Dieser Ausspruch ist eines der geflügelten Worte Konrad Adenauers, das in keiner der Zitatensammlungen über den ersten deutschen Bundeskanzler fehlen darf. Oft erscheint es im Zusammenspiel mit einem anderen Klassiker Adenauers: „Wir sind wieder ein gutes Stück vorwärts gekommen!”
Die Lage der CSV ist an diesem Jahresende durchaus mit beiden Adenauer-Zitaten zu beschreiben. Wir stehen in der Gunst der Umfragen tiefer als je zuvor. Umfragen sind Umfragen und keine Wahlen, und dennoch müssen wir uns eingestehen, dass die Normalität der Dreiparteienkoalition unseren Umfang an Zuspruch einengt. Unsere Lage ist durchaus ernst.
Gleichzeitig haben wir, am Ende eines unnormalen Jahres, einen inhaltlichen Kreativprozess innerhalb der Partei angeschoben, wie es ihn sehr lange nicht mehr gegeben hat. Hunderte von Parteimitgliedern beteiligen sich an der Ausarbeitung unserer Positionen für morgen, die im Laufe der nächsten Monate entstehen sollen. Wir werden ein gutes Stück vorwärtskommen. Wohnungsbauoffensive, Stärkung des bürgerlichen Engagements, Einbindung aller Menschen im Land in die politische Meinungsbildung, innovative Wirtschaft und industrielle Entwicklung, all dieses steht auf unserer Tagesordnung.
Eine ehrliche Situationsbeschreibung der CSV an diesem Jahresende 2020 ist eine komplexe Aufgabe. Sie ist jedoch notwendig, um eine erfolgreiche Aufstellung für die zweite Hälfte der Legislaturperiode hinzubekommen. Das Erscheinungsbild der Partei, optisch, inhaltlich, personell und politisch, spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
Die Partei kann sich, angesichts des Wahlresultates von 2018 und der Zusammensetzung unserer Fraktion, nur über ihre eigenen Gremien erneuern und ihre Aufstellung verbreitern. Die Abgeordneten von 2018 wurden alle direkt gewählt. Es besteht kein Grund, die Ausübung ihres stellen. Wer uns mangelhafte Erneuerung vorwirft, der vergisst, dass diese Erneuerung den Regierungsparteien nur gelingt, weil sie genau das sind: Regierungsparteien. In den Oppositionszeiten von Blau, Rot und Grün erging es ihnen auf dem Terrain der personellen Erneuerung genauso, wie nun uns. Das ist suboptimal, aber zu verkraften.
Wir haben innerhalb der Partei die jüngsten Entscheidungsgremien aller Zeiten. Auf den Listen für die nächsten Parlamentswahlen werden zwei Drittel oder mehr der Kandidaten nicht der aktuellen Fraktion angehören, sondern „neue“ Gesichter sein. Diese Gesichter müssen in den kommenden zwei Jahren auch in der öffentlichen Wahrnehmung der Partei eine Rolle spielen. Auch im Zusammenspiel mit einem optischen Erscheinungsbild, das sich von jenem der vergangenen 20 Jahre unterscheidet. Die CSV wird als solche erkennbar bleiben – aber anders. Und sie wird sich inhaltlich und konzeptuell gegenüber der heutigen Programm- und Beschlusslage unterscheiden.
Die CSV hat zu lange ein Dasein geführt, das im wesentlichen aus der Umhüllung von Regierungspolitik bestand, um als Partei noch eine ausgeprägte eigene Leistungskapazität zu besitzen. Daraus ergab sich eine Trägheit der Partei als solche, deren Überwindung etwas Zeit braucht. Sie ist dabei, stattzufinden.
Die CSV ist eine christlich soziale Partei. Das wird sie auch bleiben. Das christliche Element müssen wir zeitgenössisch deklinieren und in Zusammenhang setzen mit den großen sozialen Herausforderungen unserer Zeit. Diese sind nicht nur rein materieller Natur, sondern bestehen in großen Teilen aus der Problematik der wirklichen sozialen Kohäsion einer Gesellschaft, die jeden Tag diverser wird. Die Unterschiede innerhalb dieser Gesellschaft artikulieren sich selbstverständlich auch, aber eben nicht nur, über den materiellen Wohl- und Besitzstand. Sie haben auch wesentlich damit zu tun, dass die Einwohner Luxemburgs mittlerweile aus aller Herren Länder stammen, und in Luxemburg nicht mehr wirklich zusammenfinden. Der größtmöglichen Zahl von denen, die von anderswo kommen, unter den einfachsten Bedingungen unsere Staatsangehörigkeit angedeihen zu lassen, löst das Problem des gesellschaftlichen Zusammenhalts nicht. Christlich soziale Politik muss den Anspruch haben, dies zu bewerkstelligen.
Das wird sie nicht schaffen, wenn ihre Debattenanstöße missverstanden werden. Der Autor dieser Zeilen nimmt sich dabei durchaus selber ins Gebet: Die Diskussion über Vermögens- und Erbschaftsbesteuerung hat nichts gebracht, weil sie unausgegoren war. Meine Überlegungen haben viele Menschen verunsichert, was ich bedauere. Wie auch immer: Ohne diese Debatte, die für uns abgeschlossen sein sollte, hätte es wohl nicht zum Jahresende 2020 schon die Abschaffung der steuerlichen Vorteile für Sonderimmobilienfonds gegeben, und keine Anpassung der Regelung von „stock options”. Das zumindest ist die konkrete Umsetzung alter Forderungen der CSV, die von unserer Fraktion kraftvoll vorgetragen wurden. Und es trägt zur steuerlichen Gerechtigkeit bei, über die fundiert und sachlich weiterdiskutiert werden soll. Ohne Schlagwörter, die sich für jeden Missbrauch eignen.
Die CSV will sich verstärkt dem Thema der Rechtsstaatlichkeit widmen, im Rahmen notwendiger Überlegungen zu Autorität und Legitimität der Institutionen. Die aktuelle Regierung pflegt einen Umgang mit den Institutionen, der das Vertrauen in sie infrage stellt. Und auch die andauernde Covid-Krise ist dazu geeignet, eine Auseinandersetzung mit der Wechselwirkung zwischen individuellen Rechten und gesellschaftlichen Pflichten zu bewirken, die unser Gemeinwesen weiterbringen und festigen kann. Vorausgesetzt, die Politik bekommt es irgendwann hin, die Floskeln und Plattitüden zu überwinden, von denen die staatsministerlichen Pressekonferenzen nur so strotzen. Die Lage ist ernst. Vielleicht war sie noch nie so ernst. Dementsprechend ist Ernsthaftigkeit in der politischen Debatte gefragt. Es geht um wesentliche Aspekte unseres gesellschaftlichen und staatlichen Lebens, nicht um die gelungenste Selbstinszenierung.
Die CSV muss nicht mit 15 oder 20 Prozent Abstand zur nächsten Partei Wahlen gewinnen, um die CSV zu sein. Sie muss jedoch, und sie wird, den Anspruch behalten, eine prägende politische Kraft in Luxemburg zu sein, als stärkste Partei, als Volkspartei. Der volksparteiliche Ansatz muss jedoch, genau wie die Positionierung in der „Mitte”, mit Inhalt gefüllt werden. „Die Mitte” ist kein politischer Ort, der Ausdruck beschreibt keine Politik. Volkspartei bedeutet nicht, ausreichend beliebig zu sein, um von möglichst wenigen Wählern abgelehnt zu werden. Eine Volkspartei der Mitte ist jene Partei, die aufgrund fester Überzeugungen und eigener Argumentationskraft inhaltsbestimmte Kompromisse so zu formulieren vermag, dass der größte Teil der Gesellschaft sich von ihnen mitgenommen und vertreten fühlt. Zunächst kommt der Inhalt und die eigene Festlegung, anschließend der Kompromiss, der über die geometrische Mitte hinweg politischen Raum zu überbrücken vermag. Umgekehrt sind Mitte und Volkspartei auch nur Floskeln.
Volkspartei zu sein, ist ein hoher Anspruch, denn er selbst bedingt das Überwinden von Differenzen und Spannungen. Diese dürfen auch einmal sichtbar werden, doch sie dürfen nicht das öffentliche Erscheinungsbild einer Volkspartei prägen. Für die CSV bedeutet dies, dass wir dieses Jahr der Spannungen hinter uns lassen müssen. Wer wieder in die Verantwortung will, muss jetzt an erster Stelle seine eigene für das Gelingen unserer Aufstellung im Jahr 2021 übernehmen. Das hat nie in der Geschichte der Partei funktioniert wenn die Aufstellung gegeneinander erfolgt ist. Das würde auch dieses Mal nicht funktionieren. Besonders wenn die Herausforderungen außerordentlich sind und alle unsere intellektuellen und politischen Fähigkeiten in Anspruch nehmen. Die Lage ist ernst. Wenn wir sie jetzt richtig erkennen und deuten, werden wir ein gutes Stück vorwärts kommen.
Frank Engel, CSV-Nationalpräsident