Eisenbahn – nachhaltiger Garant gegen Verkehrsinfarkt

Für Marcel Oberweis mus die Eisenbahn im Gütertransport in Zukunft eine grössere Rolle spielen. Die Gründe sind: Die Schonung der Umwelt, die Verknappung des Öls, der Verkehrskollaps auf Europas Strassen
Die flächenhafte Ausbreitung der Eisenbahn in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wird als die erste Revolution von Mobilität und Verkehr bezeichnet. Mit der Massenmotorisierung der 1930er Jahre in Nordamerika und in den 1960er Jahren in Europa sind die Mobilitätsakzente gesetzt worden, an denen wir heute scheitern.

Die Eisenbahn sprengt die lokalen Distanzen, und das Auto individualisiert die motorisierte Mobilität, beide haben indes zur Veränderung der Siedlungsstrukturen, der Lebensstile und der Wirtschaftsweisen in hohem Maß beigetragen. Die Mobilität von Personen und Gütern stand Pate für die Entwicklung der arbeitsteiligen Wirtschaft auf regionaler, nationaler und globaler Ebene.

Aus heutiger Sicht erkennt man jedoch, dass diese Mobilität einerseits an ihre Grenzen stößt und andererseits nur für einen geringen Teil der Menschheit einen Sinn ergibt. Wenn die Menschen in den Schwellenländern u.a. Indien, Mexiko, Indonesien und China dieselbe Mobilität einfordern, dann wird der Traum der individuellen Freiheit ausgeträumt sein, übrigens werden die sich zu Ende neigenden fossilen Energiequellen uns allen die Grenzen aufzeigen.

Die lufthygienische Belastung der Menschen in den Ballungsgebieten durch die emittierten Schadstoffe durch den Pkw- und Lkw-Verkehr hat in den letzten Jahren aufgrund neuer Erkenntnisse über die krebserregenden Wirkungen von Benzol und Ruß eine große Bedeutung erlangt.

Den Verkehrsinfarkt vor Augen

In den vergangenen 30 Jahren verdoppelte sich der Güterverkehr gemessen an den Tonnenkilometern in den EU-Mitgliedsstaaten. Der größte Teil des Wachstums entfiel dabei auf den Güterverkehr über die Straße. Zwischen 1970 und 1998 wuchs dieser von 400 Milliarden Tonnenkilometern auf über 1 200 Milliarden Tonnenkilometer an. Der Eisenbahnverkehr blieb dagegen mengenmäßig konstant, verzeichnete sogar eine Verminderung. Der Lkw-Verkehrsanteil beträgt mittlerweile 72 Prozent, und 92 Prozent des Personenverkehrs wickelt sich auf der Straße ab. Während der gleichen Zeit ist der Anteil des Eisenbahngüterverkehrs auf 17 Prozent gesunken.

Die Folgen dieser “Missverkehrswirtschaft” sind offensichtlich, einerseits überlastete Autobahnen und hohe Unterhaltskosten und andererseits zunehmende Belastungen für Mensch und Umwelt. Das europäische Straßennetz wurde seit 1970 verdreifacht, während das Eisenbahnnetz mit Ausnahme der Hochgeschwindigkeitsstrecken nicht ausgebaut, sogar rückgebaut wurde. Die Folgekosten für den Straßenverkehr wurden vermindert und dessen Attraktivität erhöht, ein echter Wettbewerb fand nicht statt.

Während andere wirtschaftliche Bereiche einen Rückgang ihrer Emissionen verzeichnen, steigt der verkehrsbedingte Ausstoß weiter an. Bedingt durch das ungehemmte Verkehrswachstum bewegen sich die industrialisierten Volkswirtschaften unerbittlich dem Verkehrsinfarkt mit allen Konsequenzen zu. Wenn jedoch in Sachen Klimaschutzpolitik Remedur geschaffen werden soll, dann muss die Eisenbahn die Bewegung nicht nur der Personen, sondern auch der Güter im großen Stil übernehmen.

Bis 2015 wird der Personenverkehr auf der Straße um weitere 20 Prozent anwachsen, beim Güterverkehr werden es sogar mehr als 60 Prozent sein. Dem Grünbuch der Europäischen Kommission zu Folge, müssen wir in den kommenden Jahren mit einer Erhöhung der CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr von über 50 Prozent rechnen. Dieser ist für 30 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs zuständig.

Gegen falsche politische Signale: Wandel durch Mut

Der gleichzeitige Wandel zu “Just In Time”-Produktion und zur zunehmenden globalen Arbeitsteilung hat zusätzlich zum Verkehrswachstum beigetragen. Diese Entwicklungen beruhen jedoch nicht auf einem natürlichen Grundgesetz, sondern sind eindeutig die Folge falscher Preissignale und politischer Entscheidungen, die das Wachstum des Straßenverkehrs begünstigen. Durch die Verlagerung eines ständig wachsenden Anteils des Güter- und Personenverkehrs hin zur Eisenbahn könnte das Verkehrsaufkommen optimaler und nachhaltiger gestaltet werden. Es bedarf eines Bündels von Maßnahmen, um die nachhaltige Entwicklung einzuläuten, hierzu zählen sicherlich faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern. Zusätzliche finanzielle Investitionen sind für die erweiterte Schieneninfrastruktur notwendig, nur so kann die Bevorzugung der Straße der vergangenen Jahre abgebremst werden.

G__terverkehr.jpg
“Die neu eröffnete Eisenbahnverbindung im Güterverkehr zwischen Bettemburg und Perpignan lässt hoffen.” (Foto: CFL)

Vor allem sind Investitionen in Anlagen des kombinierten Verkehrs notwendig, hier zähle ich insbesondere auf den Bau von Umladeterminals und das Errichten eines funktionsfähigen europäischen Netzes für den Kombiverkehr, die eröffnete Eisenbahnverbindung im Güterverkehr zwischen Bettemburg und Perpignan lässt hoffen. Weitere Vorzugsverbindungen im Güterverkehr werden vorbereitet, u.a. auf der Strecke von Antwerpen nach Mailand. Die mittlerweile in Europa kursierenden Hochgeschwindigkeitszüge AVE, ICE, Thalys und TGV im Bereich des Personenverkehrs beweisen diesen europäischen Geist bezüglich der nachhaltigen Entwicklung.

Wenn die Eisenbahn ihre Wirksamkeit unter Beweis stellen möchte, dann wird von ihr verlangt, die Hindernisse an den Grenzen abzubauen und ein konkurrenzfähiges Angebot im internationalen Verkehr anzubieten. Dies durch eine gemeinsame Spurweite und den Einsatz von Mehrsystemlokomotiven, solange die Güterzüge wegen der zahllosen Umstellungen mehrere Tage bis Wochen unterwegs sind, der Lkw sein Ziel meist binnen 30 Stunden erreicht, wird den übrigen Verbesserungsmaßnahmen kein Erfolg beschieden sein. In diesem Zusammenhang bedarf es auch der Weitsicht der europäischen Eisenbahnagentur, die notwendigen Schritte zur Harmonisierung einzuläuten, ebenfalls muss es umgehend zum Einsatz des seit 1990 vorhandenen gemeinsamen Signalisationssystems “ERTMS” kommen.

Der weitere Ausbau des Straßennetzes muss aus ökologischen und finanziellen Gründen immer stärker in Frage gestellt werden, denn die vermeintliche Wirtschaftlichkeit des Lkw-Güterverkehrs ist nicht gegeben Durch die Nichtberücksichtigung der externen Kosten wird der Straßengüterverkehr privilegiert, die Internalisierung dieser Kosten wird die ökologische Wahrheit beweisen. Auch wenn wir aus logistischen Gründen nicht auf den Lkw-Güterverkehr im ländlichen und städtischen Raum verzichten können, so müssen jedoch dem internationalen Lkw-Güterverkehr die hohen Folgekosten, aus Luxemburger Sicht die Kiotobilanz, gemäß dem Verursacherprinzip, zugewiesen werden.

Das ausgemachte Ziel lautet, die Verkehrsleistung im Güterverkehr per Eisenbahn in den kommenden Jahren merklich zu erhöhen, wenn wir unseren Verpflichtungen aus dem Kioto-Protokoll nachkommen möchten.

Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg

Es ist erforderlich, die Wirtschafts-, die Sozial- und die Umweltpolitik als ein Drei-Säulen-System so zu gestalten, dass sie sich gegenseitig verstärken. Gelingt uns dies nicht, so werden die Folgekosten für die Gesellschaft drastisch ansteigen, und es lässt sich leicht ausmalen, wie das System aus dem Gleichgewicht gerät. Das Rad-Schiene-Verkehrsmittel muss sich im Rahmen der konkurrierenden Verkehrssysteme zu einem leistungs- und vor allem konkurrenzfähigen System entwickeln. Es ist unsere Aufgabe, in Anlehnung an den Eisenbahnpionier George Stephenson, den umweltfreundlichen Verkehrsträger Eisenbahn stärker zu fördern. Es muss uns gelingen, den Verkehrsträgern ihre spezifischen volkswirtschaftlichen Kosten anzurechnen und eine Erhöhung der Lebensqualität zu bewirken.

Flexibilität und Schnelligkeit bei zu niedrigen Preisen im Lkw-Güterverkehr haben der Eisenbahn ein Mauerblümchendasein eingebracht, mit Mut und Ausdauer gewappnet, werden wir den Umdenk- und Umlenkprozess einläuten. Die nachhaltige Entwicklung, die Erfüllung der Bedürfnisse der derzeitigen Generation, ohne dadurch diejenige künftiger Generationen zu beeinträchtigen, ist ein grundlegendes Ziel; dem Verkehrsträger Eisenbahn fällt hierbei eine bedeutende Rolle zu.

* Dr.-Ing. Marcel Oberweis ist Abgeordneter der CSV-Fraktion.

Quelle: Wort, 13. April 2006