Klare Kante

Den CSV-Parteipresident Frank Engel am Interview am Lëtzebuerger Wort

 

Der CSV-Präsident fordert im “Wort”-Interview klare Verhaltensregeln in der Corona-Krise und deren rigorose Umsetzung. Der Zustand seiner Partei bereitet ihm zum Teil Sorgen.

Frank Engel (45) steht seit Januar 2019 an der Spitze der CSV, der mit rund 10.000 Mitgliedern größten Partei Luxemburgs. Im „Wort“-Interview kritisiert er das Déconfinement der Regierung aus dem Corona-Lockdown. Ihm fehlt es an klaren Regeln, deren Einhaltung auch überwacht werden müssen. Nur so könne ein zweiter Lockdown vermieden werden. Sorgen bereitet ihm aber auch, dass seine Partei in den Umfragen weiter an Zustimmung verliert.

Frank Engel, haben Sie den Urlaub schon gebucht? Geht es ins Ausland oder wird es doch „Vakanz doheem“?

Es gibt wohl ein bisschen Vakanz doheem, ich habe aber auch geplant, ab Ende dieser Woche, falls das bis dahin noch möglich ist, eine Woche durch Europa zu fahren. Viel gebucht habe ich aber nicht, vor allem nichts Teures, das man eventuell wieder absagen müsste.

Als Luxemburger kann man sich wegen der wieder steigenden Infektionen mit dem Corona-Virus aktuell ja nicht sicher sein, dass man so einfach aus dem Urlaub wieder zurückkann. Liegt das in erster Linie an einem fehlerhaften Déconfinement oder an der Ignoranz anderer Länder, die unsere Teststrategie nicht verstehen?

Eine Mischung aus beidem. Das Déconfinement wurde unter falschen Prämissen gemacht. Man kann nicht das Large Scale Testing zu einer Voraussetzung für das Déconfinement machen, aber dann erst damit anfangen, wenn fast schon wieder alles geöffnet ist. Wenn man die Menschen dann wieder rauslässt, muss man Regeln aufstellen und deren Einhaltung kontrollieren, doch das passiert derzeit nicht, vor allem weil keine vernünftigen Gesetzestexte vorliegen. Was das Reisen betrifft, so glaube ich, dass auch in anderen Ländern die Infektionszahlen demnächst wieder steigen werden.

Sieht man in diesen Zeiten nicht, wie die europäische Solidarität an ihre Grenzen stößt, wenn sich Länder gegenseitig auf Listen setzen? Luxemburg könnte das ja auch mit anderen Staaten tun?

Wenigstens da scheinen wir gemeinsam zu begreifen, dass uns das nichts bringt. Man kann ja bei ausreichender Testkapazität zur Not noch einen negativen Test fordern. Was auch immer das bringt, denn mein 48 Stunden alter negativer Test ist nicht das Papier wert, auf dem er steht, wenn ich mich in der Zwischenzeit infiziert habe. Aber auch dann ist die große Frage nicht beantwortet: Was akzeptieren wir mit Blick auf das Virus? Ich habe kürzlich in den öffentlich zugänglichen Voraussagen von Research Luxemburg von 1.000 bis 2.000 Toten und einer Überlastung des hiesigen Gesundheitssystems gelesen. Am Anfang waren wir uns alle einig, dass wir das nicht wollen und dann gibt es nicht besonders viele Möglichkeiten. Eigentlich müssten wir wieder über strengere Maßnahmen reden, beispielsweise die Cafés und Restaurants um 22:00 Uhr statt um Mitternacht schließen, weil ich die Vermutung habe, dass dort zu einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Bedingungen alle Barrieren fallen. Aber diese Debatte ist derzeit nicht gewollt. Wir haben auch immer noch keine gesetzliche Grundlage, die das Auflösen von nicht organisierten Menschenansammlungen in der Öffentlichkeit ermöglicht.

Wenn es sich bewahrheiten sollte, dass es vor allem im privaten Bereich zu Ansteckungen kommt, müssen zudem auch dort Kontrollen möglich sein. Das ist in Ländern wie Deutschland oder der Schweiz komplett akzeptiert. Wenn wir einen zweiten Lockdown verhindern wollen, und das will wohl jeder, müssen wir uns darauf verständigen, welche Einschränkungen wir akzeptieren, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Dafür braucht es aber objektive Indikatoren. Die arbiträre Vorgehensweise der Regierung ist alarmierend.

Kam das Déconfinement zu früh? Hätte man das Virus austrocknen können, wenn man die Gesellschaft noch länger geschlossen hätte?

Die Frage ist, wie man öffnet. Wenn man Regeln aufstellt, muss man auch tatsächlich Regeln aufstellen. Die Regierung ist unfähig, sich auf eine gemeinsame Linie zu einigen. Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) wollte in einigen Punkten weiter gehen, aber das hat vor allem die DP verhindert. Es wurde sich auf Nebenkriegsschauplätze konzentriert, beispielsweise die Öffnung der Spielplätze. Meines Wissens hat sich dort noch niemand infiziert. Es macht keinen Sinn, den Zugang zu diesen zu verbieten, wenn man die Schulen bereits geöffnet hat.

Es hat auch keinen Sinn gemacht, das System der A- und B-Gruppen zwei Wochen vor den Ferien aufzulösen, nachdem sich die Schulen und Gemeinden zuvor viel Arbeit gemacht hatten, um es zu ermöglichen. Dazu kommt eine inkohärente Kommunikationspolitik zwischen Bildungs- und Gesundheitsministerium. Daran sieht man, dass unterschiedliche Ziele verfolgt werden.

Sie bezeichnen die Öffnung der Spielplätze als Nebenkriegsschauplatz. Dabei hat auch Ihre Partei das stark thematisiert. In der Chamber wurde darüber debattiert und man konnte sich die Frage stellen, ob wir derzeit keine anderen Probleme haben. War das nicht übertrieben?

Wir haben einfach keine kohärente Linie gesehen, es wurde alles geöffnet bis auf die Spielplätze, das macht keinen Sinn. Wissend, dass viele Kinder zu diesem Zeitpunkt dankbar dafür gewesen wären, wieder vor die Tür zu kommen. Irgendwann hatten wir es auch schlicht satt, von der Regierung auf die nächste Stufe der Lockerungen vertröstet zu werden, mit Inhalten, die wieder komplett arbiträr waren. Dass eine vierzehntägige Referenzperiode nur dafür benötigt wird, um herauszufinden, ob wir die Spielplätze wieder öffnen dürfen: Mit Verlaub, das ist lächerlich!

Sie fordern, dass auch im privaten Bereich Kontrollen ermöglicht werden sollen. Besteht hier nicht die Gefahr, dass ein gewisses Denunziantentum Einzug hält?

Das ist doch bereits der Fall. Am Anfang des Lockdowns haben sich regelmäßig Menschen auf Facebook entrüstet an mich gewandt und geschrieben: Ihr müsst etwas tun, jetzt ist bereits zum zweiten Mal der Freund der Nachbarstochter dort zu Gast, obwohl der da gar nicht wohnt! Ich habe dann geantwortet, dass zwei Polizisten, die ebenfalls nicht dort wohnen, die Sache nicht besser machen. Ich habe etwas gegen Denunziantentum. Ich glaube auch nicht, dass wir ein Problem damit haben werden, dass es Anzeigen geben wird, wenn zwölf Leute um einen Gartentisch sitzen, obwohl nur zehn erlaubt sind. Aber wenn sich 40 Menschen in einer Wohnung treffen, müssen wir sagen: Das geht nicht! Ein Verhalten, das dem Ausbreiten eines Virus dient, ist schädlich sowie strafrechtlich relevant und kein Kavaliersdelikt. Diese Botschaft muss man in mehreren Sprachen und auch durch die Vereine in die Bevölkerung tragen.

Kürzlich wurde eine Karte mit der geografischen Verteilung des Virus veröffentlicht. Mehrere Geschäftsleute aus dem Süden des Landes fühlten sich daraufhin an den Pranger gestellt. Dabei handelt es sich doch schlicht um eine Information und nicht um einen Boykottaufruf.

Wenn man so etwas veröffentlicht, besteht immer die Gefahr, dass sich jemand an den Pranger gestellt fühlt. Wenn man sich diese Karte anschaut, findet man aber vor allem Dinge heraus, die wir bereits wussten, beispielsweise, dass im Süden mehr Menschen leben als im Kanton Clerf. Wenn irgendwo 200.000 Menschen leben, erscheint es mir nicht unlogisch, dass es dort mehr Infizierte gibt, als wenn irgendwo 20.000 Menschen leben. Was uns viel mehr interessieren müsste, ist, wo diese Menschen sich angesteckt haben und nicht, wo sie wohnen. Ist dieses wunderbare Tracing, das wir mit viel Aufwand betreiben, nicht fähig uns diese Antwort zu liefern?

Sie sprechen das Tracing an. Ihre Partei hat schon mehrfach die Einführung einer App gefordert. Bringt das wirklich etwas?

Nachdem unsere Regierung den Menschen während Monaten fälschlicherweise eingeredet hat, das wäre eine böse Sache, die nichts bringt, hätten wir wohl ein Akzeptanzproblem. Ich habe von Beginn an an die Richtigkeit einer App geglaubt. Es hat auch nie jemand gefordert, dass das verpflichtend sein muss und die Daten zentral erfasst werden. Der Betreiber kennt am Ende lediglich die Telefonnummer der Person. Dieser ganze Datenschutzfetischismus ist langsam krankhaft. In den aktuell geführten Tracinginterviews erzählt man viel mehr, als die App später weiß. Die Daten aus den Interviews werden zentral gespeichert, aber darüber regt sich niemand auf.

Am Anfang der Krise gab es eine große Solidarität zwischen Opposition und Mehrheit. So wurde der Ausnahmezustand einstimmig direkt um drei Monate verlängert. War das im Rückblick richtig oder doch ein Freifahrtschein für die Regierung?

Ich habe von Anfang an gesagt, dass wir das unterstützen müssen, und zwar nicht, weil man uns sonst schief anschaut, sondern weil es sich aufdrängt. Wir haben das Confinement auch zeitgleich mit der Regierung gefordert und es deswegen eine Woche später im Parlament mitgetragen. Über die Länge kann man im Nachhinein diskutieren. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Ich war gegen drei Monate. Die Suspendierung der konstitutionellen Normalität ist für mich etwas sehr Sensibles, deswegen hätte ich eine Dauer von einem Monat bevorzugt. Ich hatte aber kein Problem damit, dass die Mehrheit in der Fraktion für drei Monate war.

Das ist auch nicht das Entscheidende, wichtiger wäre es, endlich ein Seuchenschutzgesetz zu bekommen, das als Grundlage für Reglemente dient. Ich finde es skurril, dass das Parlament jedes Mal entscheiden muss, wie viele Menschen sich zuhause treffen dürfen.

Würde die CSV einen zweiten Ausnahmezustand gegebenenfalls mittragen?

Nein, weil es keiner mehr ist, vorausgesetzt, wir bekommen, was ich gerade beschrieben habe. Das ist jetzt dringlich. Wenn der ganze parlamentarische Stress vorbei ist, sollten wir die Menschen finden, die in der Lage sind ein Epidemiegesetz zu schreiben, das den Namen auch verdient.

Die Staatsfinanzen brechen wegen Corona ein. Welche Schwerpunkte müssen künftig in der Wirtschaftspolitik gesetzt werden?

Wir verlangen seit Monaten eine Prognose der Steuereinnahmen auf Basis der veränderten Wachstumshypothesen, die aber nicht zu bekommen war. Jetzt hat der Finanzminister Zahlen vorgelegt, es fehlen wohl aktuell vier Milliarden Euro. Das wird sich im Laufe des Jahres wohl nicht verbessern, vor allem wenn Firmen wieder Konkurs anmelden können und die Arbeitslosigkeit steigt. In der Gastronomie sind zwei Drittel der Angestellten Ortsansässige. Wenn da mehrere Betriebe schließen, bekommen wir viele zusätzliche Arbeitslose. Es wird sich zeigen, ob die Regierung den Fortbestand der Koalition weiter mit elektoralen Wahlgeschenken auf Pump finanzieren will. In den letzten sieben Jahren wurde das Budget um 50 Prozent erhöht, 70 Prozent bei den Gehältern der Staatsbeamten. Die Ausgaben müssen überdacht werden, wenn es nicht zu massiven Steuererhöhungen kommen soll. Es gibt keinen Grund, die Arbeit weiter zu belasten. Eine Alternative wäre beispielsweise eine Finanztransaktionssteuer.

Laut dem jüngsten Politmonitor würde die CSV auf 19 Parlamentssitze kommen und damit zwei Mandate verlieren. Bereitet Ihnen diese Entwicklung Sorge?

Ja! Es gibt aber auch relativierende Elemente. In der Krise gewinnen europaweit vor allem die Parteien der Regierungschefs. Ich verstehe allerdings nicht, warum die DP bei 20 Prozent 15 Sitze erhält. Der Spezifität der Bezirke wurde nicht Rechnung getragen. Trotzdem ist das Resultat für uns nicht vorteilhaft. Die CSV schafft es nicht, sich als glaubwürdige, kohärente, verlässliche und zukunftsorientierte Alternative zu präsentieren.

Sie sprechen von mangelnder Kohärenz. Müsste die Partei nach außen hin nicht geeinter auftreten?

Doch! Wobei auch das wieder zu relativieren ist. Was ist denn die Partei? Wenn Sie oder „RTL“ mich nicht zumindest einmal im Jahr interviewen würden, bekäme man vom Parteipräsidenten überhaupt nichts mit, weil der blöderweise nicht im Parlament sitzt. In Deutschland sitzt der Grünen-Chef Robert Habeck auch in keinem Parlament, aber ich habe den Eindruck, dass ich ihn in sämtlichen Medien verfolgen kann. Es wird immer gesagt, es gebe Unterschiede zwischen Partei und Fraktion, dabei kommt die Partei nur selten zu Wort. Es stimmt aber, dass wir es noch nicht geschafft haben, eine übergeordnete Kommunikationsstruktur zu schaffen. Es geht nicht um die Anliegen des Einzelnen, sondern um die der Partei.

War es auch angesichts Ihres persönlich eher schwachen Abschneidens in den Umfragen ein Fehler, 2018 nicht für das EU-Parlament kandidiert zu haben?

Es war ein Fehler. Ich habe es aber für eine gute Sache gemacht, nämlich um mich ganz meiner Aufgabe als Parteipräsident zu widmen. Dabei wäre ich sicher gewählt worden, allerdings auf Kosten eines unserer beiden aktuellen EU-Abgeordneten, weil es für einen dritten Sitz wohl trotzdem nicht gereicht hätte.

@ Luxemburger Wort, 27. Juli 2020