Ängste und Sorgen nicht unberücksichtigt lassen

Georges Bach, zu Gast bei csv.lu

GBach.jpgLuxemburg hat gewählt. 56,52% trafen eine mutige Entscheidung, sagten im Endeffekt “JA” zum EU-Verfassungsvertrag und sorgten somit für eine Stärkung des Ansehens Luxemburgs in Europa.

Durch dieses positive Votum ist Luxemburg das 13. Land, nach der im kommenden Oktober stattfindenden Parlamentsabstimmung, welches den Vertrag ratifiziert.

Allerdings stellen sich, trotz dieses positiven Ausgangs des Referendums vom 10. Juli über den EU-Verfassungsvertrag mehrere Fragen. Natürlich lassen sich zum aktuellen Zeitpunkt noch keine tiefgreifenden Analysen durchführen. Dennoch konnten wir, aufgrund mehrerer Diskussionsrunden und anhand vieler Einzelgespräche beim Wähler drei grosse Sensibilitäten feststellen.

Die Mehrheit gibt sich zufrieden, resp. zeigt sich kompromissbereit. Im entscheidenden Moment besannen sich viele auf die gute wirtschaftliche Entwicklung in friedlichem Umfeld der vergangenen 50 Jahre. Für diese Mehrheit steht ausserdem fest, dass Luxemburg diese positive Entwicklung nur in, durch und mit Europa erreicht hat, dass unser Sozialmodell auf diesem Modell fußt und nur dank eines gut funktionierenden wirtschaftlichen Umfeldes leistungsfähig bleibt.

Feststellen konnte man, dass ein Grossteil der Nein-Sager in der Bevölkerung die Abstimmung sichtlich dazu benutzt hat, den politisch Verantwortlichen einen gehörigen Denkzettel zu verpassen. Viele Bürger haben nicht erst seit Kurzem das Gefühl, von den Politikern in den Entscheidungsgremien nicht mehr verstanden, resp. unbeachtet und übergangen zu werden. Seit langem ist eine gewisse Politikverdrossenheit unverkennbar. Obwohl alle Parteien eine Politik nahe am Bürger und mit dem Bürger preisen und dies im EU-Verfassungstext auch explizit vorgesehen ist, reagieren die Bürger zunehmend mit grosser Skepsis auf diese Ankündigungen. Optimismus in den einzelnen Chefetagen und Sorgen bzw. Existenzängste beim Rest der Bevölkerung Dieser Frage, d.h. der Diskrepanz zwischen den Verantwortungsträgern und den Mitgliedern der einzelnen Organisationen werden sich wohl oder übel die einzelnen Parteien, Gewerkschaften und Verbände umgehend stellen müssen.

Feststellen konnte man des Weiteren, einen übermässig hohen Anteil von Angst in den Ausführungen der einzelnen Mitbürger. Viele sehen in Europa ein rein bürokratisches Gebilde, ohne Seele, das ausschliesslich die Interessen der “Grossen” vertritt und zusätzlich keine demokratische Legitimation hat. Die Vorteile für den einzelnen Bürger werden kaum zur Kenntnis genommen resp. sind nicht ersichtlich.

Diese Ängste und Sorgen sind im Moment allgegenwärtig zu spüren. Viele Bürger besonders aus dem Arbeitermilieu haben Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Regelmässig grassiert die Angst vor Delokalisierungen von Betrieben und damit verbundenem Sozialdumping.

Jugendliche haben Angst vor dem Schulabgang und der anschliessenden Suche nach Arbeit. Wieso haben trotz frühzeitiger staatlicher Hilfestellung viele nicht die richtigen Qualifikationen? Welche Mittel und Wege müssen gefunden werden, damit ihnen der Einstieg ins Berufsleben ermöglicht wird?

Vielen bereitet die zunehmende Liberalisierung Angst, eine Entwicklung die besonders unter den Beschäftigtenn des öffentlichen Dienstes, auch bei den Eisenbahnern, zu finden ist.

Mit grosser Sorge wird ausserdem die Entwicklung im Sozialwesen beobachtet. Wie hoch bleiben die Leistungen bei Krankheit und Unfall? Wie stark werden unsere Renten und Pensionen demnächst unter Druck geraten?

All diese Fragen gipfeln in letzter Zeit in eine Art “Fremdenangst”. Seit jeher reagiert der Bürger mit Skepsis auf alles Neue, alles Ungewohnte, alles Fremde. In letzter Zeit ist diese Skepsis allerdings bei vielen regelrecht in Angst umgeschlagen. Angst vor Grenzgängern, Angst vor EU-Erweiterung, Angst vor der Türkei usw.

Diese Ängste und Sorgen von einem Grossteil der Bevölkerung dürfen nicht unberücksichtigt bleiben. Aus Fremdenangst kann schnell Fremdenhass werden.

Transport N° 14, Juli 2005