REACH – auch eine ethische Verantwortung

“Schwarzweißmalerei ist bei einer so komplizierten Verordnung wie der Chemikalienrichtlinie unverantwortlich.” Erna Hennicot-Schoepges, Europaabgeordnete

Der Kompromiss, der dem europäischen Parlament vorliegt, gibt weder den gesundheits- und umweltpolitischen Schwerpunkten noch den wirtschaftlichen Argumenten den Vorrang. Es ist eben ein Kompromiss, entstanden mit Rücksicht auf die Probleme der chemischen Industrie, unter Wahrung des Hauptziels, 100 000 Chemikalien einheitlich zu registrieren und zu genehmigen sowie Bedingungen für umweit- und gesundheitsschädliche Substanzen zu schaffen, die sich für den Binnenmarkt nicht wettbewerbsverzerrend auswirken sollten.

Die Bemühungen des Europäischen Parlamentes sollten daher nicht kleingeredet werden, auch wenn noch Mängel im Text verbleiben. Damit die Registrierung nicht zu einem Moloch wird, muss die eigens geschaffene Agentur handlungsfähig sein. Dass wenig europäisch gehandelt wurde, zeigt sich daran, dass das 15köpfige Entscheidungsgremium aus der Vorlage des EU-Kommission vom Ministerrat um 27 zusätzliche Mitglieder aufgestockt wurde (1 pro Mitgliedstaat). Nun hat die Agentur vorerst einmal Schwierigkeiten mit ihrer Finanzierung.

Seit 1981 sind Chemikalien nicht mehr völlig befreit von Auflagen, internationale Registrierung gab es bereits auf OECD-Ebene und durch Verbände der chemischen Industrie. Mit REACH (Registration, Evaluation and Authorisation of Chemicals) soll es geregelte Zulassungsbestimmungen geben, mit Alternativen für gefährliche Produkte – nach harten Auseinandersetzungen (5 000 Änderungsanträge in erster Lesung). Notorischer Schwachpunkt bleiben nicht berücksichtigte Substanzen von Produktionsmengen zwischen ein und zehn Tonnen Produktion/ Verbrauch pro Jahr. Etwa 17 000 Substanzen sind damit von umfassenden Kontrollen ausgenommen. Stoffe, die das Hormonsystem stören, sind auch ausgenommen, ihre obligatorische Substituierung ist nicht festgehalten. Mögliche Verursacher von Sterilität werden also nicht zwingend und vordringlich bekämpft. Das Parlament hat allerdings erreicht, dass dieser Beschluss in sechs Jahren überprüft wird. Eine ethische Frage, die sich auch Konzernen und Betrieben stellen müsste, die solche Produkte verwenden. Kein Land allein hätte eine solche integrale Gesetzgebung auf den Weg gebracht, das konnte nur in einem Verband zwischen Vertretern der Mitgliedstaaten, der Industrie und der Umweltschützer gelingen. 40 andere Gesetzgebungen werden durch diesen neuen Text ersetzt.

Die vordringlich geäußerte Befürchtung, die chemische Industrie würde nun in andere Kontinente abwandern, lässt tief blicken. Müssten dort nicht dieselben Vorsichtsmaßnahmen für die Menschen der Entwicklungsländer gelten?

Erna Hennicot-Schoepges, Europaabgeordnete

Quelle: D’Wort, 26. Januar 2007