Nichthandeln führt zur Polarisierung

Einladung zu einem Sozialwort der katholischen Kirche in Luxemburg. Drei Fragen an CSV-Generalsekretär Marco Schank
Seit Herbst 2006 befasst sich die katholische Kirche in Luxemburg auf Einladung von Erzbischof Fernand Franck mit der Ausarbeitung eines Sozialwortes. In ganz unterschiedlichen Gremien und Organisationen, in Pfarrverbänden und kirchlichen Dienststellen werden zu den Themen Armut, Arbeit und Beschäftigung, Migration und Flucht, Erziehung und Bildung, Familien- und Lebensfragen sowie Politik schriftliche Eingaben formuliert. Auch Politiker setzen sich mit den im Sozialwort thematisierten Fragen auseinander. Mit CSV-Generalsekretär Marco Schank unterhielten wir uns über den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft, über Armut und die Rolle der Christen in diesem Kontext.

Der Zusammenhalt in unserer modernen Gesellschaft soll gestärkt werden. Worin besteht für Sie eine gelungene “cohésion sociale”?

Eine Gesellschaft, die überleben will, braucht den sozialen Zusammenhalt, braucht die Bereitschaft zum solidarischen Handeln, braucht Menschen, die sich gegenüber dem Mitmenschen tolerant zeigen.

Gestaltungsauftrag der Politik ist es, sich an diesen Prinzipien zu orientieren und alles zu tun, damit jeder Einzelne in die Gesellschaft eingebunden werden kann. Die Politik ist demnach immer wieder aufgefordert, entschlossen bestehende oder neu auftretende Formen der Ungerechtigkeit, der Ausgrenzung und der Diskriminierung zu überwinden und abzubauen. Damit wir von einer gelungenen “cohésion sociale” sprechen können, müssen wir die sozialen Gräben in unserer Gesellschaft abbauen, verbunden mit dem Ziel der Förderung gleicher Chancen für alle.

Luxemburg gehört zu den reichsten Ländern der Welt. Wie stehen Sie dazu, dass trotzdem so viele Menschen mit einem Armutsrisiko leben müssen?

Im Prinzip bezeichnet Armut Perspektivlosigkeit, den Mangel an Chancen, ein Leben zu führen, das gewissen Minimalstandards entspricht. Obwohl wir in Luxemburg ein hohes Maß an sozialer Absicherung garantieren können und obwohl viele Maßnahmen zu Armutsbekämpfung getroffen wurden, ist es eine Tatsache, dass in unserem Land nach den sozialen Transferleistungen immerhin fast zwölf Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben müssen. Zu bemerken ist an dieser Stelle, dass ohne das Eingreifen des Staates bis zu 20 Prozent unterhalb der Armutsgrenze leben würden.

Armut ist demnach für mich eine Herausforderung an die Gesellschaft, an uns alle! Auch wenn, gemessen an der Existenz gefährdenden Armut, wie sie etwa in Ländern der Dritten und Vierten Welt herrscht, in Luxemburg sich Armut anders darstellt, so bleibt festzustellen, dass wir dem Problem der Armut nicht gleichgültig gegenüber stehen dürfen. Die Bekämpfung der Armut ist immer auch ein Schritt für ein Mehr an sozialer Gerechtigkeit und somit auch an sozialem Zusammenhalt.

Das Sozialwort der katholischen Kirche soll zum gesamtgesellschaftlichen Dialog beitragen.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen und Möglichkeiten für Christen, am gesellschaftlichen Zusammenhalt mitzuwirken?

An erster Stelle möchte ich unterstreichen, dass ein Nachdenken über den sozialen Zusammenhalt, eine Reflexion über das Miteinander und das solidarische Zusammenspiel in der Gesellschaft, kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit ist. Das Sozialwort der katholischen Kirche wird in diesem Sinn einen wichtigen Beitrag darstellen, dies über die Gruppe der engagierten Christen hinaus.

Die Herausforderung besteht allerdings darin, den sozialen Zusammenhalt nicht nur durch Worte zu beschreiben, sondern durch Taten und Aktionen zu festigen und zu garantieren. Die Bekämpfung von Armut, die Risiken und Armutsfallen gehen uns alle etwas an, sie wurden eben nicht geklärt durch Gleichgültigkeit, sondern durch viele kleine und große Schritte, die tagtäglich möglich sind. Ein Nichthandeln führt zur Polarisierung der Gesellschaft, verbunden mit einer Kluft zwischen gut situierten, wohlhabenden Reichen und wirklich Armen.

Und Handlungsbedarf besteht auf vielen Ebenen u. a., im bildungs- und wohnungspolitischen Bereich, im gesellschaftlichen Zusammenleben, jedoch auch und besonders betreffend die Teilhabe an der Gestaltung und der Mitbestimmung der Gesellschaft.

“Jidder Eenzelen zielt” sagen wir in unserem Grundsatzprogramm. Jedem muss geholfen werden und jeder kann, muss, mithelfen. Gerade in der jetzigen Welt, in der die soziale Kohäsion bröckelt und die Gräben wieder tiefer werden. Wahrscheinlich brauchen wir auch immer wieder aufrüttelnde, glaubhafte Stimmen – wie die eines Abbé Pierre -, damit wir den sozialen Zusammenhalt als echte Aufgabe verstehen.

Quelle, D’Wort, 3. März 2007, Mireille Sigal