Cremant bei vielen Gelegenheiten. Ich neige weniger zu ganz trockenen Weinen…

Quelle: Télécran, 2. Mai 2007, Claude François