In einem gemeinsamen Beitrag begrüßen die Abgeordneten und ehemaligen Gewerkschaftspräsidenten John Castegnaro und Marcel Glesener den sozialen Aspekt des Europäischen Verfassungsvertrags
Was wird der Verfassung für Europa nicht alles vorgeworfen: Sie sei unsozial, neoliberal, militaristisch, sie würde Organisationsprinzipien des europäischen Marktes in den Rang von Verfassungsnormen erheben und ließe die Menschen Europas außen vor.
Die Verfechter des Neins schrecken vor keiner Falschinformation zurück, um die Luxemburger zu überzeugen, das Verfassungswerk abzulehnen.
Die Europäische Union wird eine Sozialgemeinschaft
Die Unterzeichneten, langjährige Gewerkschaftler, die sowohl hierzulande als auch in Europa aktiv waren, können die Polemik gegen die europäische Verfassung in keiner Weise nachvollziehen. Tatsächlich sehen wir im vorliegenden Verfassungstext die Garantie dafür, dass aus der Europäischen Union nun eine Sozialgemeinschaft wird, in der die soziale Marktwirtschaft dauerhaft verankert wird und den Menschen verstärkt dienen soll.
Der Verfassungstext schreibt die soziale Marktwirtschaft, das Erreichen der Vollbeschäftigung und ein hohes Niveau sozialer Sicherheit explizit als Ziele der Europäischen Union fest. Eine einklagbare horizontale Klausel verpflichtet die Institutionen der Union dazu, sämtliche Politiken auf diese Ziele auszurichten. Der soziale Dialog wird mit der Verfassung in Europa institutionalisiert, die Sozialpartnerschaft findet im Verfassungstext rechtliche Anerkennung, die betriebliche Mitbestimmung wird zu einer europäischen Wirklichkeit, genauso, wie der Schutz gegen willkürliche Entlassungen. Die Grundrechtecharta schließlich beinhaltet eine Vielzahl an wirtschaftlichen und sozialen Rechten, die für die Europäer verpflichtenden Charakter bekommen.
Soziale Dimension
All dies ist neu in Europa, nicht jedoch in Luxemburg, wo wir unser Luxemburger Modell zum Wohle der arbeitenden Menschen entwickeln und vertiefen konnten. Die bestehenden europäischen Verträge sehen derart soziale Grundlagen der Union und ihrer Politiken noch nicht vor.
Erst mit der europäischen Verfassung wird die Union eine soziale Dimension erhalten, die ihre wirtschaftliche Komponente umrahmt. Das soziale Europa wird mit der Verfassung integraler Bestandteil der politischen Union unseres Kontinents. Die Verfassung schafft ein Europa, das sozial nach innen wirkt, und sein soziales Modell nach außen kraftvoll darstellen kann. Und zwar als europäische Alternative zu neoliberalen Ansätzen in Amerika, Asien und anderswo in der Welt.
Die soziale Dimension der europäischen Verfassung ist einer der ganz großen Fortschritte, die für die europäische Union aus diesem Text resultieren. Diese Verfassung ist ein Rahmen, der mit Inhalten, mit Politik, mit sozialer Verantwortung aufgefüllt werden muss. Sie ist ein Rahmen, der Werte, Ziele und Orientierungen festlegt, die eindeutig und klar sozialen Charakter haben. Damit wird auch das Luxemburger Modell konsolidiert.
Die europäische Verfassung ist eine Verfassung für die Menschen. Sie ist eine Verfassung für das soziale Europa. Wir unterstützen diese Verfassung und werden diesem Text am 10. Juli unsere Zustimmung geben.
Erschienen im tageblatt, 2. Juli 2005