CSV-Fraktionspräsident Michel Wolter legt im Gespräch mit dem “Lëtzebuerger Journal dar, welche Akzente er in seiner neuen Funktion setzen will.
CSV-Fraktionspräsident Michel Wolter legt im Gespräch mit dem “Lëtzebuerger Journal dar, welche Akzente er in seiner neuen Funktion setzen will.
Lëtzebuerger Journal: Nach fast zehn Jahren in der Regierung wurden Sie am vergangenen 3. August wieder als Abgeordneter vereidigt, und traten somit, wie sie in Ihrer ersten Rede in Ihrer neuen Funktion als Fraktionschef der CSV selbst unterstrichen, wieder an den Platz zurück, wo Ihre politische Laufbahn im Juli 1984 ihren Anfang genommen hatte. Hat dieser, von der breiten Öffentlichkeit doch mit einem gewissen Erstaunen zur Kenntnis genommene Wechsel von der Exekutive zur Legislative vielleicht etwas damit zu tun, dass Jean-Marie Halsdorf auf der CSV-Südliste ein besseres Wahlresultat erzielte, waren Sie einfach nur amtsmüde – wie in einigen Medien spekuliert wurde -, oder wollten Sie sich einer neuen Lebensaufgabe stellen?
Die Probleme der Zeit durch eine vernetzte Herangehensweise lösen
Michel Wolter: Nach fast zehn Jahren in der Regierung wollte ich einfach eine neue Herausforderung in meinem politischen Leben angehen. Zwischen 1995 und 2004 konnte ich interessante, schwierige und aufreibende Dossiers betreuen. Als Fachminister ist man allerdings ständig auf seine eigenen Zuständigkeitsbereiche konzentriert. Der Fraktionschef hingegen ist Generalist, muss sich in allen Politikbereichen auskennen und die parlamentarische Arbeit insgesamt begleiten. Diese ressortübergreifende Aufgabe ist extrem reizvoll: ich bin der Überzeugung, dass die Probleme unserer Zeit nur durch eine vernetzte Herangehensweise gelöst werden können. Und genau dieses vernetzte politische Denken und Handeln, das sich aus einer Gesamtübersicht der Probleme und Schwierigkeiten ergibt, will ich als Vorsitzender der größten Parlaments- fraktion fördern.
“Das IVL ist eine nationale Herausforderung”
L.J.: Apropos Jean-Marie Halsdorf. Auf den neuen Innen- und Landesplanungsminister kommt speziell im Hinblick auf das nun vor der konkreten Umsetzung stehende Integrative Verkehrs- und Landesentwicklungskonzept (IVL) keine einfache Aufgabe zu, insbesondere wenn man in Betracht zieht, dass Sie das IVL-Projekt während Jahren quasi mit Ihrem “Herzblut” vorantrieben. Reicht die Erfahrung Ihres Nachfolgers, des Regierungsneulings Halsdorf als Syvicol-Generalsekretär hier überhaupt aus, einem so wichtigen Projekt die nötigen Impulse geben zu können, zumal Sie als Minister dafür bekannt waren, sich auch in schwierigen Dossiers durchsetzen zu können?
M. Wolter: Das IVL ist eine nationale Herausforderung. Es kann und darf nicht Angelegenheit einer einzelnen Person sein. Der beste Innenminister wird bei der Umsetzung des IVL nicht vorankommen können, wenn er nicht ständig den Dialog, auch die Kontroverse, mit anderen betroffenen Regierungsmitgliedern, dem Parlament, und nicht zuletzt den Gemeindeverantwortlichen pflegt. Das IVL ist nicht das Werk einer Einzelperson, sondern eines Teams, und muss auch im Rahmen einer kollegialen Zusammenarbeit zwischen Entscheidungsträgern in Regierung, Abgeordnetenkammer und Gemeinden in die Praxis umgesetzt werden. Der Erfolg des IVL ist allerdings wesentlich davon abhängig, ob alle Betroffenen den Sinn der gesamten Vorgehensweise einsehen.
Jean-Marie Halsdorf hat sich als Abgeordneter intensiv mit dem IVL befasst, sich auch während der Ausarbeitungsphase des Konzeptes ständig dafür interessiert. Er kennt die Gemeinden als ehemaliger Bürgermeister und Generalsekretär des SYVICOL gut, und ich bin überzeugt, dass er auch die wichtigen Inhalte des IVL vermitteln kann.
Koalition: “Sache der gemeinsamen Überzeugungen und der Solidarität”
L.J.: Dem “Wahlverlierer” DP bescheinigten Sie in Ihrer Jungfernrede als frisch gebackener Fraktionschef, eine “anständige und seriöse Arbeit” während der vergangenen fünf Jahre in der Regierung geleistet zu haben. Was erwarten Sie sich in diesem Zusammenhang von der LSAP, die ja nicht gerade als “Wahlgewinner” zu bezeichnen ist und nun mit einer verhältnismäßig übermächtigen CSV das Koalitionsbett teilen muss?
M. Wolter: Die CSV hat im Verlauf der Jahrzehnte sowohl mit der DP als auch mit der LSAP koaliert, und jede Legislaturperiode, während der eine CSV-geführte Regierung die Geschicke des Landes geführt hat, hat sich durch wichtige Fortschritte ausgezeichnet. So ist es mit der DP gewesen, und so ist es auch zwischen 1984 und 1999 mit der LSAP gewesen. Politik ist immer eine Sache der Inhalte, und der Erfolg von Koalitionen ist eine Sache der gemeinsamen Überzeugungen und der Solidarität. Es gibt in einer Regierung keine wichtigere und keine weniger wichtige Hälfte: auch wenn die CSV im Parlament 10 Sitze stärker ist als die LSAP, so verwirklichen beide Parteien, beide Fraktionen und die Regierungsmitglieder beider Parteien gemeinsam und solidarisch das Koalitionsprogramm.
“Wir brauchen uns für diesen Erfolg nicht zu schämen”
L.J.: Stichwort Erziehungspauschale: Wurde die LSAP hier wirklich von Ihrer Partei über den Tisch gezogen, und was mag Formateur Jean-Claude Juncker sich dabei gedacht haben, den Sozialisten die “Mammerent” als Vorbedingung zu einer Regierungsbeteiligung gestellt zu haben? Berechtigen die Probleme in Bezug auf die Staatsfinanzen den Griff in die Pensionskasse, die niemandem außer den Versicherten gehört?
M. Wolter: Die eigentliche Frage ist doch, ob wir es mit einem politischen oder eher einem technischen Problem zu tun haben, das für eine politische Auseinandersetzung missbraucht wird.
Ist das Problem politisch, dann will ich für die CSV klar zum Ausdruck bringen, dass wir uns nicht vom eingeschlagenen Weg abbringen lassen: wir haben die “Mammerent” gewollt, sie wird ausgezahlt, zehntausende Mütter konnten von dieser Maßnahme profitieren, und wir brauchen uns für diesen Erfolg nicht zu schämen.
Ist das Problem aber technisch, dann gibt es auch eine Lösung dafür. Durch die Finanzierung der Erziehungspauschale über die Rentenkassen wird niemandem etwas geklaut: Personen im Rentenalter – und eben erst im Rentenalter, keine jüngeren Menschen – erhalten eine Leistung, die einen Altersbezug darstellt. Wie eine Rente eben auch. Natürlich wurden für die Renten Beiträge gezahlt – übrigens zu einem Drittel vom Staat. Wenn das Problem nun dadurch gelöst werden kann, dass ein pauschaler Ersatzbeitrag geleistet wird, um in den Genuss der “Mammerent” zu kommen, dann müssen wir über einen solchen Beitrag nachdenken. Genau so wurde Ende der 60er Jahre die Pensionsberechtigung jener Frauen begründet, die zwar im heimatlichen Betrieb während langen Jahren gearbeitet hatten, jedoch nie bei der Sozialversicherung angemeldet waren und keine Beiträge gezahlt hatten.
Wir sollten uns also nicht durch Detailfragen vom Wesentlichen abbringen lassen. Es wird eine Gesetzvorlage geben, die die zukünftige Finanzierung der Erziehungspauschale regelt, und in dieser Vorlage werden die Probleme, wenn sie technischer Art sind, gelöst.
“Europäische Sachpolitik ist letzen Endes Innenpolitik”
L.J.: Haben Sie die Absicht, einige der von ihrem Amtsvorgänger Lucien Weiler während der Bilanzpressekonferenz der CSV-Fraktion zum Ende der vergangenen Legislatur gemachten Ideen und Vorschläge aufzugreifen, wie bspw. eine stärkere Einbeziehung der Europapolitik auf Krautmarkt, eine Straffung der Anzahl der parlamentarischen Ausschüsse, eine drastische Kürzung der Gesetzesentwürfe oder auch ein Ausbau des Angebots von “Chamber TV”?
M. Wolter: Es ist eindeutig nötig, dass das Parlament sich verstärkt mit Europapolitik beschäftigt. Zwischen zwei Drittel und drei Viertel unserer nationalen Gesetzgebung hängen von europäischen Vorgaben ab. Deswegen bin ich sehr dafür, dass sowohl in der Parlamentsverwaltung wie auch in den Fraktionen diesem Bereich viel mehr Aufmerksamkeit zukommt. Europäische Sachpolitik ist letzten Endes Innenpolitik.
Die parlamentarische Arbeit an sich kann durchaus stellenweise gestrafft werden, und sollte mehr wertorientiert sein: parlamentarische Berichte sollten sich auf das konzentrieren, was die Abgeordneten an eigener Denkleistung aufgebracht haben, um sich mit einer Regierungsvorlage zu beschäftigen. Eine solche Vorgehensweise wird auch das Interesse an der parlamentarischen Arbeit vergrößern. Das Angebot von “Chamber TV” gehört in Richtung von Interviews und kontroversen Diskussionen ausgebaut. All diese Ansätze werden wir in den kommenden Wochen und Monaten vertiefen, wenn der normale politische Betrieb sich wieder eingestellt hat.
L.J.: Zu guter Letzt: Die CSV-Fraktion wurde in der Vergangenheit ja immer wieder mal gerne als Krabbenkorb dargestellt. Welche Eigenschaften muss ein guter Fraktionschef Ihrer Meinung nach mitbringen?
M. Wolter: Für einen Fraktionschef – ganz besonders, wenn seine Fraktion 24 Mitglieder zählt – ist es wichtig, dass die Abgeordneten seiner Fraktion wissen, dass sie auf ihn zählen können. Dass er zuhören kann, und dass er ausgewogene Entscheidungen trifft, die die ganze Fraktion mittragen kann. Natürlich muss er seiner Aufgabe sehr viel Zeit widmen: der gesamten Gruppe wie auch den verschiedenen thematischen Arbeitskreisen und einzelnen Kollegen. Nur so kann er ständig auf dem Laufenden sein und die Fraktionsarbeit optimal leiten. Und auch das ist Teamarbeit: eine große Fraktion zu führen ist eine Mission, die nur im Einklang und im Zusammenspiel mit dem Fraktionsvorstand und jenen Kollegen, die politische Themenbereiche im Detail betreuen, gelingen kann.
(Lëtzebuerger Journal, Freitag, der 17. September 2004, Interview Pascal Steinwachs)