Anpassungen im Ausschreibungsgesetz, Veränderungen in den Architektenverträgen und innovative Sparmodelle: Minister Claude Wiseler rückt im Wort-Interview die Bautenpolitik ins rechte Licht
Es gibt Politikfelder, die sind immer aktuell. Die Bautenpolitik gehört ganz ohne Zweifel dazu – zumal es darin um viel Geld geht und der Luxemburger Staat den Riemen bekanntlich enger schnallen muss. Wie es in dem Bereich weitergeht, der gleichermaßen für positive Überraschungen wie für Negativschlagzeilen sorgt, darüber haben wir uns mit Claude Wiseler unterhalten. Ein Gespräch über Probleme und Prozesse, über Projekte und Prioritäten, über Ehrenkodizes, Betonmauern und überflüssigen Luxus.
Herr Minister, am vergangenen Mittwochabend wurde das Tripartite-Paket geschnürt. Müssen wir uns jetzt auf eine Durststrecke in Sachen Bautenpolitik gefasst machen?
Keineswegs! Natürlich haben die Beschlüsse Auswirkungen auf die Bautenpolitik. Die Investitionen werden zurückgeschraubt. Trotzdem bleiben sie auf einem hohen Level und steigen sogar noch leicht an, nur eben langsamer als ursprünglich in den Mehrjahresplänen vorgesehen.
Ist das nicht ein Widerspruch?
Wir können nicht alles gleichzeitig tun, dürfen uns aber auch nicht tot sparen. Investitionen haben einen direkten Einfluss auf die Wirtschaft, denn vor allem im Tiefbau, also im Straßenbau, kommen die meisten Aufträge von der öffentlichen Hand. Wird hier gar nichts mehr getätigt, dann ergeben sich zwei Probleme. Erstens: Die Arbeitslosenzahlen steigen und die Wirtschaft leidet, was wiederum das Budget belastet. Die Investitionen müssen also wirtschaftsfreundlich bleiben. Zweitens: Wenn wir in der Zukunft bestehen wollen, dann brauchen wir adäquate Infrastrukturen.
Apropos Infrastrukturen: Am kommenden 1. Juli wird das “Musée d’art moderne”, besser bekannt als Pei-Museum, eröffnet. Gerade noch rechtzeitig haben die Gerichte nun dem Staat Recht gegeben und die jahrelangen Querelen beendet.
Ich würde beim Mudam nicht von Querelen sprechen. Es waren Prozesse, die geführt wurden, und die hat der Staat alle gewonnen – bis auf einen, weil sich ein Reglement als verfassungswidrig herausstellte. Dass die Akte nun rechtzeitig vor der Eröffnung geschlossen werden kann, ist Zufall. Denn mit den Fristen der Gerichte haben wir nichts zu tun.
Trotzdem sind Sie froh, dass jetzt ein Schlussstrich gezogen werden kann.
Natürlich. Wir haben fünf gewonnene Prozesse, aber dadurch leider auch 3,5 Jahre Verzögerungen auf der Baustelle und rund 5 Millionen Euro Zusatzkosten. Und wir haben ein herrliches Museum, ein architektonisches Meisterwerk, das sich hervorragend in die Landschaft integriert. Ich fordere denn auch jeden auf, sich die Zeit zu nehmen und das Mudam zu erkunden. Ich bedauere die Probleme beim Bau, die seinem Renommee sicher nicht förderlich waren und den Besuchern hoffentlich nicht im Gedächtnis bleiben, aber ich bedauere nicht den Bau an sich!
Wie aber kann es sein, dass ein Unternehmen das Bautenministerium so sehr in Bedrängnis bringt? Schlechtes Management, schlechte Selbstdarstellung oder schlechtes Gewissen?
Wir leben in einem Rechtsstaat. Der hat seine Prozeduren und die brauchen Zeit. Daran habe ich nichts auszusetzen, das habe ich zu respektieren. Mit einem schlechten Gewissen hat das nichts zu tun! Vielleicht mit einer schlechten Selbstdarstellung. Der Staat ist es nicht gewohnt, sich in Prozessen bestmöglich zu verkaufen. Und die Mediatisierung im Fall Pei war nicht immer einfach zu handhaben.
Welche Lehren gilt es denn, aus der “Pei-Affäre” zu ziehen?
Ich will mich nicht auf einen Einzelfall fokussieren. Wir haben viele Baustellen mit vielen Problemen und Prozessen, auch wenn die weniger bekannt sind. Und wenn ein Unternehmen mit dem Ministerium nicht einverstanden ist, dann sieht das Gesetz Rechtswege vor, die eingeschlagen werden können. Das ist gut so, denn die Entscheidungen sind oft sehr technischer Natur. Da tauchen zwangsläufig Interpretationsfragen auf. Es ist nicht immer alles schwarz oder weiß …
Also Rechtswege als letzte Rettung vor der Komplexität der Materie?
Ich komme nicht umhin festzustellen, dass der juristische Aspekt unserer Arbeit an Bedeutung gewinnt. In der heutigen Zeit werden einfach mehr Prozesse geführt, das ist eine Realität in einem modernen Rechtsstaat – die will ich nicht bewerten, der muss ich mich stellen. Deshalb haben wir uns intern so umstrukturiert, dass wir die einzelnen Baustellen nicht nur technisch, sondern auch juristisch begleiten können.
Im Fall Pei hat der ehemalige Generaladministrator im Bautenministerium, Fernand Pesch himself, zugegeben, dass die Gesetzgebung problematisch gewesen sei …
… trotzdem wurde sie eingehalten, denn die Gerichte gaben dem Staat Recht. Außerdem trifft der Minister seine Entscheidung in Ausschreibungen immer “en âme et conscience”! Danach nimmt dann alles seinen Lauf.
Die Proportionen wahren
Ist es nicht Ironie des Schicksals, dass mit dem Mudam nun eines der tollsten und zugleich teuersten Gebäude in einer Zeit eröffnet wird, in der vor allem über eins gesprochen wird: sparen.
Danke für das tollste, aber es ist bei weitem nicht das teuerste! Zum Vergleich: Das Mudam wird wohl 88 Millionen Euro kosten, das Lyzeum in Redingen kostet dagegen 96, das in Esch-Lallingen 105 und das in Petingen 117. Das neue “Laboratoire national de santé” in Düdelingen wird mit 95 Millionen Euro zu Buche schlagen, die Philharmonie hat 113 gekostet.
Sie meinen also, dass es in Bezug auf die Kosten des Pei-Museums falsche Vorstellungen gibt?
Natürlich ist das viel Geld, aber man muss auch die Proportionen wahren. Die Finanzprobleme des Luxemburger Staates rühren nicht von den Kulturbauten her und stammen auch nicht von den entstandenen Mehrkosten.
Und wie wollen Sie erreichen, dass die Leute der Kunst und nicht den Kosten ihr Augenmerk schenken?
Diese Frage müsste eigentlich Kulturstaatssekretärin Octavie Modert beantworten. Wenn ich aber sehe, wie schnell die Philharmonie ihren Platz in der Kulturszene eingenommen hat, dann bin ich voller Hoffnung. Das Gebäude von I. M. Pei an sich ist ja schon eine Attraktion, ebenso wie die Louvre-Pyramide in Paris, der Neubau am Deutschen Historischen Museum in Berlin oder die Kennedy-Library in Boston.
Würden Sie das Museum heute noch einmal bauen?
Klar, dass wir heute andere Prioritäten haben. Aber ich bin froh, dass es gebaut wurde. Jetzt steht das Gebäude und jetzt müssen wir dafür sorgen, dass es dem Land etwas bringt.
Stichwort Folgekosten: Hat sich der Staat dabei verrechnet?
Hier gilt es, zwischen zwei Arten zu unterscheiden: Was den Unterhalt angeht, denke ich nicht, dass der wegen einer besonderen Architektur gleich übermäßig groß ist. Was die Betriebskosten angeht, da ist die Kultur natürlich schnell als zu teuer verschrien. Aber Luxemburg muss mehr zu bieten haben als Banken und Dienstleistungen. Wir brauchen ein Kulturangebot als Teil unserer Identität.
Hartnäckig hält sich das Gerücht, dass beim Staat immer alles teurer wird als geplant. Täuscht der Eindruck?
Natürlich gibt es Budgetüberschreitungen: 4 % beim Lycée Nic Biever in Düdelingen, 6 % bei der Abtei Neumünster, 11,85 % beim Mudam, 25 % bei der Cité judiciaire und 38 % bei der Philharmonie. Bei der Nordstraße mussten zu den bewilligten 370 Millionen Euro satte 229 Millionen nachvotiert werden. Doch es gibt auch Gegenbeispiele: Keine Überschreitung bei der Rockhal, das neue Technische Lyzeum in Esch/Alzette wurde sogar 7 % billiger als geplant und auch beim Lyzeum in Petingen und beim Cipa in Düdelingen liegen wir zurzeit unter dem Kostenvoranschlag.
Die Trefferquote Ihrer Einschätzungen scheint nicht immer sehr hoch zu sein …
Das ist normal, denn bis dato wurde über Vorhaben abgestimmt, die lediglich als “avant-projet sommaire”, kurz APS, vorlagen. Dort wird aber mit standardisierten Kubikmeterpreisen gerechnet, was nicht hinhauen kann. In Zukunft soll deshalb über “avant-projets définitifs”, APDs, abgestimmt werden. Deren Berechnungen basieren auf Einschätzungen einzelner “corps de métier”, was eine präzisere Einschätzung der Baukosten erlaubt.
Durch Massnahmenbündel Überschreitungen in den Griff kriegen
Gedenken Sie so, das politische Problem der Budgetüberschreitungen zu lösen?
Die “dépassements” will ich durch ein ganzes Bündel an Maßnahmen in den Griff kriegen. Erstens: Künftig soll ein Projekt dem Parlament zweimal vorgelegt werden. Einmal in einem sehr frühen Stadium, um einen “accord de principe” zu erhalten, der dann zu weit reichenden Planungen berechtigt; später dann als “avant-projet définitif” mit realitätsnahen Zahlen. Zweitens: Die Vorbereitungsphase muss anders gestaltet, damit nachträgliche Umänderungen vermieden werden. Motto: no more changes! Bei vielen Projekten in der Vergangenheit kam es vor, dass auf einmal eine ganze Fülle von zusätzlichen Wünschen und Forderungen zu berücksichtigen waren. Doch wenn die Pläne “en cours de route” geändert werden, dann wird das immer teuer …
.. siehe Cité judiciaire und Philharmonie …
… aber auch Schulgebäude, wenn auf einmal noch ein Labor gewünscht wird oder eine andere Ausstattung. So etwas sollte nicht mehr vorkommen. Die dritte große Ursache von Kreditüberziehungen erläutere ich am Beispiel der Nordstraße: Das Gesetz wurde 1996 gestimmt, basiert auf Plänen von 1993-95 und soll bis 2012 gültig sein. Aber ich kann nicht heute vorhersagen, wie viel etwas in 15 Jahren kosten wird. Das geht einfach nicht. Über derartige Megaprojekte soll also künftig nicht mehr en bloc abgestimmt werden. Hier erscheint mir ein “vote par tranches” sinnvoller, natürlich immer mit einem Überblick, damit die Abgeordneten wissen, worauf sie sich einlassen. Bei der ehrgeizigen “Liaison Micheville” gehe ich so vor.
Sind die Abgeordneten damit einverstanden?
Ja, denn das bringt Transparenz in die Dossiers. Und mit der “Commission de l’exécution budgétaire”, der ich auch mal angehörte, habe ich vereinbart, dass sie alle sechs Monate einen Bericht erhält, damit sie frühzeitig erfährt, wenn sich irgendwo ein Problem anbahnt. In anderen Worten: Die Abgeordnetenkammer soll nicht mehr vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Bessere Vorhersagen erhoffe ich mir auch davon, die einzelnen “corps de métier” künftig genauer zu begleiten, um immer über unseren Handlungsspielraum auf einer Baustelle informiert zu sein.
Trotzdem wird es …
… keine 100-prozentigen Berechnungen geben, denn unverhofft kommt oft – auf großen wie auf kleinen Baustellen gibt es Unvorhersehbares, davon kann jeder Bauherr ein Lied singen. Man denke nur an Erdrutschungen, an neue Sicherheitsbestimmungen, an verschärfte Umweltauflagen, an globale Entwicklungen wie den Erdölpreis oder überhaupt an Ausschreibungen, auf deren Ausgang ich als Minister so gut wie keinen Einfluss habe. Nicht zu vergessen, dass für außergewöhnliche Bauten keine Erfahrungswerte vorliegen.
Bleibt die Frage, wie in Zukunft am Bau gespart werden soll. Werden wir weniger oder anders bauen?
Beides! Es gibt drei Stoßrichtungen. Erstens: Ich muss Prioritäten definieren und die heißen Schule, Europa, Soziales. Trotz einer ersten Streichliste steigt das Investitionsvolumen von 2006 auf 2007 noch um 20 Prozent. Das ist zu hoch. So werde ich zum Beispiel der Regierung vorschlagen, dass der dreispurige Ausbau der A3-A6 von Mamer bis Bettemburg vorerst auf Eis gelegt wird. Das spart 50 Millionen Euro. Zweitens: Ich muss andere Finanzierungswege finden, etwa die des “Public Private Partnership”, die dann ein Projekt von der Konzeption über die Finanzierung und den Bau bis hin zum Unterhalt realisieren. Die PPP-Projekte sollen wie normale Offerten im “dialogue compétitif” ausgeschrieben werden. Drittens: Ich will billiger bauen.
Nun wird es spannend …
Eine “Commission d’analyse critique” soll immer eine Bedarfsanalyse durchführen und im Vorfeld klären, ob die gewünschten Gebäudeinhalte überhaupt Sinn machen und notwendig sind. Ich will die Architektenwettbewerbe neu regeln und dem Preis ein höheres Gewicht beimessen. In den Lastenheften sehe ich ebenfalls Sparpotenzial: Ich will solide Materialien, aber keinen Luxus. Manchmal muss es dann eben auch eine Betonmauer statt einer Steinwand tun, auch wenn dies Diskussionen auslösen wird. Projektmanager sollen die großen Baustellen sehr eng verfolgen und die Architekten sollen ebenfalls eine “Mission de suivi et de contrôle” bekommen. Außerdem will ich den “contrat type” mit den Architekten neu verhandeln: Ich will weg von einer prozentualen Beteiligung und hin zu einem Pauschalbetrag. Daneben sollen Anreize geschaffen werden, den Kostenanschlag einzuhalten – etwa durch Prämien oder Strafen. Und beim Bau sollen auch gleich die Unterhaltskosten für die ersten Jahre mitberücksichtigt werden.
Das Ausschreibungsgesetz überarbeiten
Erste Erfolge?
Wir haben diese mühsame Übung des billigeren Bauens durchgespielt und hoffen, allein auf den aktuellen und heute geplanten Baustellen 40 Millionen Euro einzusparen.
Themenwechsel: Nachdem der ehemalige Generaladministrator im Bautenministerium in einem “Wort”-Interview zugegeben hatte, er sei im Verwaltungsrat des Bauunternehmens CLE, erkundigte sich der Abgeordnete François Bausch in einer parlamentarischen Frage nach einem Ehrenkodex für ehemalige hohe Beamte. Was halten Sie als Minister des öffentlichen Dienstes davon?
Was den angesprochenen Fall betrifft, so liegt dort keine juristische Inkompatibilität vor. Daraus ergibt sich für mich, dass ich die Aktivitäten eines pensionierten Staatsbeamten nicht öffentlich zu kommentieren oder bewerten habe.
Sind Sie für oder gegen einen Ehrenkodex?
Unabhängig von dem spezifischen Fall: Ich sage nicht nein, aber er muss wohlüberlegt sein. Die Diskussion über einen Ehrenkodex wird schon seit Monaten auf europäischer Ebene geführt und das Ministerium für den öffentlichen Dienst ist dabei, die Vorlagen aus den Nachbarländern eingehend zu studieren. Ein “Code de bonne conduite administrative” gehört übrigens auch zu den Empfehlungen des Mediateurs. Man darf aber nicht vergessen, dass das Beamtenstatut schon viele Fragen beantwortet und eine Einführung nur Sinn macht, wenn man vorher mit den Betroffenen – der Verwaltung und der Staatsbeamtengewerkschaft – darüber gesprochen hat.
Die Anfrage kommt zwar aus dem Parlament, aber müsste es einen solchen Ehrenkodex nicht auch für Politiker geben, immerhin waren auch Abgeordnete oder ehemalige Abgeordnete Mitglied im CLE-Verwaltungsrat?
Das müssen Sie die Abgeordnetenkammer fragen.
François Bausch will von Ihnen wissen, wie viele Geschäfte Herr Pesch als Präsident des Kirchberg-Fonds mit der CLE gemacht hat und nun als CLE-Verwaltungsrat mit dem Kirchberg-Fonds tätigt.
Ich werde dem Parlament selbstverständlich die detaillierten Zahlen vorlegen.
Letzte Frage: Warum wollen Sie das noch sehr junge Ausschreibungsgesetz überarbeiten?
Ich will als Minister die Möglichkeit haben, einen Betrieb während einer Zeit von öffentlichen Ausschreibungen auszuschließen, wenn ein triftiger und nachvollziehbarer Grund vorliegt. Und ich will den Bewerbern das Leben nach Möglichkeit erleichtern, denn die Berufskammern haben mich wissen lassen, dass der Umgang mit dem neuen Gesetz eine komplexe Angelegenheit ist.
Quelle Wort: 22. April 2006, Journalist Luc Marteling