Schwarz-Grün: Entdecke die Möglichkeiten

Der frühere CSJ-Präsident Laurent Zeimet in der Zeitschrift Forum über Schnittmengen zwischen CSV und Grünen.
Die Fraktionschefin der Grünen im Deutschen Bundestag, Krista Sager, meinte einmal, mit der Koalitionsoption Schwarz-Grün verhalte es sich wie mit dem legendären Yeti aus dem Himalaya: Alle raunten darüber, aber niemand habe ihn je gesehen . Was für Deutschland stimmen mag, ist im Großherzogtum unzutreffend. Wenn es nach den Kommunalwahlen 1999 auch nur zu einer einzigen “reinen” Koalition von CSV und Déi Gréng in Sanem kam, so hatten beide Parteien bereits nach den letzten Legislativwahlen zumindest eine numerische Mehrheit im Parlament. Luxemburg wurde um eine politische Koalitionsoption reicher.

Nach den Parlamentswahlen vom 13. Juni 2004 hätte sich eine schwarz-grüne Regierung auf eine Mehrheit von 31 Sitzen auf Krautmarkt stützen können. Zu knapp, um eine stabile Koalition über fünf Jahre zu gewährleisten, bedauerten die potentiellen Partner unisono. Die CSV entschied sich schließlich für eine Koalition der “arithmetischen Vernunft” mit den Sozialisten.

Es ist schon erstaunlich, wie entspannt sich Christlich-Soziale und Grüne im Großherzogtum einander angenähert haben. Bei unseren deutschen Nachbarn wird zwar seit langem über schwarz-grüne Koalitionen gemunkelt, aber das Verhältnis zwischen beiden Parteien ist doch eher verkrampft. Dass es nach dem 18. September auf Bundesebene zu einer Regierung von Union und Grünen kommen könnte, hält man jenseits der Mosel noch für undenkbar.

Jenseits der Mosel

Die schwarz-grüne Zusammenarbeit beschränkt sich in Deutschland auf die kommunale Ebene. Vor allem im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen arbeiten beide Parteien in den Kommunen seit längerem zusammen und lösten vielerorts eine über Jahrzehnte dominierende sozialdemokratische Mehrheit ab. Mit Köln wird die erste Millionenstadt von einer schwarz-grünen Mehrheit regiert. Der schwarz-grüne Funken ist aber bis jetzt weder auf die Landes- geschweige denn auf die Bundesebene übergesprungen. Der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler hatte seiner Partei bereits vor zehn Jahren ins Stammbuch geschrieben, sie solle sich die Option einer Zusammenarbeit mit den Grünen nicht auf ewig verbauen. In seinem Buch “Gefährlicher Sieg” arbeitete er bereits 1995 Gemeinsamkeiten zwischen Schwarz und Grün heraus. Geißler sah Berührungspunkte beim christlichen und humanistischen Menschenbild, bei der Verantwortung für eine gesunde Umwelt und sogar in der Landwirtschaftspolitik. Doch bis heute scheinen die programmatischen Gräben unüberwindbar. Die Parteien sind dem politischen Lagerdenken zu sehr verhaftet. Die Wahl beschränkt sich auf eine sogenannte “bürgerliche” Mehrheit von Christdemokraten und Liberalen gegen die rot-grüne Allianz. Wahlsystem, Kräfteverhältnis und Tradition erleichtern da in Luxemburg den Umgang und die politische Fantasie. Die Parteien räsonieren im Großherzogtum nicht in Lagern und sind untereinander prinzipiell koalitionsfähig (das Aktionskomitee für Demokratie und Rentengerechtigkeit einmal ausgenommen).

Neue Farbenlehre

Unter dem Eindruck der Entwicklung im Ausland kam es Mitte der neunziger Jahre auch in Luxemburg zu schwarz-grünen Gedankenspielen. Der erste Feldversuch in Junglinster nach den Gemeindewahlen von 1993 misslang. Lokale Begebenheiten und persönliche Reibereien führten rasch zum Koalitionsbruch. Erst nach vorgezogenen Wahlen in Sanem 1997 hatte das schwarz-grüne Projekt in dieser Südgemeinde eine zweite Chance.

Im Herbst 1997 hatten die Schüler und Studenten der Christlich Sozialen Jugend zu einem Streitgespräch zwischen CSV- und Déi Gréng-Politikern geladen. Schwarz-Grün? Alternative oder Utopie?, fragte die Jugendorganisation der CSV. Die Vertreter beider Parteien waren sich damals einig, dass eine solche Koalition auf Gemeindeebene sicherlich funktionieren könne, auf Landesebene jedoch schwer vorstellbar sei. Der grüne Abgeordnete und Bürgermeister von Beckerich, Camille Gira, meinte: “Auf nationaler Ebene kann ich mir Schwarz-Grün momentan nicht vorstellen, denn da bestehen sowohl theoretisch als auch in der praktischen Umsetzung zu große Unterschiede. Auf der anderen Seite habe ich, wie gesagt, kein Problem damit, wenn sich auf lokaler Ebene Grüne und Schwarze zusammentun.”

Nach den Neuwahlen in Sanem fand sich eine Mehrheit von CSV und Déi Gréng im Schöffenrat zusammen. Seitdem hält das Bündnis unter Bürgermeister Fred Sunnen. Der grüne Sprecher und Schöffe von Sanem, Robert Rings, gibt ohne Umschweife zu, dass für Déi Gréng, die Koalition in seiner Heimatgemeinde besonders wichtig war. Diese Zusammenarbeit habe den Grünen die Chance geboten, zu zeigen, dass sie über einen längeren Zeitraum koalitionsfähig seien. Der Testfall Sanem habe wohl die grüne Beteiligung in anderen Schöffenräten nach den Wahlen 1999 ermöglicht, so Rings. Der grüne Schöffe führt den Erfolg der CSV/Déi Gréng-Konstellation auf ein klares Koalitionsabkommen und den vertrauensvollen Umgang im Schöffenrat zurück. Wenn man anfangs noch auf beiden Seiten Zweifel hegte, ob das Bündnis gelingen könne, habe man sich schnell aufeinander eingespielt, erklären die Partner heute.

CSV und Déi Gréng arbeiten mit den Liberalen in zwei weiteren Südgemeinden zusammen. Differdange und Bascharage werden von “Ampelkoalitionen” geführt.
Es fällt auf, dass die schwarz-grüne Zusammenarbeit besonders in Gemeinden zustande kam, die lange als “rote” Hochburgen galten (Sanem, Differdange). Auch in Bascharage dominierte lange Zeit die LSAP. Ob man aus diesem Umstand allerdings eine allgemeine Regel ableiten kann, ist fraglich. Schwarz-Grün bietet zumindest eine erfrischende Alternative zu den “traditionellen” Bündnissen.

Bei den letzten Nationalwahlen legten CSV und Déi Gréng besonders im so genannten “Wohlstandsgürtel” rund um die Stadt Luxemburg zu. Sollten die Wähler in diesen Ortschaften den Trend vom Juni 2004 am 9. Oktober bestätigen, könnte es zu weiteren schwarz-grünen Schöffenräten kommen.

Die Möglichkeiten der kommunalen Zusammenarbeit sind natürlich durch das Faktum eingeschränkt, dass es den Grünen wohl nicht gelingen wird, in allen 37 Proporzgemeinden Kandidatenlisten aufzustellen. Voraussichtlich werden Déi Gréng lediglich in 24 Gemeinden antreten.

CSV-Fraktionschef Michel Wolter bescheinigte den Grünen kürzlich eine gute Kooperation auf lokaler Ebene. Bei einer Bilanzpressekonferenz der Christlich-Sozialen nach einem Jahr Juncker/Asselborn-Regierung meinte Wolter, CSV und Déi Gréng stünden sich in wesentlichen Zukunftsfragen am nächsten. Es gebe zwar nicht nur Überschneidungen aber die politischen Herausforderungen schätze man auf beiden Seiten gleich ein. Bei den jeweiligen Lösungsvorschlägen seien eine Reihe von gemeinsamen Punkten zu entdecken . In der Tat lagen in der aktuellen Diskussion um die Landesplanung und die kommunale Flächennutzung christlich-soziale und grüne Positionen oft nah beieinander. Die Wahlprogramme von CSV und Déi Gréng versprechen die Förderung von fair gehandelten Produkten, erneuerbaren Energien und ökologischen Bauweisen. Die Vorzeige-Gemeindeväter von CSV und Déi Gréng, Marco Schank (Bürgermeister von Heiderscheid) und Camille Gira (Bürgermeister von Beckerich) könnten eigentlich einen Leitfaden für schwarz-grüne Kommunalpolitik veröffentlichen. Inhaltlich und vom Habitus her ähnelt sich die Politikgestaltung der beiden Lokalmatadore deutlich.

Die nationalen Rahmenprogramme der Parteien für die Gemeindewahlen bleiben äußerst vage. CSV und Déi Gréng verweisen jedoch auf das Integrative Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept (IVL) und wollen die gewonnen Erkenntnisse auf kommunaler Ebene in die Tat umsetzen. Frei nach dem Motto: Global denken, lokal handeln.

Gemeinsame Werte

Zwischen Christdemokratie und politischer Ökologie gibt es sicherlich auch weltanschauliche Berührungspunkte. In beiden Parteien legt man zum Beispiel besonderen Wert auf das Subsidiaritätsprinzip und die Nachhaltigkeit. CSV und Déi Gréng wollen Entscheidungen dort treffen, wo sie ihre Wirkung entfalten. Die kleinen Einheiten sind ihnen wichtig. Zudem weisen Christlich-Soziale und Grüne immer darauf hin, dass die Gesellschaft nicht auf Kosten der kommenden Generationen leben dürfe. Sicher sind diese Prinzipien den anderen Parteien nicht fremd, aber die Autorenrechte liegen bei der christlichen Soziallehre und fanden über diesen Weg ihren Einzug in das Grundsatzprogramm der Christdemokraten und vermutlich über die “Linkskatholiken” zu den Grünen. Die Soziale Marktwirtschaft, das Gesellschaftsmodell der Christdemokraten, wurde unter dem Impuls der Grünen um eine ökologische Komponente erweitert. Deutlich wurde die grundsätzliche Überschneidung beider Parteien auch bei der Debatte um den Europäischen Verfassungsvertrag. Lange Zeit bestimmten CSV und Grüne alleine das Feld der Befürworter. EU-Skeptiker finden sich eher bei der DP, denen die Souveränität noch stärker am Herzen liegt und in den Reihen der LSAP, wo man sich ein “sozialeres” Europa wünscht.

Personen statt Programm?

Allerdings sind grundsätzliche Fragen auf lokaler Ebene selten ausschlaggebend für eine Zusammenarbeit. Besteht die arithmetische Machbarkeit einer Koalition kommt es eher darauf an, dass die Chemie zwischen den Akteuren stimmt und die sachpolitischen Vorstellungen kompatibel sind. Dies ist zu diesem Zeitpunkt in den 37 Proporzgemeinden natürlich schwer abzuschätzen.

Grüne und CSV haben sich in den letzten 15 Jahren angenähert. Die Erneuerung der CSV und die Entwicklung hin zur Mitte bei den Grünen vollzogen sich zeitgleich. Während die Christlich-Sozialen sich in gesellschaftspolitischen Fragen öffneten, schärften die Grünen ihr sozial- und wirtschaftspolitisches Profil. Wenn auch die “Fundis” bei den Grünen von Rot-Grün in Luxemburg träumen mochten, so setzte sich bei Déi Gréng ziemlich rasch die Einsicht durch, dass man mit einer reformfreudigen Juncker-CSV mehr anfangen könne, als mit einer strukturkonservativen LSAP. Die Koalition in Sanem bewies, dass beide Partner zusammenarbeiten können. Dass man eine Koalition auf nationaler Ebene nicht scheut, zeigte sich nach den letzten Landeswahlen. Weiteren Koalitionen zwischen CSV und Déi Gréng auf lokaler Ebene steht im Prinzip nichts im Weg.

Es mag ein Zufall sein, dass die CSV zum erfolgreichen Orange ihrer Corporate Identity ein helles grün gesellte. Möglicherweise soll dem Wähler aber auch ein sublime Botschaft vermittelt werden. Ein politisches Augenzwinkern ist es allemal.

Laurent Zeimet studierte Rechtswissenschaften in Köln und Paris und ist seit November 2004 innenpolitischer Redakteur im Luxemburger Wort. Von 2002 bis 2004 war er Vorsitzender der Christlich-Sozialen Jugend und verantwortlich für die Kampagne “Jonker wiele Juncker”. Seit April 2004 sitzt er für die CSV im Gemeinderat von Bettemburg.