Die Sicherheits-Falle

Ein Gespenst geht um in Europa: ein schwer fassbares Gefühl allgemeiner Verunsicherung scheint sich unmerklich, aber unaufhaltsam auszubreiten. Die Vorgänge um die Wahlen in Frankreich und zuletzt in den Niederlanden machen eines deutlich: Ein immer größerer Teil der Bevölkerung fühlt sich von Klein-, Beschaffungs- und organisierter Kriminalität immer unmittelbarer bedroht. Da nutzt es wenig, dass Zahlen und Statistiken eine andere, deutliche Sprache sprechen und keinen nennenswerten Anstieg von Gewaltverbrechen verzeichnen. Und obwohl es stimmt, dass Sachdelikte, insbesondere Diebstähle, etwas häufiger geworden sind, stehen die verifizierbaren Daten mit dem Ausmaß an Verunsicherung in der Bevölkerung in keinerlei nachvollziehbarem Verhältnis mehr. Hier spielt ein Phänomen eine Rolle, das Soziologen die “normative Kraft des Faktischen” nennen. Hinter diesem Wortungetüm versteckt sich die bekannte Tatsache, dass, je häufiger man von bedingt vergleichbaren Ereignissen hört und darüber diskutiert, man umso gewillter ist ihre (scheinbare) Allgemeingültigkeit zu akzeptieren. Nur so lässt sich der Erfolg Le Pens gerade in den ländlichen Regionen des Elsass erklären, die seit Jahren keine nennenswerten Gewaltverbrechen zu verzeichnen hatten. In solchen Situationen müssen wir uns auf unseren gesunden Menschenverstand verlassen können: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer und neue Formen der Kriminalität (wie das Homejacking) zeugen nicht zwangsläufig von einer Verrohung der Sitten oder dem Verfall unserer Gesellschaft.. Natürlich darf die Politik die Ängste ihrer Bürger auch nicht auf die leichte Schulter nehmen. Die Entwicklung unseres Gemeinwesens vom Nachtwächterstaat, der nur für die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Steuereintreibung zuständig war, zu unserem Modell des Wohlfahrtsstaats, dem wir alle unseren sozialen Frieden verdanken, benötigte Jahrhunderte. Darüber dürfen wir jedoch nie die uralte Schutz-Verpflichtung des Staates gegenüber seinen Bürgern vergessen; denn, wo das Vertrauen in die Rechtssicherheit einmal verschwunden ist, lässt sich oft auch das Gewaltmonopol des Staates, der Garantie für Frieden und Ordnung, nicht mehr halten. Deshalb gilt es sich in den nächsten Jahren verstärkt um eine bürgernahe, transparentere und effizientere Gestaltung der Justiz und ihrer Organe zu bemühen. Der Anfang wurde gemacht: Wahrend dieser Legislaturperiode wurden schon über 20 Planstellen für Magistrate und Funktionäre geschaffen. Andere werden dazukommen. Vor allem aus diesem Grund ist es wichtig, das Projekt “Cité Judiciaire” zügig und konsequent voranzutreiben. Denn nur ein effizienter Justiz-Apparat kann den gefühlsmäßigen Graben zwischen unserem Rechtsempfinden und dem gesprochenen Recht so klein wie nur irgend möglich halten. Viele denken schon heute, dass Falschparken energischer geahndet wird als Kapitalverbrechen. Dieses Gefühl darf sich nicht verallgemeinern, denn gegen das Herz kann der Verstand nur schwer gewinnen. Dessen müssen sich auch die Rechts-Populisten quer durch Europa bewusst sein: schnell und einfach ist es eine Sicherheits-Debatte zu beginnen, schwer ist es, sie in den Griff zu bekommen und lange kann es dauern, bis das verloren gegangene Vertrauen wieder wett gemacht werden kann. In diese Sicherheits-Falle sollten wir in Luxemburg nicht laufen. Sondern vorsorgen.

Erna Hennicot-Schoepges

CSV-Präsidentin