D’CSV preparéiert hir Zukunft. De Claude Wiseler am Interview an der Revue, 13. Oktober 2021
Die größte Oppositionspartei ist dabei, die eigene Zukunft vorzubereiten. Im Interview spricht CSV-Parteipräsident Claude Wiseler über die personelle und inhaltliche Erneuerung, über das Superwahljahr 2023, die Schwierigkeiten der großen Volksparteien und die Freundeskreis-Affäre.
Befürchten Sie, dass die CSV ein ähnliches Schicksal ereilen könnte wie die CDU bei der letzten Bundestagswahl?
Eigentlich möchte ich keinen Vergleich zwischen CDU und CSV ziehen, aber man muss wissen, dass in der Politik alles möglich ist. Es kann schnell in die eine oder andere Richtung gehen, ohne dass man sich auf irgendetwas basieren oder etwas als endgültig annehmen kann. In diesem Sinne ist mir auch bewusst, dass vor uns in Bezug auf 2023 eine Menge Arbeit liegt, und die bin ich gerade am Bewerkstelligen.
Kürzlich hat Marc Glesener im Wort geschrieben, dass man mit weniger als 25 Prozent der Wählerstimmen keine Volkspartei mehr sei. Die CSV lag bei Umfragen auch schon unter 25 Prozent. Ihre Partei ist also de facto keine Volkspartei mehr, oder?
Das hängt immer davon ab, wie Sie Volkspartei definieren. Die CSV versteht sich vor allem aus dem Grund als Volkspartei, weil wir mit unserer Politik nicht nur eine ganz bestimmte Wählerschaft ansprechen wollen, sondern weil wir eine Politik gestalten, die wesentlich breiter gefächert ist. Wir möchten uns an das ganze Volk richten, was natürlich bedeutet, dass wir sowohl einige Kompromisse eingehen müssen als auch hin und wieder sehr ins Detail gehen müssen, um von jedem verstanden und akzeptiert zu werden. Das ist in meinen Augen die prinzipielle Vorgehensweise, wie eine Volkspartei agieren sollte. Das bedeutet auch, dass wir versuchen, die sogenannten rechten und linken Flügel — Ausdrücke, die ich so nicht mag — miteinander zu verbinden. Wenn Sie sich anschauen, wie die CSV-Wählerschaft und -Mitgliederschaft zusammengesetzt ist, finden Sie Menschen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Dies wollen wir so beibehalten. Ich könnte es auch populärer ausdrücken und sagen: „Die CSV ist eine Partei, die nah beim Volk sein will.” Die Sache mit den Prozentpunkten bleibt dann immer eine Interpretationssache, wichtiger ist in meinen Augen die parteipolitische Ausrichtung und wie man an Probleme herangeht.
Aber dennoch: Ist die Zeit der großen Volksparteien nicht generell vorbei, gerade auch, wenn man über die Landesgrenzen hinwegschaut?
Natürlich haben es die Volksparteien überall in Europa momentan schwer. Und nicht nur die christlich-sozialen, sondern auch die sozialistischen Parteien. Der Hauptgrund liegt in meinen Augen darin, dass es äußerst schwierig ist, die Komplexität der politischen Probleme dem Wähler zu vermitteln. Heute ist die Kommunikation sehr schnelllebig, funktioniert mit wenigen Worten und fokussiert sich in der Regel auf einen einzigen Punkt. Die neuen Medien haben eben mit sich gebracht, dass politische Kommunikation heute anders funktioniert. Das stelle ich fest, ohne dass ich es beurteilen möchte, aber für eine Partei, die multithematisch ist, ist es heute schwerer, die Botschaft an den Wähler zu bringen, als für monothematische Parteien. Aber selbst, wenn Volksparteien es aktuell schwer haben, will das nicht unbedingt heißen, dass dies auch in Zukunft so bleiben muss. Das Beispiel der SPD bei der Bundestagswahl hat nämlich klar gezeigt, dass sich in nur sechs Monaten vieles ändern kann.
Volksparteien scheinen sich aber besonders schwerzutun bei der personellen und inhaltlichen Erneuerung…
Was die personelle Erneuerung angeht, ist es für die CSV nicht schwieriger als für andere Parteien auch. Dadurch, dass wir nicht in der Regierung sind, ist es aber momentan etwas mühsamer, weil bei uns eben keine Abgeordneten für Regierungsmitglieder nachrücken. Gerade deshalb habe ich entschieden, dass wir uns die Mittel geben, um diese Erneuerung dennoch voranzutreiben. Zum einen kann ich innerhalb der Partei verschiedene Posten mit jungen Leuten besetzen und ihnen damit Verantwortung übergeben und sie ins Rampenlicht bringen, das setzen wir mit den angedachten Doppelspitzen um. Zum anderen geht es jetzt darum, bei den Gemeindewahlen junge Kandidaten in die Verantwortung und diese dann auch mit in die Parlamentswahlen zu nehmen.
Und inhaltlich?
Diese Erneuerung muss ebenfalls erfolgen, ich sehe aber nicht, dass diese heutzutage schwerer sein soll als zu anderen Zeitpunkten in der CSV-Geschichte. Für eine Partei mit einer langen Geschichte von Werten und Traditionen stellt es natürlich immer eine Herausforderung dar, aber wir müssen uns eben konstant an die Gesellschaft anpassen. Diese inhaltliche Erneuerung treiben wir über verschiedene Arbeitsgruppen voran. Diese Diskussionen sind für mich faszinierende Prozesse. Wir müssen unsere Programmatik modernisieren, ohne unsere Identität, für die wir nach wie vor einstehen, zu verraten. Das Problem ist, dass wir zügig damit vorankommen müssen, aber dieser Druck kann auch helfen, schneller zu Lösungen zu kommen.
2023 wird ein sogenanntes Superwahljahr, wo fast direkt auf die Gemeindewahlen Parlamentswahlen folgen. Wie schwierig ist das in Bezug auf Spitzenkandidaturen und Kandidatenlisten?
Wir diskutieren aktuell noch, wie wir vorgehen wollen, die Frage der Mandatsanhäufung spielt nämlich auch eine Rolle. Für uns ist klar, dass die Gemeindewahlen traditionell zu unseren Stärken gehören, weil wir in vielen Gemeinden mit Schöffen und Bürgermeistern in der Verantwortung stehen. Gerade auch deshalb ist die Pandemie für unsere Partei um einiges schwieriger als für andere gewesen, weil wir eben zum Teil von dieser engen Verbundenheit mit der Bevölkerung leben. Dieser Kontakt mit den Menschen war während der Corona-Krise schwierig, aber wir sind dabei, ihn wieder anzukurbeln und zu dynamisieren. Das wurde parteiintern auch längst so verstanden. Auch deshalb sehe ich es als positiv an, dass zuerst Gemeinde- und dann Parlamentswahlen sind. Die CSV kann nämlich so die Basis besser dynamisieren und diesen Elan kann man dann in Richtung Parlamentswahlen mitnehmen. Die Dynamik, welche bei der ersten Wahl entsteht, wird auch für die zweite gelten, weshalb die Gemeindewahlen diesmal für uns besonders wichtig sein werden. Auch deshalb weiden wir die Schöffen und Bürgermeister, die heute schon im Parlament sitzen, bei beiden Wahlen antreten lassen. Über die Spitzenkandidaturen müssen wir noch diskutieren.
Nach der Ära Frank Engel scheint wieder Ruhe in der CSV eingekehrt zu sein. Sind mittlerweile alle Wogen geglättet?
Eines meiner ersten Ziele war es, genau diese Ruhe wiederherzustellen und uns dann einen Arbeitsrhythmus zu geben. Natürlich wird der eine oder andere sich vielleicht noch Fragen stellen, ich glaube aber auch, dass alle eingesehen haben, dass es wichtig ist, dass wir als CSV alle an einem Strang ziehen. Dieses Gefühl war auch deutlich beim letzten Kongress zu spüren.
Aber der für den 19. Oktober angesetzte Prozess rund um die Freundeskreis-Affäre könnte wieder für vereinzelte Turbulenzen sorgen…
Natürlich, aber daran kann ich nichts ändern. Also lassen wir die Justiz ihre Arbeit machen und schauen, was dabei herauskommt.
Welche Lehren ziehen Sie aus der Ära Frank Engel und der anhängenden Affäre?
Nicht sehr viele. Ich habe mir als Parteipräsident vorgenommen, dass die Arbeit, die ich mache, dazu dienen soll, die Entscheidungen, die wir treffen, und die Gespräche und Diskussionen untereinander gemeinsam erfolgen sollen, ohne dass der Präsident alleine entscheidet und dann mit der Brechstange vorgeht. Die Diskussionen sind der Weg, um zu einer gemeinsamen Meinungsbildung zu kommen. Ich lege sehr viel Wert auf eine Dialogkultur und darüber hinaus auf die Dialogwege. Eine Lehre — wenn ich denn eine gezogen habe — ist die, dass die verschiedenen Standbeine der Partei, also die Zentrale, die Gemeindesektionen, aber auch die Fraktion zusammenarbeiten können und die Partei als etwas Gemeinsames nach außen vertreten müssen.
Engel brachte zumindest interessante Vorschläge wie die Erbschaftssteuer oder Vermögenssteuer. Warum sind Sie kategorisch dagegen?
Die Erbschaftssteuer ist nicht gerecht. Wenn jemand für seine Kinder etwas spart, worauf er schon Steuern bezahlt hat, und es an diese weitergeben möchte, finden wir es ganz logisch, dass der Staat nicht nochmal einen Teil davon wegnehmen soll. Dafür stehen wir schon seit Jahrzehnten. Das stand auch in unserem Wahlprogramm. Deshalb sagten zu der Zeit, nachdem Frank Engel den Vorschlag gemacht hatte, sowohl die Fraktion als auch die Parteigremien klar und deutlich, dass dies nicht unsere Meinung sei. Einzelne Parteimitglieder können natürlich anderer Ansicht sein. Aber deshalb gibt es die jeweiligen Gremien, um darüber zu diskutieren.
Sie ordnen die CSV weder rechts noch links ein, sondern nah „bei de Leit.”. Ist das dann die politische Mitte?
In der Mitte vom Leben oder in der Mitte der Menschen, wie Sie es definieren wollen. Ich denke, dass die Grenzen von rechts und links sowie die Klassen heutzutage nicht mehr so bestehen, wie es früher der Fall war. Wir leben in einer Gesellschaft, in der vieles nebeneinander läuft, in der aber trotzdem gemeinsame Sorgen bestehen. Wir haben uns gesagt, dass wir uns um diese Sorgen der Menschen kümmern und nicht um Ideologien, ganz ohne Scheuklappen. Wir haben unsere Grundwerte, aber probieren, keine Ideologie zu haben. Es gibt, neben Covid, eine Reihe von Dingen, die den Menschen Sorgen bereiten. Diese sprechen wir an, ohne dass wir es uns von der Regierung aufzwingen lassen. Wir haben unsere Programmatik, wollen aber auch einzelne Akzente setzen.
Gehört dazu auch die Frage der inneren Sicherheit? In dieser Hinsicht verfolgt die CSV eine typisch rechte Strategie, indem sie für mehr polizeiliche Repression und Überwachung eintritt.
Das wird dann als rechts bezeichnet. Sie können das rechts oder links einklassieren, das ist mir im Grunde egal. Es ist jedenfalls eine der großen Sorgen der Menschen. Wir haben auch andere Punkte, wie zum Beispiel in der Sozialpolitik bzw in der Bekämpfung der Armut, die eher als links betrachtet werden.
Nach außen wirkt es dann aber so, als könnte diese Position genauso gut auch von der ADR kommen.
Wir benennen unsere Position auf Pressekonferenzen so, dass wir verstanden werden. Wir kennen die Journalisten und wissen, wie die Presse funktioniert. Wenn man die Dinge nicht klar und manchmal plakativ benennt und sie zum Ausdruck bringt, kommt das nicht deutlich genug rüber. Das ist geprägt von der heutigen Notwendigkeit von Kommunikation. Ich war stets dafür, dass man die Dinge nuanciert behandelt und spüre sie auch nuancierter. Dann wird man aber nicht immer gleich verstanden. Das ist eine Lehre, die ich aus den Wahlen gezogen habe. Um besser rüberzukommen, muss man mehr zuspitzen. Wenn ich eine Botschaft vermitteln möchte, muss dies deutlich geschehen.
Ist das nicht die Art, wie allgemein heute kommuniziert wird?
Ja, manchen Politikern scheint das angeboren zu sein. Und dann gibt es Leute wie ich, die es nuancierter machen. Ich muss lernen, meine Botschaft mehr zuzuspitzen.
Populisten können dies gut…
… genau, und deshalb muss man aufpassen. Ich will nicht in den Populismus verfallen, bei dem Behauptungen oft falsch sind, während die Kommunikation gut ist.
Sie setzen auf Themen wie Digitalisierung und Klimaschutz: Was macht die Regierung Ihrer Meinung nach falsch?
Diese beiden Themen sind für mich die großen Herausforderungen unserer Generation, und nicht nur in Luxemburg, sondern europaweit. Wir sehen den Klimaschutz als etwas, was nicht nur in der Umweltpolitik vorgeht, sondern sich in den Entscheidungen aller politischen Bereiche und Parteien widerspiegelt. In allen Bereichen muss die Idee des Klimaschutzes eine Rolle spielen. Von der Regierung wird viel groß angekündigt. Die Umweltministerin spricht von ambitiösen Zielen für ferne Daten. Diese Diskussion müssen auch geführt werden. Wir wollen aber konkrete Ideen für heute und in naher Zukunft. Klimapolitik von heute, was kann umgesetzt werden? Nicht 2030, sondern heute. Davon kommt aber seitens der Regierung nicht viel. Ich würde zum Beispiel gerne mit einem Pakt für die kleinen und mittleren Betriebe anfangen. Da ist in Sachen Klimaschutz einiges zu machen. Wir hätten gerne mehr in puncto Wasserstoff gehört. Darin kann Luxemburg eine Vorreiterrolle spielen. Aber ich sehe hierbei etwas Zurückhaltung bei der Regierung, um solche Initiativen umzusetzen. Wie zum Beispiel die Idee des Prosumers, die Etienne Schneider vor ein paar Jahren von Jeremy Rifkin aufgegriffen hat, wonach jeder Konsument seine eigene Energiequellen daheim hat und Energie auch auf seine eigene Art und Weise produzieren kann. Das ist eher zögerlich weitergeführt worden. Wir hätten dafür eine Reihe von Initiativen. Zusammengefasst hätten wir gerne eine Klimapolitik, die innovationsfreundlich ist und weniger auf Verboten aufbaut. Und die hauptsächlich am Konkreten von heute ausgerichtet ist und nicht an den Zielsetzungen von morgen.
Ein anderes Dauerthema hierzulande ist der Wohnungsbau und der Pact logement 2.0. Wie soll diesen Herausforderungen begegnet werden? Und wie ist die Preisentwicklung in den Griff zu bekommen?
Zumindest ist es wichtig einzusehen, dass der Bedarf enorm ist und dass sowohl die öffentlichen Bauträger als auch die privaten die Quantität von dem, was gebaut wird, erhöhen. Man muss zum einen versuchen, Bauland auf den Markt bringen, und zum anderen, Perimeter sinnvoll zu erweitern. Ebenso müssen die administrativen Hürden abgebaut werden. Und Wohnungsbau muss erschwinglicher werden. Klar ist außerdem, dass der Klimaschutz auch zum Wohnungsbau gehört. Das Wichtigste ist, dass wir mehr und schneller bauen können.
Wir werden kaum ein Interview führen können, ohne Corona zu erwähnen. Wie bewerten Sie das Krisenmanagement der Regierung?
Es gibt ein paar Dinge, die mir gefallen, und einige, die mir überhaupt nicht gefallen. Ich teile das in Etappen ein. Als die Corona-Pandemie im März 2020 begann, war ich ganz froh über die relativ schnelle Reaktion der Regierung. Wir haben dem „état de crise” und den ganzen Maßnahmen zugestimmt. Wir waren damit einverstanden. Dann kam die zweite Welle — und es war ein katastrophales Krisenmanagement. Die Regierung reagierte viel zu spät, nicht stark genug und technisch schlecht. Das führte dazu, dass wir in den Monaten Oktober bis Dezember europaweit mit zu den Schlechtesten gehörten, was Infektionszahlen und Todesfälle angeht. Wir sind auch hart mit der Regierung umgegangen und haben dagegen gestimmt, weil wir merkten, dass das nicht ging. Es war wirklich ein schlechtes Krisenmanagement. Einige Sachen wurden einfach laufen gelassen. In den Schulen oder die verkaufsoffenen Sonntage. In der dritten Phase, in der wir mehr oder weniger noch drinstecken, stimmten wir wieder mit der Regierung überein. Den Covid-Check zum Beispiel hätten wir früher eingeführt und finden auch, dass er erweitert werden müsste. Aber darüber hinaus fanden wir das Krisenmanagement wieder besser, außer die Sache mit den Altersheimen, weil die zuständige Ministerin es auf eine unverantwortliche Art und Weise hatte laufen lassen.
Die klassische Frage zum Schluss: Wie sehen Sie Ihre Zukunft in Ihrer Partei, auch was die Spitzenkandidatur 2023 angeht?
Meine klassische Antwort: Ich sage weder ja noch nein. Wir wollen die Diskussion im Moment nicht führen. Ich will aber vor allem, dass die Partei die Wahlen gewinnt. Das ist mein Ziel. Es ist mir a priori wirklich egal, in welcher Funktion ich bin. Wir wissen alle, vor welcher Herausforderung wir stehen. Jeder spielt da mit. Das gemeinsame Ziel steht vor der Person.
Revue, 13. Oktober 2021, Gesprächspartner Stefan Kunzmann, Hubert Morang