Der Europäische Ratsvorsitzende, der Luxemburger Premierminister Jean-Claude Juncker, stand am Dienstag in Straßburg den 732 Abgeordneten aus 25 Ländern Rede und Antwort
D’Wort: Wie kam es im Parlament zum Umschwung hinsichtlich des Abstimmungsverhaltens zu den Beitritten Rumäniens und Bulgariens?
Jean-Claude Juncker: In der Nacht zum Dienstag hatte ich Gespräche mit den Vorsitzenden der EVP und der SPE-Fraktion, Pöttering bzw. Schulz. Klar war, dass die Abstimmung von historischer Dimension für Bulgarien und Rumänien sein würde. Diese hätten zwei Dinge nicht verstanden: Dass sie keinen positiven “avis” bekommen wegen einer interinstitutionellen Schwierigkeit, die entstanden war, weil der Rat und das Parlament sich nicht auf finanzielle Folgen für laufende Programme mit Sofia und Bukarest einigen konnten. Zwei bis drei Regierungen wollten nicht mitziehen. Auch sehen die Verträge Schutzklauseln vor, wenn die Reformmaßnahmen von Rumänien und Bulgarien nicht in der gebotenen Zeit erfolgen. Das Parlament kann noch immer einen Fuß in die Tür setzen.
D’Wort: Bei den so genannten Millennium- Zielen für die Entwicklungshilfe will die EU Finanzinstrumente einsetzen wie eine Kerosinsteuer auf Flugbenzin oder eine Steuer auf Flugtickets. Wie weit sind die Dinge vorangekommen?
Jean-Claude Juncker: Anlässlich des informellen Treffens der Finanzminister im Mai in Luxemburg werden wir eine zielorientierte Debatte führen, damit wir anlässlich des Millennium-Gipfels im Herbst eine europäische Position erhalten. Wir werden auch am Rande des Frühlingstreffens des Währungsfonds am Freitag und Samstag über diese Initiativen sprechen.
D’Wort: Die politische Einigung auf den Finanzrahmen der EU für den Zeitraum 2007 bis 2013 gehört zu den Prioritäten des Luxemburger Vorsitzes. Ist eine Einigung nach dem “accord” über die Revision des Euro- Stabilitätspakts leichter geworden?
Jean-Claude Juncker: Der EU-Gipfel von Dezember 2004 hat uns die finanzielle Vorausschau in das Logbuch geschrieben. Ohne eine Reform des Stabilitätspaktes hätte es bestimmt keine Einigung zu den Finanzen gegeben. Der “accord” über den Pakt hat aber nicht notwendigerweise zur Folge, dass jetzt alle Bedenken zu den Finanzperspektiven ausgeräumt worden seien. Ich halte die Chance, dass es zu einer Einigung kommt, für relativ klein. Die Präsidentschaft wird zwar nichts unterlassen, um eine Einigung bis Ende Juni zu erreichen. Aber wir haben es mit einem außerordentlich schwierigen politischen Kalender zu tun, mit Parlamentswahlen in Großbritannien, mit Landtagswahlen in Nordrhein- Westfalen, den Referenden in Frankreich und den Niederlanden, den Wahlen in Polen. D.h. die Geister der politischen Verantwortlichen in diesen Ländern sind anders gepolt als sie es sein müssten, um einen Beschluss über die finanziellen Perspektiven zu bekommen. Ein “accord” ist jedoch notwendig, damit die EU-Kommission bis 2006 ihre Programme auflegen kann.
D’Wort 14. April 2005 (Fragen: Gerd Werle)