Michel Wolter: Wir wollen keine belgischen Verhältnisse

Der CSV-Fraktionschef mahnt im Wort-Interview zu finanz- und haushaltspolitischer Vorsicht.

Die öffentlichen Ausgaben wachsen schneller als die Einnahmen. Das ist der Hintergrund des rigorosen Sparkurses, den die Regierung fahren möchte. “Zu Recht”, sagt CSV-Fraktionschef Michel Wolter. Im “Wort”-Interview mit Macr Glesener warnt der Politiker vor “belgischen Verhältnissen”. Das Nachbarland war vor Jahren in ökonomisch schwierigerem Fahrtwasser in die Schuldenfalle getappt. Mit den bekannten Folgen.

Wort: Herr Wolter, mit Premier Junckers politischer Erklärung im Parlament erhielt die Reformdebatte vor zwei Wochen neuen Schwung. Was war Ihrer Meinung nach die wichtigste Botschaft des Regierungschefs?

Michel Wolter: Dass der Staat seine Ausgabenpolitik überdenken muss. Die nüchterne Beschreibung des Ist-Zustandes ist für mich Mahnung und Auftrag zugleich.

Wort: Die Politik muss also handeln?

Michel Wolter: Ja, was allerdings nichts mit Austeritätspolitik zu tun hat. Wir befinden uns nicht in einer rezessiven Phase. Und es wäre wirklich falsch, von akuten wirtschaftlichen Problemen zu sprechen. Bei den öffentlichen Finanzen stellen wir ein Ungleichgewicht zwischen Ausgaben und Einnahmen fest. Der Haushaltsentwurf für kommendes Jahr spricht Bände. Die Ausgaben wachsen deutlich schneller als die Einnahmen. Hinzu kommt, dass die Reserven knapper werden. Bis 2008 werden die Reserven weitestgehend aufgebraucht sein. In einer mittelfristigen Perspektive ist das eine unhaltbare Situation. Es müssen Korrekturen vorgenommen werden.

Spielraum für Investitionen in die Zukunft

Wort: Regierungschef und Budgetminister haben Einsparungen im Sozialetat angemahnt. Ist das der richtige Weg?

Michel Wolter: Natürlich belastet die unverhältnismäßig hohe Fiskalisierung der Sozialausgaben die öffentlichen Finanzen Luxemburgs in erheblichem Maße. Hinzu kommt die hohe Beteiligung des Staates an Kranken- und Pensionskassen. Das alles sollte Gegenstand einer breiten Debatte mit den Sozialpartnern sein. Ziel sind Reformen, die den nötigen Spielraum für Investitionen in der Zukunft schaffen. Es geht dabei nicht um Schuldzuweisungen. Ich plädiere für ein Reformpaket, das im Konsens geschnürt werden kann.

Wort: Statt im Sozialbudget zu streichen, könnte man auch an der Steuerschraube drehen.

Michel Wolter: Das wäre meines Erachtens nach ein großer Fehler. Höhere Steuern würden im Endeffekt zu Lasten der Wettbewerbsfähigkeit gehen und die Sachlage verschlimmern, nicht verbessern. Ebenso abwegig wäre es, die Schuldenlast des Staates zu erweitern. Wozu eine solche Politik längerfristig führen kann, sehen wir am Beispiel Belgien. Wir wollen in Luxemburg keine belgischen Verhältnisse.

Politik muss ihre Verantwortung übernehmen

Wort: Zurück zu den Reformpisten, die der Premier aufgezeigt hat. Konkrete Maßnahmen sollen im Einvernehmen mit den Sozialpartnern, sprich Patronatsverbänden und Gewerkschaften beschlossen werden. Was passiert, wenn der Konsensualismus versagt?

Michel Wolter:Dann muss die Politik ihre Verantwortung übernehmen. So wie das Anfang der 80er Jahre der Fall war, als die Restrukturierung der Stahlindustrie Land und Leuten schwer zu schaffen machte. Wohl waren die allgemeinen Rahmenbedingungen andere. Doch letztlich musste damals auch die Politik handeln. – Sehen Sie, wir müssen einfach dafür sorgen, dass Zukunftspolitik überhaupt noch möglich bleibt. Ich denke da beispielsweise an Investitionen in den öffentlichen Transport, soziale Auffangstrukturen, Schulen und Forschungseinrichtungen. Solche Investitionen sind nur dann möglich, wenn auf anderen Ebenen gespart wird.

Wort: Diese Erkenntnis ist nicht neu. Warum wird erst jetzt gehandelt? Es ging wertvolle Zeit verloren.

Michel Wolter:Die Notwendigkeit politischen Handelns wird leider meist erst dann anerkannt, wenn es entsprechende budgetäre Zwänge gibt. Und das ist jetzt der Fall. Sie erinnern sich bestimmt noch an die Kritiken, die vor nicht all zu langer Zeit am Budgetminister geübt wurden, als dieser massiv Gelder in die öffentlichen Investitionsfonds pumpte. Das war, wie sich heute herausstellt, eine durchwegs richtige Entscheidung.

Wort: Apropos richtige Entscheidung. Ist die Politik überhaupt in der Lage, gegen den Widerstand der Sozialpartner unbequeme Reformen durchzusetzen?

Michel Wolter: Wir müssen uns ein für allemal bewusst sein, dass die Zeiten, in denen es um die Zweckbestimmung von Mehreinnahmen ging, endgültig vorbei sind. Wir leben in einer anderen Welt. Das ist eine Herausforderung für die Politik. Darauf hat Premier Juncker in seiner Erklärung ausdrücklich hingewiesen. Er hat die Sozialpartner, aber auch das Parlament in die Pflicht genommen. Ein Zeichen dafür, dass es bei der Lösungsfindung schwieriger werden könnte.

Wort: Zum Knackpunkt könnte die Indexfrage werden.

Michel Wolter: Die Indexdebatte ist seit Jahren schon ein politischer Dauerbrenner. Man sollte diese Diskussion jedoch nicht aus dem gesamten Fragenkomplex lösen, mit dem wir uns in den kommenden Wochen und Monaten zu beschäftigen haben.

Wort: Dabei hat es der Vorstoß der Regierung in Sachen maximale Indextranche doch in sich.

Michel Wolter: Das ist eine mögliche Piste. Aber ich warne noch einmal davor, einzelne Elemente aus der Reformagenda herauszubrechen. Erklärtes Ziel ist es, ein globales Reformpaket zu schnüren. Erlauben Sie mir an dieser Stelle aber auch klarzustellen, dass die Regierung keineswegs zum Generalangriff auf das Indexsystem geblasen hat. Das Gegenteil ist der Fall.

Quelle : D’Wort, 31. Oktober 2005, Journalist Marc Glesener