Mittwoch, 21. Oktober, 16.30 Uhr. Luxemburg liegt bei fast 500 Neuinfektionen am Tag, doppelt so viel wie im Frühling. Paulette Lenert hält eine ihrer unzähligen Pressekonferenzen ab. Die Botschaft: die Lage ist ernst, die Bevölkerung möge verantwortungsbewusst handeln, doch: es besteht kein Grund zu irgendwelchen neuen Massnahmen zur Eindämmung der Seuche.
Freitag, 23. Oktober, 16 Uhr. Genau 48 Stunden nach der lauten öffentlichen Verneinung der Notwendigkeit neuer Massnahmen durch die Gesundheitsministerin beschliesst die Regierung, das seine Ausgangssperre verhängt wird. Das Parlament würde nach dem Wochenende mit einem Text befasst. Es gibt an diesem Tag 862 Neuinfektionen – ohne die Grenzgänger.
Nachdem in gerade mal zwei Tagen also die Welt scheinbar eine völlig andere geworden war, und höchste Eile im Wettlauf mit dem Virus geboten ist, hat die Regierung noch keine Ahnung, was genau sie dem Gesetzgeber vorlegen will. Das Wochenende verstreicht.
Montag, 26. Oktober. Parlament und Staatsrat erhalten einen Textvorschlag. Dieser wird am 27. noch abgeändert. Das Gutachten des Staatsrats liegt am 28. Oktober kurz vor Mittag vor. Am selben Tag soll das Parlament seinen Bericht dazu verfassen und über das neue Gesetz abstimmen. Das geht schief, weil es schief gehen muss: es ist den Abgeordneten schier unmöglich, binnen zwei oder drei Stunden einen parlamentarischen Bericht zu erstellen, der dem Gutachten des Staatsrates – mit seinen vielen Fragen und Anregungen – Rechnung trägt, und den fertigen Text im Plenum zur Abstimmung zu bringen, wo weitere Gesetze zur Beratung anstehen. Die Abstimmung wird vertagt.
Donnerstag, 29. Oktober. Am Nachmittag passiert das neue Gesetz die Abgeordnetenkammer und tritt am Abend in Kraft. Es herrscht Ausgehverbot zwischen 23 Uhr abends und sechs Uhr morgens. Eine Woche ist seit der Ankündigung der Ausgangssperre vergangen.
Den ganzen Sommer hindurch hätte die Regierung Planspiele durchführen und verschiedene Gesetzvorlagen ausarbeiten müssen, je nachdem wie die Situation sich entwickeln würde. Der mögliche Massnahmenkatalog ist bekannt, nichts wird neu erfunden: von erweiterter Maskenpflicht bis zum völligen Lockdown reicht das Spektrum des möglicherweise Notwendigen. Zur Rentrée hätten Textvorlagen für jede Eventualität existieren müssen. Die Regierung weiss genau, dass sie für alles, was eingeschränkt werden soll, ein Gesetz braucht. Binnen drei Tagen kann ein vorbereiteter Gesetzestext die Prozedur durchlaufen und in Kraft treten. Wenn etwas vorbereitet ist. Vorbereitet war: gar nichts.
Die Welt wäre vielleicht eine andere, wenn während der letzten Monate konsequente Kontrollen der Corona-Regeln stattgefunden hätten. Einmal ganz von einem bestimmten Lokal im Bahnhofsviertel der Hauptstadt abgesehen, wo überhaupt keine Regeln eingehalten werden, weil sich dort jene verlustigen, die über den Regeln stehen: scheinbar gibt es nicht ausreichend Polizeibeamte, um flächendeckend zu kontrollieren. Es gibt aber 24 Polizeibeamte, neun Zollbeamte und drei Hunde, die am 13. Oktober in Mertert von 5 bis 9 Uhr morgens eine Fahrzeugpapierkontrolle durchführen können, mitsamt polizeilichem Hilfspersonal. Wo liegen eigentlich hier die Prioritäten?
Wir erleben jeden Tag auf eindringlichere Manier, dass die Regierung hoffnungslos überfordert ist. Würde sie doch endlich die “union nationale” praktizieren wollen, von der Xavier Bettel im Parlament schwadronierte, als der Krisenzustand beschlossen wurde: man könnte ihr helfen. Sie aber will sich nicht helfen lassen. Und so setzt sich der Kontrollverlust fort – mit potenziell gefährlichem Ausgang.
Frank Engel, CSV-Parteipräsident, Lëtzebuerger Land, 30 Oktober 2020