Vielfalt als Chance

Europäisches Jahr der Chancengleichheit: Ministerin Marie-Josee Jacobs im Gespräch

Der Startschuss für das Europäische Jahr der Chancengleichheit fällt heute auf einem Gipfeltreffen in Berlin, auf dem Luxemburg durch Marie-Josee Jacobs vertreten ist. Im Gespräch mit dem “Wort” äußert sich die Chancengleichheits- und Familienministerin zum Sinn solcher Kampagnen und dem Beitrag, den Luxemburg leisten wird.

d’Wort: Frau Ministerin, die EU hat das laufende Jahr der Chancengleichheit gewidmet. Sind solche Aktionen in Ihren Augen wirksam?

Marie-Josée Jacobs: Natürlich reicht so ein Jahr nicht aus, um den Kampf gegen Diskriminierung nachhaltig zu gewinnen. Wichtig ist vor allem ein stetiges Einwirken auf die Menschen, denen wir klar machen müssen, dass sie Diversität als Chance begreifen sollen: Die Vielfalt der Gesellschaft hilft uns allen. Nehmen Sie etwa die zunehmende Veralterung der Bevölkerung. Wir sind auf Zuwanderung angewiesen, wenn unser Sozialsystem langfristig überleben soll. Oder auch die Wirtschaft: Immer mehr Unternehmen verstehen eine Belegschaft, die sich aus verschiedenen Bevölkerungsgruppen zusammensetzt, als Standortvorteil.

d’Wort: Glauben Sie wirklich, dass sich mit von oben verordneten Kampagnen die Einstellung der Bürger verändern lässt?

Marie-Josée Jacobs: Der Mentalitätswechsel ist wohl wichtig, auch wenn er schwierig zu bewerkstelligen ist. Deswegen wollen wir auf verschiedenen Ebenen ansetzen, wobei unser Augenmerk der Jugend gilt: Es ist einfacher und der ganzen Gesellschaft auch dienlicher, die Vorurteile in den Köpfen junger Leute zu beseitigen als dies bei jemandem zu versuchen, der seit Jahrzehnten an seinen vorgefertigten Meinungen festhält.

d’Wort:Und wie sieht der luxemburgische Beitrag zum Europäischen Jahr der Chancengleichheit aus?

Marie-Josée Jacobs: Das endgültige Programm steht noch nicht fest, da wir auf grünes Licht aus Brüssel warten. Unter anderem wollen wir aufbauen auf den Erfahrungen, die wir im vergangenen Jahr mit der Kampagne “Alle anders, alle gleich” des Europarats gesammelt haben. Auch im Rahmen des Kulturjahrs sollen einige Veranstaltungen dem Kampf gegen Diskriminierung gewidmet sein. Bei einem Projekt handelt es sich um die Schaffung einer “lebendigen Bibliothek”, wo Jugendliche mit Menschen anderer Hautfarbe oder mit einer Behinderung Erfahrungen austauschen können. ¦ Die ethnisch bedingte Diskriminierung ist hier zu Lande kaum von Bedeutung. Täuscht dieser Eindruck? Die jüngste Eurobarometer-Umfrage belegt, dass Fremdenfeindlichkeit in Luxemburg von der Bevölkerung weniger als Problem wahrgenommen wird. Natürlich will niemand behaupten, dass die Integration perfekt verlaufen ist. Allerdings haben wir immer darauf geachtet, die zugewanderten Mitbürger nicht in Ghettos abzugrenzen. Einen wichtigen Beitrag leisten auch Hilfsorganisationen wie die Asti oder der Clae, die sich besonders den Kindern der Zugewanderten annehmen.

d’Wort: Dabei sind es doch gerade die nicht luxemburgischen Kinder, die unser Bildungssystem nach wie vor ausgrenzt.

Marie-Josée Jacobs: Die Schule kann einfach nicht alles leisten. Deshalb ist es wichtig, bereits im Vorfeld und in der Schulumgebung anzusetzen, was wir mit den Maisons-relais versuchen. Auch die Jugendvereine und die Jugendhäuser spielen eine Rolle. Die jungen Leute ausländischer Herkunft sollen sich bewusst sein, dass wir ihnen nicht die luxemburgische Identität überstülpen wollen, sondern sie sehr wohl ihre Wurzeln bewahren sollen.

d’Wort: Mit erheblicher Verspätung hat das Großherzogtum im vergangenen Jahr endlich die beiden Antidiskriminierungsrichtlinien umgesetzt. Haben wir unsere legislativen Hausaufgaben nun getan?

Marie-Josée Jacobs: Ich denke schon. Nun müssen wir dafür sorgen, dass sich die Bürger ihrer neuen Rechte bewusst werden. Per Broschüre wollen wir ihnen mitteilen, dass künftig auch die Zivil- und die Arbeitsgerichte mit Fällen von Diskriminierung befasst werden können. Auch über die Umkehr der Beweislast wollen wir sie aufklären. An der Schaffung der Schiedsstelle wird ebenfalls gearbeitet. Auch wenn wir bei der Umsetzung der Direktiven in Verzug geraten sind: Unsere Gesetzgebung entsprach bereits in der Vergangenheit in weiten Teilen den von der EU geforderten Mindeststandards.

Interview: Joëlle Merges

Quelle: d’Wort vom 30. Januar 2007