Vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 wird Luxemburg turnusgemäß den Vorsitz des EU-Rates ausüben. Für das Großherzogtum bedeutet diese Präsidentschaft eine gewaltige Herausforderung, über die WELCOME sich mit Luxemburgs Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker unterhielt
Vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 wird Luxemburg turnusgemäß den Vorsitz des EU-Rates ausüben. Für das Großherzogtum bedeutet diese Präsidentschaft eine gewaltige Herausforderung, über die WELCOME sich mit Luxemburgs Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker unterhielt.
Welcome: Herr Juncker, wird die Luxemburger EU-Präsidentschaft für Ihr Land die letzte sein, die nach klassischem Muster abläuft?
Jean-Claude Juncker: Für Luxemburg ist es bereits die elfte EU-Präsidentschaft seit dem Inkrafttreten der Verträge von Rom im Jahre 1957. Diese Präsidentschaften waren in allen Fällen erfolgreich. Besonders die beiden letzten, also jene von 1991 und 1997, sind wegen herausragender Beschlüsse in Erinnerung geblieben. Die Ratifizierung der Europäischen Verfassung vorausgesetzt, ändern sich jedoch ab 2007 Schema und Ablauf der EU-Präsidentschaften. Das bis dahin gültige Rotationsprinzip wird größtenteils abgeschafft. Zwei wesentliche Änderungen finden dann statt. Der Europäische Rat wird nicht mehr alle sechs Monate von einem anderen Mitgliedsland präsidiert, sondern von Fahnen der EU-Mitgliedsländer vor dem Europazentrum auf dem Kirchberg-Plateau in der luxemburgischen Hauptstadt einem EU-Präsidenten, der von den Mitgliedern des Europäischen Rates für jeweils zweieinhalb Jahre gewählt wird. Und Vorsitzender der Außenminister-Sitzungen wird der neue Europäische Außenminister sein. Kurzum: Ab 2007 ändern die EU-Präsidentschaften ihre Natur, indem sie weniger national zugeordnet sind.
Welcome: Was bedeutet der EU-Vorsitz für Luxemburg. Handelt es sich dabei eher um Symbolik oder ist der Stellenwert höher?
Jean-Claude Juncker: Wenn die Präsidentschaft nur symbolischen Charakter hätte, mit Kranzniederlegung und Bändchendurchschneiden, würde ich diesen sechs Monaten ruhig und gelassen entgegensehen. Dem ist aber nicht so, denn der Vorsitz bedeutet, dass während dieses Halbjahres Luxemburg für alle Bereiche der EU zuständig ist, Initiativen fördert und Eigeninitiativen entwickelt, die entsprechenden Treffen koordiniert und wichtige Entscheidungen herbeiführt. Dies stellt eine enorme Verantwortung dar. Immerhin müssen die gemeinschaftlichen Interessen der 25 Mitgliedsstaaten vor den Interessen unseres eigenen Landes rangieren. Eines der Ziele der Luxemburger Präsidentschaft ist das Entschärfen exzessiver nationaler Tendenzen in Europa, um im Gegenzug die Sensibilitäten aller Staaten zu berücksichtigen. Wenn wir unter den Mitgliedsländern mehrheitliche Zustimmungen herbeiführen können, haben wir Europa ein gutes Stück weitergebracht.
Welcome: Bisher hatte jeder EU-Vorsitz ein Hauptanliegen. Welche Prioritäten werden diesmal im Vordergrund stehen?
Jean-Claude Juncker: Es gibt einerseits zu behandelnde Bereiche, die schon seit langem auf der Agenda vermerkt sind, andere werden kurzfristig von der Weltpolitik diktiert. Standen 1997 die Erweiterung der EU, die Beschäftigungspolitik sowie Entscheidungen hinsichtlich des Euro im Mittelpunkt des Luxemburger Vorsitzes, so wird es dieses Jahr die Relance sowie eine Zwischenbilanz des Lissabonner Prozesses sein. Dieses Reformprogramm hinsichtlich Wirtschaft, Sozialem und Umwelt soll bis 2010 aus Europa die wettbewerbsfähigste Region der Welt machen. Außerdem wird die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes auf der Tagesordnung stehen. Des Weiteren werden Krisenherde wie der Balkan und der Irak sowie der internationale Terrorismus permanente Tagungs- und Verhandlungsthemen sein.
Welcome: Verschiedene Treffen gehen ja weit über die Grenzen Europas hinaus. Soll damit die Bedeutung der EU auf der Weltkarte gefestigt werden?
Jean-Claude Juncker: Dieser Stellenwert ist bereits ausgezeichnet, da Europa außerhalb seiner Grenzen oft mehr Ansehen genießt als innerhalb. In der restlichen Welt wird die Existenz der EU wie ein kleines Wunder angesehen, das bereits lange anhält. Umso ausgeprägter ist das Interesse großer Länder und Nationen an der politischen, wirtschaftlichen und intellektuellen Entwicklung der EU. In meiner Funktion als Europäischer Ratspräsident werde ich beispielsweise den amerikanischen sowie den russischen Präsidenten treffen. Mein Außenminister- Kollege wird in Luxemburg eine Konferenz mit fünfzig Ministern aus lateinamerikanischen und karibischen Staaten leiten, was allein von der Logistik her einen gewaltigen Aufwand erfordert.
Welcome: Die EU zählt derzeit 25 Mitgliedsstaaten und wird weiter wachsen. Droht ein kleines Land wie Luxemburg in einem so großen Staatenbund nicht an Einfluss zu verlieren?
Jean-Claude Juncker: Im Gegenteil, in der Geschichte der EU ist bei jeder Erweiterung der luxemburgische Einfluss stärker geworden. Die neuen Partnerländer sind oft selbst von kleiner oder mittlerer Größe und fühlen sich deshalb mit Luxemburg eng verbunden. Und man sollte nicht vergessen, dass Luxemburg zu den Gründungsstaaten der EU gehört und deshalb auf einen Erfahrungs- und Wissensschatz aufbaut, der es leichter macht, eine Vermittlerrolle zu spielen und Konsens herbeizuführen.
Welcome: Mitte September wurden Sie für zwei Jahre zum Vorsitzenden der Euro-Gruppe gewählt. Beeinflusst dieses zusätzliche “Mister Euro”-Amt Ihre Tätigkeit als Vorsitzender der Luxemburger EUPräsidentschaft?
Jean-Claude Juncker: Im nächsten Semester hätte Luxemburg sowieso die Präsidentschaft der Euro-Gruppe übernommen. Nun werde ich diesen Vorsitz halt nur 18 Monate länger ausüben. Ich sehe in dieser neuen Funktion also weder eine zusätzliche Arbeitsbelastung noch befürchte ich eine ungesunde Vermischung mit den Zielen und Interessen der EU-Präsidentschaft.
Welcome: Herr Premierminister, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Quelle: Welcome, Luxembourg City Tourist Office, LCTO-10.2004/44.0000