Parteipräsidentin Erna Hennicot-Schoepges im Télécran-Interview.
Télécran: Frau Hennicot-Schoepges, als Ministerin sind Sie nicht nur zuständig für Hochschulen, sondern auch für Kultur und Forschung. Welche Bedeutung messen Sie der Gesetzvorlage zur Schaffung der Universität bei?
Erna Hennicot-Schoepges: Das Vorhaben bereitet Luxemburg auf die Wissensgesellschaft des 21. Jahrhunderts vor. Es ist eine Investition in die Zukunft. Darüber hinaus wird uns die Universität eine Reihe von ökonomischen Standortvorteilen bringen.
Télécran: Konkret?
H.-S.: Die Wirtschaft sucht die Nähe zu Hochschulen ” vorausgesetzt, dort wird nicht nur gelehrt, sondern auch geforscht. Aus diesem Grund erteilen wir der Uni Luxemburg einen doppelten Auftrag: zu lehren und zu forschen!
Télécran: Die Universität ist demnach ein weiteres Argument für den Wirtschaftsstandort Luxemburg?
H.-S.: Die Uni ist mehr als nur Imagepflege. Sie ist eine Notwendigkeit, die uns neue Perspektiven eröffnet.
Télécran: Die da wären?
H.-S.: Erstens: Die Universität kann die luxemburgische Wirtschaft diversifizieren. Sich nur auf das Finanzwesen zu verlassen, halte ich für unklug. Zweitens: Die Uni soll nicht nur neue Bereiche, sondern auch neue Unternehmen anlocken und so Arbeitsplätze schaffen. Und drittens: Die Uni soll kluge Köpfe ins Land holen oder im Land halten. Know-how wird immer wichtiger, und eine Hochschule ist in meinen Augen das beste Rezept gegen den “Braindrain”, also den “Abfluss von Intelligenz”, sprich die Abwanderung von Wissenschaftlern ins Ausland.
Télécran: Um die Hochqualifizierten buhlen aber alle.
H.-S.: Wir sind uns durchaus bewusst, dass unser Konzept nur funktionieren kann, wenn wir Forschung ganz groß schreiben. Zu einem echten Standortvorteil wird die geballte Intelligenz einer Uni nämlich nur, wenn wir es schaffen, gute Forscher ins Land zu holen und einen Teil der ausgebildeten Wissenschaftler im Land zu halten.
Télécran: Reicht die Aussicht auf gute Arbeitsbedingungen aus, um die begehrtesten Leute zu engagieren?
H.-S.: Die Anfrage ist groß und wird es wohl auch bleiben, wenn wir weiterhin auf Qualität setzen. Eine Universität lebt von den Namen, mit denen sie aufwarten kann. Und ich zweifle nicht daran, dass wir gute Namen bekommen.
Télécran: Wie begegnen Sie dem Kritiker-Argument, eine Uni in Luxemburg werde mit der Zeit zu “Provinzialismus in Reinkultur” verkümmern?
H.-S.: Die Befürchtung, die Luxemburger würden in Zukunft nicht mehr im Ausland studieren, hält sich hartnäckig. Dank unserem “Modell der Mobilität” ist sie aber unbegründet. Auch in Zukunft wird Studieren Synonym sein für Auslandserfahrung. Außerdem bleibt das System der “Aides financières” bestehen.
Télécran: Wie steht es mit der Freiheit für Forschung und Lehre?
H.-S.: Die Freiheit der Universität ist in ihrer Struktur verankert. Als “Établissement public” wird sie vom Staat finanziert, für die Inhalte ist sie aber selbst verantwortlich. Bei den “Centres de recherche public” haben wir mit dieser Formel gute Erfahrungen gemacht. Die Uni wird also weder einen Wasserkopf bekommen noch eine Spielwiese für Professoren sein. Sie wird eingebettet in die wirtschaftliche und kulturelle Realität des Landes, zugleich aber flexibel genug sein, um mit den Veränderungen der Umwelt Schritt zu halten.
Télécran: Als Sie den Gesetzentwurf der Öffentlichkeit vorstellten, haben Sie gesagt, die Uni solle so viel Geld wie möglich aus der Wirtschaft annehmen. Birgt zuviel Nähe nicht auch Risiken?
H.-S.: Ich wollte damit sagen, dass es keine Berührungsängste geben darf. Die Uni muss offen sein, aber nicht abhängig. Die strikte Trennung von Grund-lagenforschung und praxisorientierter Recherche ist längst obsolet geworden. Unsere Erfahrungen bestätigen dies: Die Zusammenarbeit zwischen dem Reifenhersteller Goodyear und unserem Labor der Materialanalyse zum Beispiel ist eng und erfolgreich. Solche Synergien sollen Schule machen.
Télécran: Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Was werden die Hauptmerkmale der Uni Luxemburg sein?
H.-S.: Sie wird gleich mehrere Trümpfe vereinen. Erstens: Interdisziplinrarität. In Luxemburg soll fächerübergreifend studiert und geforscht werden. Zweitens: die Symbiose aus Forschung und Lehre. Das eine soll das andere ergänzen. Drittens: Internationale Zusammenarbeit. Wir wollen mit möglichst vielen ausländischen Unis kooperieren. Viertens: Mobilität. Den Erasmus-Gedanken spinnen wir konsequent weiter, so dass jeder Student der Uni Luxemburg mindestens zwei Semester im Ausland verbringen muss. Und fünftens: Mehrsprachigkeit. Wer hier zu Lande studiert, muss die Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch beherrschen.
Télécran: Muten Sie den Studenten da nicht ein bisschen viel zu?
H.-S.: Die Uni Luxemburg wird keine Massenuniversität. Wir wollen dem Einzelnen eine maximale Aufmerksamkeit zukommen lassen. Neu ist übrigens auch die Zusammenführung von “filière professionnelle” und “filière académique”. Die Uni wird Hochschule und Fachhochschule in einem ” mit unterschiedlichen Diplomen, aber fließenden Übergängen. Wie die im Einzelnen aussehen, muss die künftige Uni-Verwaltung festlegen.
Télécran: Gibt es Vorbilder für dieses Konzept?
H.-S.: Unser Modell gibt es so noch nicht. Als Kreation sui generis nimmt es eine Vorreiterrolle ein. Aber nach den richtungsweisenden Beschlüssen von Bologna in Sachen Studienharmonisierung bemüht man sich überall um Reformen. Die Studienzeiten wurden auf drei bis vier Jahre für den Bachelor, auf fünf für den Master und auf acht für das Doktorat festgelegt. Gleichzeitig einigte man sich auf das “European Credit Transfer System”. Für einen Bachelor sind demnach 180 bis 240 Kreditpunkte notwendig, für einen Master 300. 60 Punkte pro Studienjahr sind realistisch. Der Vorteil: Wer an einer ECTS-Uni Punkte erwirbt, bekommt seine Studien an jeder anderen ECTS-Uni anerkannt. Darauf baut auch das Luxemburger Konzept der Mobilität auf.
Télécran: Zur Uni: Was wird wo unterrichtet?
H.-S.: Es wird drei Fakultäten geben: eine “faculté des sciences, de la technologie et de la communication”, eine “faculté de droit, d’économie et de finance” und eine “faculté des lettres, des sciences humaines, des arts et des sciences de l’éducation”. Sie verteilen sich auf die Standorte Esch/Belval-West, Luxemburg-Limpertsberg und Walferdingen.
Télécran: Wer darf unterrichten?
H.-S.: Das Auswahlverfahren steht und sieht vier Formeln vor: Universitätsprofessoren, Assitenz-Professoren, “Chargés de cours” und “Chargés d’enseignemenemt”. Ergänzt wird der akademische Korps durch Gastprofessoren und “Enseignants vacataires”. Das System der “décharges” wird aber abgeschafft. In Zukunft ist man entweder Professor an der Uni oder Lehrer im Gymnasium. Wer beides machen will, muss sehen, wie er klar kommt. Zusätzliche Stunden werden vergütet, Freistellungen gibt es aber keine mehr.
Télécran: Und wer darf hier studieren?
H.-S.: Zugangsberechtigt ist, wer das Abitur vorlegen kann. Ausnahmen sind aber möglich. Ob in bestimmten Fächern eine Numerus-clausus-Regelung notwendig ist, wird die Uni sehen müssen.
Télécran: Studiengebühren …
H.-S.: … sind in einer ersten Phase nicht vorgesehen, da die Regierung die Universität als “service public” mit breitem Zugang ansieht. Dies verhindert aber nicht, dass verschiedene Studiengänge, wie zum Beispiel die School of Finance, kostenpflichtig sind.
Télécran: Wie werden ISERP, IEES und IST in die Uni integriert?
H.-S.: Die Lehrer, die “Éducateurs gradués” und die IST-Ingenieure erhalten nach Abschluss ihrer Studien einen “Bachelor professionnel”. Der berechtigt, wie jeder fachspezifische Diplom, zur Ausübung des angestrebten Berufs. Zusätzlich und auf freiwilliger Basis kann anschließend ein Master-Titel erworben werden. Für die drei Luxem-burger Fachhochschulen sind aber längere Übergangsfristen geplant.
Télécran: Mit wie vielen Dozenten und Studenten ist zu rechnen?
H.-S.: Wir gehen von 4000 bis 5000 Studenten in den ersten vier bis fünf Jahren aus. Angaben über die Sollstärke bei den Dozenten sind zu diesem Zeitpunkt aber noch verfrüht.
Télécran: Stichwörter Wohnungsnot und Aufenthaltsgenehmigungen: Sind hier Verbesserungen geplant?
H.-S.: Problematisch ist die Situation in erster Linie für Studenten aus Nicht-EU-Ländern. Wir verhandeln aber mit dem Justizministerium, um solchen Studenten die behördlichen Auflagen zu erleichtern. Zugleich erarbeiten wir mit dem Arbeitsministerium eine Neuregelung der Studentenarbeit, damit mehr Studierende die Möglichkeit haben, sich ihren Unterhalt selbst zu verdienen.
Télécran: Steht schon fest, wer der erste Rektor der Uni wird?
H.-S.: Nein.
Télécran: Was kostet die Uni den Luxemburger Staat?
H.-S.: Zurzeit machen die Ausgaben 0,52 Prozent des Staatsbudgets aus. Das entspricht etwa 0,14 Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Télécran: Erwarten Sie Probleme auf dem Instanzenweg?
H.-S.: Eigentlich nicht. Ein ganzes Jahr haben wir mit Fachleuten debattiert und dreimal wurde das Projekt im Ministerrat erläutert. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht und sind gut vorbereitet.
Télécran: Wann fällt der Startschuss?
H.-S.: Hoffentlich im Herbst 2003. Wir sind bereit!
Mit Erna Hennicot-Schoepges unterhielt sich Luc Marteling