EU-Verfassung: Es kommt auf Luxemburgs Stimme an

CSV Präsident François Biltgen : “Seit dem Nein der Franzosen und der Niederländer sind alle Augen auf Luxemburg gerichtet”
Am 10. Juli werden die Luxemburger sich für oder gegen Europa ausdrücken. Nicht nur für oder gegen den Verfassungsvertragsentwurf. Nein, für oder gegen das Projekt Europa, das wir seit 60 Jahren leben, das nicht perfekt ist, das neben den unbestreitbaren Vorteilen von Frieden und Freiheit, von Wohlstand und sozialem Schutz natürlich seine Fehler, Nachteile, Grauzonen und unbeantwortete Fragen beinhaltet. Doch es hat uns Frieden und Wohlstand gebracht.

Bis vor kurzem nahm niemand in Europa Notiz von unserem Referendum. Nunmehr, seit dem Nein der Franzosen und der Niederländer sind alle Augen auf Luxemburg gerichtet.

Domino-Effekt aus Luxemburg?

Nicht wegen der “Größe” unseres Landes, nicht wegen unserer Einwohnerzahl, sondern weil wir eines der 25 Mitgliedsländer sind, die den Verfassungsvertrag ratifizieren müssen. Weil wir der dritte der Gründerstaaten, in einer Reihe, sind, der sich an sein Volk wendet. Weil wir traditionell, aus der Erfahrung unserer Geschichte heraus, wissen, dass wir unsere Existenz und unsere Wirtschaft unserer Einbindung in Europa verdanken. Der Verfassungsvertragsentwurf sieht selbst vor, dass der Text nur dann automatisch vom Tisch ist, wenn mehr als ein Fünftel der Mitgliedstaaten ihn nicht ratifizieren. Sagen wir nein, kann der Domino-Effekt eintreten und der Vertrag seinem Ende entgegen sehen. Sagen wir hingegen ja, haben wir den Mut gegen den Strom zu schwimmen, können wir dem Projekt Europa neue Hoffnung geben.

Darüber hinaus gibt es viele gute Gründe, für den Verfassungsvertrag zu stimmen:

Es geht darum, Europa nicht nur als Wirtschaftsgemeinschaft, sondern als politische Gemeinschaft zu verankern! Es geht darum, Europas Rolle als Friedensgemeinschaft zu verankern. Luxemburg hat jahrhundertelang unter den Kriegsgelüsten seiner Nachbarn gelitten. Eine stärkere Außenpolitik – mit einem echten Eu-Außenminister! – und eine integriertere Verteidigungspolitik, wie sie der Vertrag vorsieht, werden uns mehr Friedensgarantien geben.

Eine verstärkte Zusammenarbeit in Zivil- und Strafsachen, ein effizienterer Kampf gegen grenzüberschreitende Verbrechen, eine gemeinsame Asyl- und Einwanderungspolitik werden mehr innere Sicherheit bieten.

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte gibt die EU ihren Bürgern spezifische Grundrechte, die auch im Rahmen des Handelns der EU einklagbar sind! Diese Grundrechte setzen weder die Menschenrechtskonvention noch die nationalen Grundrechte außer Kraft, sondern ergänzen diese. Neue Mitgliedstaaten müssen sie respektieren! Viele Bürger fürchten, dass ein eventueller Beitritt der Türkei Grundrechte wie Gleichheit von Mann und Frau oder Religions- und Gewissenfreiheit in Frage stellen könnte. Ein Ja zur Verfassung und zu diesen Grundrechten der EU kann genau das Gegenteil bewirken!

Das Mitspracherecht der Bürger wird verstärkt. Mehr Entscheidungen als bisher werden mehrheitlich und mit der Mitsprache des direkt vom Volk gewählten Europaparlaments getroffen. Jegliche Gesetzesinitiative der EU-Kommission wird in Zukunft im Vorfeld den nationalen Parlamenten zur Begutachtung zugestellt. Haben ein Drittel der Staaten Bedenken, muss die Kommission ihren Entwurf überarbeiten! Mit diesem Verfassungsvertrag wäre es vielleicht nie zu der verschrienen Dienstleistungsrichtlinie gekommen!

Ein Teil der Neinsager in Frankreich – aber nur ein Teil – haben Nein gesagt, weil sie mehr EU-Sozialpolitik wollen. Auch wir wollen mehr Sozialpolitik. Das wirtschaftliche Europa, das wir seit 1957 kennen, war nun aber ein liberales Projekt. Die Römischen Verträge von 1957 sahen fast keine sozialpolitischen Bestimmungen vor. Die Sozialpolitik musste im Laufe der Jahre erkämpft werden. Noch haben wir keinen kompletten Sockel von sozialen Mindestrechten. Hat dieses “liberale” Europa aber bislang dem Wohlstand Luxemburg geschadet? Nein, im Gegenteil. Hat dieses “liberale” Europa Luxemburgs Sozialmodell zerstört? Nein, es hat es erst ermöglicht. Der Vertrag sieht nicht weniger sondern mehr soziales Europa vor: mehr Sozialdialog, eine einklagbare “horizontale” Sozialklausel, welche die EU verpflichtet, sämtliche Vorhaben auch im Lichte der Sozialpolitik zu sehen …!

Am 10. Juli werden die Luxemburger gefragt, nicht die Franzosen, die noch lange nicht mehrheitlich aus hehren sozialpolitischen Gründen gegen Europa gestimmt haben, sondern vor allem, weil sie ihre Regierung abstrafen wollten. In Frankreich fanden sich von den Rechtsextremen bis zu den Linksextremen außerdem alle anti-europäischen Kräfte in einer unheilvollen Allianz zusammen.

Nein wäre herber Rückschlag für Luxemburg

Am 10. Juli werden die Luxemburger gefragt, nicht die Niederländer, bei denen die Sozialpolitik überhaupt kein Thema war. Am 10. Juli geht es nicht um die Luxemburger Regierung, nicht um die Luxemburger Politiker, sondern um Luxemburg in Europa. Bei einem Nein wird die Stellung Luxemburgs in Europa geschwächt werden. Auch die stärksten Politiker werden es äußerst schwer haben, wenn Luxemburg geschwächt ist, wenn Europa, wie es die angelsächsische Sicht will, auf einen rein wirtschaftlichen Handelsraum zurückgestutzt würde. Ein Nein Luxemburgs mag keine Katastrophe für Europa bedeuten, aber einen herben Rückschlag für uns.

Deshalb sollten wir also den Mut haben, gegen den Strom zu schwimmen, Ja zu sagen und Europa neue Hoffnung zu geben. * François Biltgen ist Arbeits-, Beschäftigungs-, Kultus- und delegierter Kommunikationsminister sowie Präsident der CSV.