Innenminister Jean-Marie Halsdorf fordert im LW-Sommerinterview mehr territoriales Denken, mehr Solidarität und weniger Kirchturmpolitik
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Innenminister Jean-Marie Halsdorf will im Herbst ein neues Wasserwirtschaftsgesetz auf den Instanzenweg schicken. Eine Kampagne soll die Commission d’aménagement transparenter erscheinen lassen. Die Gemeindefinanzen sollen gerechter gestaltet werden, mit dem Ziel vergleichbarer Leistungen in ganz Luxemburg. In Sachen IVL will der Minister weiter mit Resultaten überzeugen. Halsdorf fordert mehr territoriales Denken, mehr Solidarität und weniger Kirchturmpolitik. Zudem will er ein vom Abgeordnetenmandat getrenntes hauptberufliches Bürgermeisteramt. Jean-Marie Halsdorf im Gespräch mit Wort-Journalist Ady Richard
Wort: Herr Minister, Sie waren lange Jahre Abgeordneter und Bürgermeister in Petingen. Vor zwei Jahren haben Sie das Innen- und Landesplanungsministerium von Michel Wolter übernommen. Welche Bilanz ziehen Sie nach zwei Jahren?
Jean-Marie Halsdorf: Es ist natürlich noch verfrüht, eine Bilanz zu ziehen. Wir stecken mitten in den gemeinde- und vor allem landesplanerischen Baustellen. Es wird ein warmer Herbst werden. Und ich meine das positiv.
Wie sehen Sie heute den Perspektivwechsel im “Intérieur”?
Ich profitiere viel von meiner Erfahrung als ehemaliger Bürgermeister und auch als Abgeordneter. Beides war ich mit Leib und Seele. Ich kenne die Probleme der Gemeindepolitiker. Und vor allem die der Menschen. Ich denke, dass ich nahe bei den Menschen geblieben bin und ihre Sorgen kenne und diese auch ernst nehme. Irgendwie haben wir eine gemeinsame Wellenlänge.
Wir brauchen starke Gemeinden
Bleiben wir bei der Gemeindepolitik. Was ist da über technische Details hinaus Ihr politisches Leitmotiv?
Ich will die Gemeinden aus dem 19. ins 21. Jahrhundert führen. Mein Vorgänger Michel Wolter hat damit schon begonnen. Und ich will diesen Weg weitergehen. Im Dialog mit den Gemeinden, denn nur im Dialog kommt man voran. Nicht mit der Brechstange.
Wie sieht Ihre Idealgemeinde des 21. Jahrhunderts denn aus?
Eine solche gibt es natürlich nicht: Aber wir brauchen starke Gemeinden. Eine gewisse kritische Masse muss schon vorhanden sein. Gemeinden werden ja zunehmend zu Serviceunternehmen für die Menschen. Und der Bürger hat ein Recht auf vergleichbare Leistungen in ganz Luxemburg. Dies ist heute nicht immer möglich. Nicht zuletzt, weil die Gemeindefinanzen sehr unterschiedlich sind. Wir werden dieses Problem im Herbst im Parlament angehen. Allerdings ist dies gerade bei der Steuerpolitik eine Sisyphusarbeit.
Ein konkretes Beispiel …
Nehmen Sie den Rettungsdienst: Hier kommen wir nur mit regionalem Denken und gemeinsamen Rettungszentren voran. Es gibt hier eine regelrechte Aufbruchstimmung. Oder auch beim öffentlichen Transport. Denken Sie nur an die Nordstad. Oder an kompetentes Personal etwa bei den technischen Diensten.
Wie sehen Sie Fusionen in diesem Zusammenhang?
Ja, wenn sie von den Menschen gewollt sind, sind sie der Königsweg. Ansonsten haben wir ja noch die Instrumente der Communautés urbaines und der Communautés de communes.
Steht dann auch der Berufsbürgermeister erneut auf der Agenda?
Durchaus! Wir brauchen eine Trennung von Bürgermeister und Abgeordneten. Und wir brauchen auch Berufsbürgermeister.
Eine neue große Kompetenzdebatte wird es nicht geben?
Ich denken, hier sind kaum Neuerungen zu erwarten.
Landesplanung: Mehr Raum-, weniger Manndeckung
Ein Hauptgewicht Ihrer Arbeit ist der landesplanerische Aspekt. Auch in der Kommunalpolitik?
Wir brauchen hier mehr territoriales Denken. Im Fußball würde man sagen: Mehr Raum-, weniger Manndeckung. Nur durch intelligente Zusammenarbeit können Gemeinden den Menschen ein optimales Serviceangebot zur Verfügung stellen. Dies gilt im Übrigen auch für Ministerien.
Gerade bei der Commission d’aménagement gibt es ja Transparenzprobleme …
Wir werden diesen entgegenwirken. Und zwar mit einer neuen Kampagne, die ebenfalls im Herbst lanciert wird. Wir arbeiten daran. Bis Ende 2007 wollen wir ferner Erfahrungswerte sammeln und das bestehende Gesetz “Aménagement communal” dementsprechend überarbeiten.
An das Grundkonzept des Programme directeur, die sechs Planungsregionen und das IVL mit den Polen Luxemburg-Stadt, Esch und Nordstad glauben Sie weiterhin?
Und ob. Vereinfacht gesagt, befinden wir uns im so genannten Pendlerszenario. Und wir wachsen schneller als erwartet. Ende 2007 wollen wir ein erstes Monitoring abgeschlossen haben. Dann sehen wir weiter. Und die dezentrale Zentralisierung mit drei Polen und Regionalzentren ist und bleibt eine richtungsweisende strategische Entscheidung.
Und heute …
Wir stecken mitten in den Pilotprojekten. Aber das Konzept greift. Schauen Sie sich nur Belval-West, den Südwesten von Luxemburg-Stadt und nicht zuletzt die Nordstad an. Oder die sektoriellen Pläne für Transport, Wohnungsbau und Gewerbezonen. Der Papiertiger kommt in die Realisierungsphase. Allerdings brauchen wir, wie schon gesagt, noch mehr vernetztes Denken, weniger Kirchturmpolitik und mehr Solidarität. Aber dies ist ein schwieriger Prozess und eigentlich die größte Herausforderung der Landesplanung.
Eine weitere wichtige Abteilung in Ihrem Haus ist die Wasserwirtschaft, die auch ein persönliches Anliegen von Ihnen ist.
Ganz genau: Wasser ist lebenswichtig. Wir werden auch im Herbst – es wird wirklich ein warmer Herbst werden (lacht) – das alte Wassergesetz von Napoleons Zeiten von Grund auf neu auflegen. Ich habe mich jetzt in der Sommerpause damit auseinandergesetzt. Das Gesetz wird alle Bereiche der Wasserwirtschaft, also auch Quellenschutz, Hochwasserschutz und Renaturierungen umfassen.
Schließlich managen Sie auch noch das Dossier Großregion. Mit dem räumlichen Denken hört es also auch an den Grenzen Luxemburgs nicht auf.
Nein, da beginnt es eigentlich erst. Die Großregion Saar-Lor-Lux bietet große Chancen für ein starkes Luxemburg. Ich glaube auch an starke Regionen im Europa der Zukunft. Die Philosophie ist da eigentlich mit dem IVL vergleichbar.
Quelle: Wort, 28. August 2006, Journalist Ady Richard