Europa der 25

Premierminister Jean-Claude Juncker über die Europa-Osterweiterung und die Aktualität in der Europäischen Politik

Interview: “InfoRadio Rundfunk Berlin-Brandenburg” vom 30-03-2004

Inforadio: Herr Juncker, wie fühlt es sich an, demnächst nicht mehr Premierminister des kleinsten EU-Landes zu sein, sondern mit Maltas Beitritt nur noch der des zweitkleinsten?

Jean-Claude Juncker: Das führt bei mir zu keinerlei Veränderung meiner Gefühlslage.

Inforadio: Luxemburg hat es ja stets verstanden Kompromisse zu schmieden und trotzdem knallhart die eigenen Interessen durchzusetzen. Ich denke mir so Länder wie Deutschland oder Frankreich könnten sich eine solche Haltung nicht erlauben. Wird diese Rolle Luxemburgs schwieriger werden, wenn nun 10, vor allem kleinere Staaten der EU beitreten?

Jean-Claude Juncker: Ein kleines Land in der Europäischen Union muss wissen, dass es neben der Vertretung seiner ureigenen Interessen, auch immer sich in den Dienst der Europäischen Union, der Gemeinschaft eben stellen muss, Größere tun das auch manchmal. Aber wenn vor allem die Grossen zu entscheiden haben, ob die nationalen Interessen Vorrang haben oder das Gemeinschaftsinteresse, dann neigt die Waage doch sehr in Richtung Vertretung der nationalen Interessen. Wenn jetzt mehrere kleine Staaten mit an Bord der Europäischen Union sein werden, dann wird sich dies nicht wesentlich verändern, was jetzt spezifisch Luxemburg anbelangt, weil Luxemburg ist ein Gründungsmitglied der Europäischen Union. Wir machen das Geschäft, zwischen Gänsefüßchen, seit 52 im Rahmen der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, dann der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und ich geh überhaupt nicht davon aus, dass Luxemburg an Einfluss oder an Mitwirkungsmöglichkeiten einbüssen wird.

Inforadio: Wie wird sich Luxemburg in der EU künftig definieren? Vorreiter und Sprecher der kleinen EU-Staaten oder mitschwimmen in einem so genannten Kerneuropa, dominiert von den mächtigen Deutschen und Franzosen.

Jean-Claude Juncker: Dies wird kein Unternehmen sein, das unter deutsch-französischem Kommando steht. Das mag man in Deutschland und Frankreich so sehen, aber so wird es nicht sein, wenn es denn dazu käme und im Kerneuropa schwimmt man nicht mit, auf Kerneuropa muss man zurudern um zu Kerneuropa zu gehören. Das gilt nicht nur für kleinere Länder, sondern auch für Größere.

Inforadio: Ich komme zum Thema EU-Verfassung. Der Anschlag hat mit dazu geführt, dass es zum Regierungswechsel in Spanien gekommen ist und erst dieser Wechsel hat auch den zweiten Blockierer, nämlich Polen unter Druck gesetzt, sich halt in den verhakten Verhandlungen um die EU-Verfassung zu bewegen. Ist es nicht bitter, dass Terror so maßgeblich EU-Politik bestimmen kann?

Jean-Claude Juncker: Ich bin stets davon ausgegangen, dass Spanien und Polen sich auch bewegt hätten, wenn es nicht zu einem Regierungswechsel in Spanien gekommen wäre, vielleicht nicht so schnell, vielleicht nicht so zügig, aber die Tatsache, dass jetzt eine andere politische Partei in Spanien Regierungspartei geworden ist, hat eben zur Folge, dass die auch das tut was sie vor den Wahlen angekündigt hat, nämlich sich stärker auf die europäische Mitte zu bewegen und dies bringt auch Handlungsbedarf im polnischen Lager hervor. Wieso dass Aznar und seine Volkspartei die Wahlen in Spanien verloren haben, das ist eine Frage die man so schnell nicht beantworten sollte. Es waren ja nicht nur die Attentate, sondern vielleicht auch eine zu lange anhaltende falsche Reaktion auf die Attentate. Aber ich will mich nicht zu der Theorie versteigen, die Terroristen und sie allein hätten es uns einfacher gemacht jetzt mit dem europäischen Verfassungswerk zu Rande zu kommen.

Inforadio: Jetzt kommen 10 neue Staaten hinzu, in einigen Jahren sollen Rumänien und Bulgarien folgen. Wo würden Sie die Grenzen eines gemeinsamen Europas sehen?

Jean-Claude Juncker: Über die Erweiterung hin zu jenen Ländern die jetzt im Gespräch stehen, sehe ich eigentlich keinen direkten Anlass andere geographische Räume jetzt europatauglich machen zu wollen. Aber mit diesen neuen Nachbarn der Europäischen Union, Ukraine, Israel, andere, werden wir über eine besondere Form der Beziehungen nachdenken müssen. Auch mit Russland müssen wir auf dem Wege der Annäherung konzentrischer Kreise um die Europäische Union herum die russischen und unsere Sicherheitsinteressen so staffeln, dass ein Mehr an Zusammenarbeit entsteht.

Inforadio: Herr Juncker, welche Qualitäten sollten Ihrer Meinung nach der nächste EU-Kommissionspräsident mitbringen?

Jean-Claude Juncker: Er muss die europäische Geschichte kennen. Er muss zuhören können, spüren was die Ängste, Sorgen und Hoffnungen der Menschen im westlichen Teil Europas sind und spüren, ergründen, verstehen was die Ängste und Hoffnungen der Menschen in Mitteleuropa sind. Er muss ein Verständnis entwickeln für das notwendige Miteinander von großen und kleinen Staaten. Er muss begreifen, dass die europäische Konstruktion, damit sie komplett wird, auch Rücksicht nehmen muss auf die sozialen Belange der Menschen und er muss glaubhaft, im Namen der Europäer, nach innen und nach außen auftreten können. Nach außen, um unsern Partnern der Welt davon zu überzeugen, dass es einen geschlossenen europäischen Willen gibt, nach innen um deutlich zu machen, dass der europäische Traum nicht ausgeträumt ist, sondern dass er weitergeträumt werden muss.

Inforadio: Am 13. Juni stehen ja auch Wahlen in Luxemburg an. Wenn Sie wieder gewählt werden, wonach es momentan aussieht, bleiben Sie wirklich Luxemburgs Premierminister für die gesamte Legislaturperiode, wie Sie es den Wählern in Ihrem Land versprochen haben?

Jean-Claude Juncker: Ich gehöre zu den altmodischen Menschen, die versuchen das, was sie ihren Wählern versprechen, auch einzuhalten und nicht 3 Tage nach der Wahl das Gegenteil dessen zu tun was man 3 Tage vor der Wahl angekündigt hat.

Das integrale Interview finden Sie unter: http://www.gouvernement.lu/salle_presse/Interviews/20040330juncker_inforadio/index.html