De Lëtzebuerger Dram
Es gab eine Zeit, als das Leben in Luxemburg einer klaren Streckenführung folgte. Man ging zur Schule, wobei ein Sekundarschulabschluss oder eine handwerkliche Qualifizierung häufiger Etappenziel waren, als ein Studium. Man bekam einen unbefristeten Arbeitsvertrag, ging zur Bank und bekam ein Immobiliendarlehen gewährt. Solche Darlehen wurden über 20 Jahre abbezahlt, wobei die Zins- und Inflationsdynamik dazu führte, dass die Raten der letzten Jahre im Familienbudget kaum noch ins Gewicht fielen. Im Fall meiner Familie reichte der Monatslohn meines im Privatsektor ohne “Härepai” beschäftigten Vaters, um das Haus zu finanzieren. Ob einer oder beide Elternteile arbeiteten, war ihre Entscheidung, und sie hatten die Wahl. Lange vor der Pensionierung war das Darlehen abbezahlt. Diese Beschreibung trifft auf Tausende mittelständische Haushalte in unserem Land zu. Ob Gemeinde”expéditionnaire” oder Handelsreisender, ob Schreiner oder Tierfutterhändler – ein normal arbeitender Mensch konnte sich Eigentum in Form einer Immobilie aufbauen, ohne dafür vier Jahrzehnte lang jeden Franken umdrehen zu müssen. Der Luxemburger Traum war genau das: wer will, der kann, und der macht. Arbeit, etwas Disziplin und Leistung führten zu jenem Erfolg, den der Besitz eines Hauses oder einer Eigentumswohnung ausmacht.
Heute wird viel länger zur Schule gegangen, es werden Diplome erworben und Praktika absolviert, bevor man dann mit Ende 20 auf dem Arbeitsmarkt ankommt. Dort landen immer mehr junge Menschen in zeitlich befristeten Arbeitsverträgen, die von der Bank nicht als Grundlage für ein Immobiliendarlehen angenommen werden. Die Lebensplanung der betroffenen jungen Menschen schleppt sich von einem befristeten Vertrag zum nächsten, bis endlich ein unbefristeter unterschrieben werden und die definitive Wohnungssuche beginnen kann. Wer es sich noch irgendwie leisten kann, erwirbt dann, deutlich älter als die Elterngeneration bei dieser Handlung, eine Immobilie – die er über 30 Jahre oder länger abbezahlt, bis in die Rente hinein. Mit einem einzigen Einkommen in der Familie ist das alles nur für sehr wenige zu leisten. “De Choix”, ob beide Eltern Vollzeit arbeiten, oder man sich sein Leben um der Kinder willen anders organisiert, verkommt dabei zur blanken Theorie. In der Praxis ist der “Choix” nicht mehr gegeben. Der Luxemburger Traum funktioniert nicht mehr.
Wenn der Traum einer Nation immer weniger oft gelebt werden kann, dann schwinden Gewissheiten, entsteht Unsicherheit. Viele Einwohner Luxemburgs gewinnen den Eindruck, sie wären in ihrem eigenen Land nicht mehr erwünscht – rund 12.000 Grenzgänger sind mittlerweile arbeitende Luxemburger, die jenseits der Landesgrenzen leben, weil sie sich das Wohnen hier nicht mehr leisten können, und ihre Zahl nimmt drastisch zu. Diese Menschen, und viele andere, die ebenfalls hierzulande an Wohnungsfragen verzweifeln, stellen sich und der Politik die Frage, ob es noch Leistungsgerechtigkeit in Luxemburg gibt. Wenn man, ausgerüstet mit einem anständigen Schulabschluss, jeden Tag aufsteht und arbeitet, wenn man etwas leisten und sich etwas leisten will, es aber einfach nicht mehr kann – dann wird man früher oder später den Respekt vor Staat und Institutionen verlieren. Jede Nachtwache hunderter arbeitender Menschen vor der SNHBM-Zentrale ist ein Aufruf, dafür zu sorgen, dass die Leistung der lohnabhängigen Bürger dieses Landes wieder zu gesellschaftlichem Erfolg führen kann. Wir dürfen nicht zulassen, dass Luxemburg aus solchen, wenigen, besteht, die haben und behalten, und jenen, vielen, die zu nichts mehr kommen. Es wäre das Ende des Luxemburger Traums.
@Lëtzebuerger Land, 04 09 2020