Das größere Europa – zwischen Krise und Hoffnung

In einem Wort-Beitrag plädiert der CSV-Abgeordnete Marcel Oberweis für eine aktive Politik der EU gegenüber den früheren jugoslawischen Republiken
“Ohne die Einbindung des Westbalkans wird die EU in absehbarer Zeit mit ähnlichen Problemen konfrontiert sein wie die reichen Innenstädte Frankreichs mit ihren Banlieues”, so begann ein Beitrag von Andreas Ernst im “Wort” am 30. Dezember 2005. Damit hat er einen wunden Punkt der europäischen Süd-Ost-Politik berührt. Die bevorstehende Eingliederung von Rumänien und Bulgarien zum 1. Januar 2007 wird die Diskussion nicht einfacher machen.

Gewusst ist, dass die Lage auf dem Balkan nach wie vor verfahren ist. Der Frieden in dieser Krisenregion ist, bedingt durch die gegenseitigen Abhängigkeiten, nur durch eine politische Gesamtstrategie zu erreichen.

Problemländer auf dem Weg nach Europa

Der Balkan ist jedoch ein unverrückbares Teil unseres Europa, und es kann uns nicht gleichgültig sein, wenn zwei Flugstunden entfernt, der Rückfall in ethnische Auseinandersetzungen geprobt wird und in Folge dessen die bisherigen Bemühungen in Richtung Frieden und Sicherheit dauerhaften Schaden erleiden.

Seit dem Abschluss des Friedensvertrages von Dayton sind zehn Jahre vergangen, leider haben die Menschen, bedingt durch ihre unterschiedlichen ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten, es noch nicht geschafft, den Geist der Versöhnung zu leben. Bosnien-Herzegowina befindet sich noch immer in der Hand von Nationalisten aus allen ethnischen Lagern. Über 50 Prozent der Menschen sind arbeitslos, über 30 Prozent leben unter der Armutsgrenze. Die Mehrheit der ausgebildeten Menschen, insbesondere der Jugend, möchte die heimatlichen Gefilde in Richtung EU verlassen.

Es wurde noch kein demokratischer Gesamtstaat konstituiert, sondern de facto ein ethnisch gespaltenes Protektorat am Leben gehalten. Das Gebilde Republik Srbska zeigt einwandfrei, dass sich Bosnien-Herzegowina auf einen langen Marsch einstellen muss. Bedingt durch diese Umstände, verlieren nicht nur die lokalen Politiker an Glaubwürdigkeit, sondern auch die EU. Es muss deshalb das ausgemachte politische Ziel des Jahres 2006 werden, das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Bosnien-Herzegowina zu einem Abschluss zu führen, vielleicht gelingt dies unter österreichischem oder finnländischem EU-Vorsitz.

Eine weitere politische Herausforderung stellt die Aufnahme und Vertiefung der Verhandlungen mit Kroatien und Mazedonien dar. Die Regierungen beider Länder bemühen sich, die Vergangenheit zu bewältigen, erstere in Zagreb hat durch die Nähe zu den EU-Staaten Slowenien, Österreich und Ungarn schon Vorteile erworben und diejenige in Skopje hat es bisher geschafft, alle Punkte des Ohrid-Abkommens zu ratifizieren. Wohlwissend, dass es bei der Implementierung noch Unzulänglichkeiten gibt, das Ende des Bürgerkrieges wurde erreicht.

Die sich aufdrängende Frage, sowohl in Mazedonien als auch im angrenzenden Serbien-Montenegro mit dem Kosovo, ist diejenige, wie sich Albanien in der Zukunft verhält. Wenn in Albanien die Verbesserung der Arbeitsplatzsituation und der Sozialsysteme mit Erfolg durchgeführt wird, dann wird auch dort das Potenzial an multi-ethnischer Feindschaft ausgemerzt.

Schaffen wir es binnen kürzester Zeit nicht, die Fehler von Dayton und ihre Auswirkungen für den Gesamtzustand des Westbalkans eingehend zu analysieren und zielbewusst zu korrigieren, dann dürfte sich der nächste gewaltsame Konflikt vor unserer europäischen Schwelle aufbauen. Die Konsequenzen werden alle verspüren. Mit aller Entschiedenheit müssen wir uns dem entgegenstellen. Das geforderte Minimum lautet, der gesamten Region den Kandidatenstatus zu erteilen.

Europa will Frieden, Freiheit, Sicherheit und Stabilität

Darf ich nur an die Zeit nach dem Mauerfall in Berlin im Jahr 1989 erinnern, dieses Aufatmen, diese gewünschte Friedensdividende für alle, diese Hoffnung für die geknechteten Mitmenschen im anderen Europa. Nachdem am 1. Mai 2004 die Länder aus Mittel- und Osteuropa in die Europäische Union aufgenommen worden sind, Rumänien und Bulgarien am 1. Januar 2007 aufgenommen werden, stehen nun die Staaten des westlichen Balkans – Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, Serbien-Montenegro – an der Schwelle zu Europa. Sie genießen bereits seit dem Juni-Gipfel in Feira in 2000 den Status potenzieller Beitrittskandidaten.

Mit diesen Erweiterungsschritten, die sicherlich nicht einfach sind und von vielen Mitmenschen eher skeptisch bis ablehnend betrachtet werden, bereitet sich die Europäische Union auf ihre künftige Rolle in der Welt des 21. Jahrhunderts vor.
Das von allen Bürgern Europas angepeilte Ziel – Frieden und Freiheit, Sicherheit und politische Stabilität sowie wirtschaftlicher Wohlstand – kann nur dauerhaft garantiert werden, wenn alle daran ohne Wankelmut glauben. Hier liegt unser Credo für die kommenden Jahre.

Wenn in Europa all das zusammengewachsen ist, was zusammenwachsen muss, dann erst können wir unsere Interessen in der Welt der Globalisierung angemessen vertreten.

Quelle: Wort, 20. März 2006