Arbeits- und Sozialexperte Marcel Glesener im Profil-Interview über die rezente Reform der Kollektivvertragsgesetzgebung
Profil: “Seit Jahren wurde eine Reform der Kollektivvertragsgesetzgebung, insbesondere von den Gewerkschaften, gefordert. Wodurch ergab sich der Handlungsbedarf in Sachen Kollektivvertragsgesetzgebung?”
Marcel Glesener: “Handlungsbedarf ergab sich aus mehreren Gründen. Die traditionelle Gewerkschaftsszene hat sich in den 90er Jahren grundlegend verändert. Hinzu kamen Urteile vom Verwaltungsgericht. Schließlich galt es vor allem auch, die Schlussfolgerungen der parlamentarischen Konsultationsdebatte vom 30. November 2000 über die Repräsentativität der Gewerkschaften zu berücksichtigen.
Wir haben nun die Frage der nationalen und der sektoriellen Repräsentativität geklärt. Genaue Kriterien legen die Bedingungen und Voraussetzungen fest, die eine Gewerkschaft erfüllen muss, um die allgemeine nationale Repräsentativität zu besitzen. Gleichzeitig haben wir den Begriff der sektoriellen Repräsentativität eingeführt. Gewerkschaften, die in einem Sektor stark vertreten sind, erhalten bei der Unterzeichnung von Kollektivverträgen wichtige Rechte.”
Anpassung des Streikrechts
Profil: “Neben der Klärung des Begriffs der nationalen und sektoriellen Repräsentativität, was sind die weiteren Schwerpunkte des neuen Kollektivvertragsgesetzes?”
Marcel Glesener: “Wir haben den Ablauf der Prozeduren bei den Kollektivvertragsverhandlungen geklärt und die Arbeitsweise des Schlichtungsamts verbessert. Im Prinzip haben wir die Kompetenz des Schlichtungsamts auf sämtliche kollektiven Auseinandersetzungen ausgeweitet. Wir haben das Streikrecht in dem Zusammenhang angepasst. Kein Streik kann ohne die vorherige Anrufung des Schlichtungsamts ausgerufen werden.
Schließlich wird im Rahmen der Verhandlungsprozedur eine Verhandlungsdelegation eingeführt, der die national repräsentativen Syndikate angehören, sowie die Gewerkschaften mit sektorieller Repräsentativität, sofern sich die Kollektivvertragsverhandlungen auf ihren Bereich beziehen.”
Grundvoraussetzung für sozialen Frieden
Profil: “Für Sie persönlich ist die Reform des Kollektivvertragsgesetzes weitaus mehr als nur eine “normale” legislative Maßnahme?”
Marcel Glesener: “Das stimmt. Das Kollektivvertragswesen hat bereits während meiner Arbeit als Gewerkschaftssekretär und LCGB-Präsident eine wesentliche Rolle gespielt. Man muss einfach wissen, dass der soziale Frieden ein wichtiger wirtschaftlicher Standortvorteil und ausschlaggebend für die soziale Qualität unserer Gesellschaft ist. Und eine der Grundvoraussetzungen dazu ist nun mal ein optimales Kollektivvertragswesen.
Kollektivvertragspolitik ist somit in höchstem Maße Gesellschaftspolitik. Daher bin ich froh, dass ich als Berichterstatter und Präsident der Kommission für Arbeit und Beschäftigung, gemeinsam mit Arbeitsminister François Biltgen, zu dieser Reform beitragen konnte.”