“Die CSV steht für seriöse Politik”

„Die CSV steht für seriöse Politik“

Im Gespräch mit dem „Luxemburger Wort“ kritisiert Parteipräsident Engel die Politik der Regierung als beliebig und wirft ihr vor, die Rechtsstaatlichkeit nicht zu respektieren. Er äußert sich über den inneren Zustand der CSV, den Kampf gegen die hohen Immobilienpreise sowie die neue Verfassung.

Frank Engel, bereitet Ihnen der Job als CSV-Präsident nach zehn Monaten noch Freude?

Ja.

Warum?

Weil ich dabei bin, das umzusetzen, was ich angekündigt habe und es funktioniert. Das beweist, dass diese Partei nicht nur lebt, sondern auch neue Gestaltungsfreude entwickelt. Es ist zwar schade, dass wir dies nicht in Regierungsverantwortung umsetzen können, aber ich stelle eine große Bereitschaft bei den Mitgliedern fest, sich zu engagieren. Unser Kongress ist von über 400 Personen bei vier Regionalversammlungen vorbereitet worden, das hatten wir noch nie. Viele Mitglieder haben Anträge für den Kongress eingereicht und genau dieses Engagement brauchen wir auch.

Steht diese Beschreibung nicht etwas im Widerspruch zum Resultat bei den Europawahlen im Mai, das sicher nicht den Erwartungen entsprochen hat? Zudem wird oft behauptet, dass das Spitzenpersonal nach außen nicht immer mit einer Stimme spricht. Intern soll es außerdem noch immer einige kritische Stimmen geben, die sich nicht mit dem engen Ausgang der Präsidentenwahl im Januar abfinden wollen.

Ich habe das fundamental satt! Es scheint, als seien einige journalistische und politische Kreise am 27. Januar stehen geblieben. Es sind damals zwei Kandidaten gegeneinander angetreten, einer hat gewonnen und einer nicht. Wir arbeiten seit mittlerweile zehn Monaten. Ich verlange von jedem, dass er unsere Arbeit zur Kenntnis nimmt. Es bringt nichts, dauernd Differenzen zu kreieren, beispielsweise zwischen mir und Martine Hansen oder zwischen der Fraktion und dem Nationalkomitee. Wenn es die geben würde, wüsste ich es. Natürlich kann es auch mal unterschiedliche Meinungen geben und ich bekomme auch nicht immer was ich will, aber ich bin doch kein hauptberuflicher Diktator. Im Gegenteil, ich finde es gut, dass bei uns mehrere Personen entscheiden und zwar zusammen.

Wie genau sieht die Kommunikation zwischen Fraktion und Partei aus?

Ich bin bei jeder Fraktionssitzung dabei. Die Fraktion stellt zudem sieben Mitglieder im Nationalkomitee, das entspricht einem Drittel. Fraktionschefin Martine Hansen und ich reden regelmäßig miteinander, wenn es um die Einschätzung verschiedener Dinge geht; parallel dazu führe ich die Partei. Wir stellen immerhin fast 50 Bürgermeister. Martine Hansen steht ihrerseits an der Spitze der parlamentarischen Opposition.

Ist es Vor- oder Nachteil, dass Sie über kein parlamentarisches Mandat verfügen?

Diese Tatsache ist darauf zurückzuführen, dass ich nicht für ein solches Amt kandidiert habe. Im Vorfeld meiner Kandidatur für das Präsidentenamt habe ich mich dazu entschieden, dass dieses mit einer Tätigkeit als Europaabgeordneter zeitlich nicht vereinbar ist. Ich glaube allerdings nicht, dass es ein objektiver Vorteil ist, kein Mandat zu haben. Es ist jetzt einfach so, weil sich die Umstände so ergeben haben.

Unabhängig von Kommunikation und Personal, wofür steht die CSV im Herbst 2019 inhaltlich?

Die CSV steht für seriöse Politik, im Gegensatz zu den Regierungsparteien. Wir sind der Meinung, dass wir mittlerweile ein ernsthaftes Problem mit der Wahrung der Rechtsstaatlichkeit in Luxemburg haben. Es reicht nicht, diese Probleme als Gartenhäuschenaffäre zu verniedlichen. Im Ausland wäre es auch komplett undenkbar, dass ein Regierungsmitglied dauernd Werbung für sein Schuhgeschäft betreibt. Neben einer politischen Beliebigkeit stelle ich immer mehr einen blau-rot-grünen Determinismus fest. Sie haben automatisch recht, egal was sie falsch machen und wer Kritik äußert, verdirbt die Stimmung. Ich finde das hochgradig problematisch und bin der Meinung, dass wir den ministeriellen Deontologiekodex überarbeiten müssen. Ebenso problematisch ist die Tatsache, dass parlamentarische Auseinandersetzungen teilweise nicht mehr stattfinden, weil Ausschusssitzungen mit dem Verweis, es sei jetzt genug, unterbrochen werden oder keine Sitzungsprotokolle erstellt werden.

Es kann auch nicht sein, dass Staatsanwälte die Handlungsmöglichkeiten von Oppositionsabgeordneten infrage stellen, wenn diese ihre Arbeit machen, oder hohe Justizvertreter Briefe an den Parlamentspräsidenten schicken und ihn darin auffordern, der parlamentarischen Tätigkeit Einhalt zu gebieten. Darüber hinaus wird einfach keine seriöse Politik mehr betrieben. Das Wachstumsproblem interessiert diese Regierung schlicht nicht. Die einzige Antwort auf Wachstum ist weiteres Wachstum. Die negativen Folgen, beispielsweise die hohen Immobilienpreise, werden dabei komplett ignoriert.

Wenn die CSV für seriöse Politik und die Regierung für Beliebigkeit steht, wie erklären Sie sich dann das bescheidene Abschneiden der CSV im jüngsten Politmonitor?

Das Abschneiden ist ein Resultat der Logik dieses Instruments. Es ist normal, dass Regierungsmitglieder besser abschneiden als Oppositionspolitiker, weil sie über eine höhere Sichtbarkeit verfügen. Dabei sind die Werte der meisten Mehrheitspolitiker, vor allem einiger Sozialisten, alles andere als beeindruckend. Ist das bescheidene Resultat der CSV nicht auch darauf zurückzuführen, dass sie die Regierung zwar kontrolliert und kritisiert, jedoch konkrete Alternativen schuldig bleibt? Es ist eine Frage der Darstellung. Die CSV hat eine ganze Reihe von Motionen und Gesetzvorschlägen eingereicht. Das findet allerdings keinen Niederschlag in der Berichterstattung. Der parlamentarischen Knochenarbeit der CSV stehen ministerieller Selbstdarstellungen gegenüber.

 Beispielsweise?

Beispielsweise eine medienwirksame, einwöchige Reise von Kooperationsministerin Paulette Lenert (LSAP) in den Laos. Ich weiß wie groß das Land ist. Man braucht keine Woche, um die wesentlichen Orte zu bereisen.

Selbstdarstellung könnte man aber auch den CSV-Abgeordneten Laurent Mosar und Gilles Roth in der Datenschutzaffäre vorwerfen. Sie haben im Parlament zwar regelmäßig nachgehakt, aber dennoch keinen eigenen Gesetzesvorschlag eingereicht.

Wie sollen wir gesetzliche Initiativen ergreifen, wenn wir den kompletten Umfang der Problematik gar nicht kennen? Das Problem ist, dass sich zu Beginn der Affäre keiner der zuständigen Minister mit den entsprechenden Dienststellen zusammengesetzt hat und einen Überblick über sämtliche Datenbanken geliefert hat. Wir hätten gerade von Grünen-Ministern viel mehr Transparenz erwartet. Das sind nicht mehr Déi Gréng, die wir mal gekannt haben.

Beim außerordentlichen Kongress werden Sie mit Klimaschutz, Wohnungsbau und Wachstum drei heiße Eisen anfassen. Obwohl die CSV vor rund zehn Jahren den Klimapakt initiierte, fremdelt die Partei heute mit dieser Problematik. Wie wollen Sie sich auf dem Kongress als glaubwürdige Alternative zu Déi Gréng positionieren?

Diese Frage kann ich erst abschließend beantworten, wenn ich weiß, welche Resolutionen angenommen werden. Richtig ist aber, dass wir uns seit der Zeit, in der Marco Schank in der Regierung für dieses Thema verantwortlich war, das Klima etwas aus den Augen verloren haben. Dabei hat sich im Laufe der Jahre in der Gesellschaft ein Bewusstsein entwickelt, bei dem der Klimaschutz eine übergeordnete Rolle spielt. Deswegen und auch weil es sich um eine wichtige Herausforderung handelt, müssen wir uns der Thematik wieder annähern. Kommunalpolitisch ist dies übrigens immer der Fall gewesen. Acht von zehn Gemeinden, die im Rahmen des Klimapaktes ausgezeichnet wurden, werden von einem CSV-Bürgermeister geführt. Auf nationaler Ebene wollen wir eine Diskussion darüber anregen, wie unsere Gesellschaft innerhalb einer Generation klimaneutral werden kann.

Sie haben Marco Schank genannt, fehlt es der CSV nicht auch an einem Gesicht, das man mit der Thematik verbindet?

Es ist immer wichtig, dass Gesichter mit Themen verbunden werden, denn es vereinfacht den Zugang. Es sollte aber nicht nur eine Person geben, die sich immer wieder zu demselben Thema äußert, so dass der Eindruck entsteht, dass es sich um eine Art Alibiperson handelt, während sich der Rest der Partei nicht für die Thematik interessiert.

Sie haben die Wachstumspolitik der Regierung kritisiert, welches Wachstum wollen Sie Luxemburg denn verschreiben?

Wir wollen ein Wachstum, das produktivitätssteigernd ist und einen hohen Mehrwert an Lebensqualität schafft. Es darf kein Wachstum mehr sein, bei dem die Zahl der in Luxemburg Beschäftigten massiv steigt, denn wir stoßen irgendwann an unsere Grenzen. Wir müssen unsere Betriebsanziehungspolitik fokalisieren. Joghurtfabriken ohne irgendeinen Mehrwert brauchen wir nicht und müssen sie auch nicht genehmigen. Ich verstehe auch den Mehrwert von Google in Bissen nicht. Für mich ist das zum jetzigen Zeitpunkt ein Randprodukt. Die spannenden Projekte realisiert Google an anderen Standorten. In Bissen sollen lediglich Daten gespeichert werden und das auch nur, weil Strom und Wasser in Luxemburg besonders günstig. Auch die Partnerschaft mit China erschließt sich mir nicht, denn China ist für die Europäische Union eigentlich ein Gegner. Vor allem mit Blick auf sein Gesellschaftsmodell.

Was wären denn Ihre wirtschaftlichen Alternativen?

Sinnvoller wäre es, auf die Wasserstoffwirtschaft oder Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz zu setzen. Und bei aller Kritik an der Regierungspolitik ist auch die Positionierung Luxemburgs im Bereich der Space Ressources zu begrüßen.

Laut Politmonitor bereitet der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum den Menschen die meisten Sorgen. Wie will die CSV den Menschen diese Sorgen nehmen?

Zur Ehrlichkeit der Debatte gehört, dass sich an dieser Problematik seit Jahrzehnten Wohnungsbauminister verschiedener Parteien die Zähne ausgebissen haben. Das liegt auch daran, dass niemand gerne einschneidende Eingriffe vornimmt. Würden die Immobilienpreise sinken, hätte dies nämlich auch zur Folge, dass die Banken zurückhaltender bei der Vergabe von Krediten wären. Deswegen muss man vorsichtig vorgehen. Trotzdem muss etwas passieren. Eine notwendige Maßnahme stellt die Erweiterung der Bauperimeter dar. Außerdem muss dort wo es ins Landschaftsbild passt, beispielsweise in Kirchberg, viel mehr in die Höhe gebaut werden. Ein Markt für erschwingliche Mietwohnungen könnte auch eine Alternative zur aktuellen Besitzlogik darstellen.

Bei den Regionalversammlungen war die neue Verfassung ein Thema. Wie soll die Reform denn nun nach Vorstellung der CSV erfolgen? In dieser Frage hat die Partei doch einen Schlingerkurs gefahren: Mal war man sich mit den Regierungsparteien einig, dann plötzlich nicht mehr und jetzt gibt es wieder eine Annäherung.

Wir haben unsere Meinung ganz begrenzt geändert und das auch nur als Reaktion auf einen Brief von Premierminister Bettel (DP) in Bezug auf eine Reform der Wahlgesetzgebung. Da ein großer Teil dieser Gesetzgebung seine Wurzeln in der Verfassung hat, ist logischerweise die Debatte über die Verfassung noch nicht beendet. Außerdem wollten wir keine Verfassungskampagne, bei der wir den Menschen ein fertiges Paket präsentieren, ohne die Möglichkeit von Abänderungen vorzusehen. Diese Erfahrung machten wir 2005 mit dem europäischen Verfassungsvertrag. Deswegen haben wir konsultativen Referenden vorgeschlagen. Diese hätten das Schlussreferendum entweder ersetzen oder ergänzen können. Für diese Idee bekommen wir aber keine Mehrheit. Da wir nicht auf der Bremse stehen wollen, sind wir bereit, auf diese Referenden zu verzichten. Allerdings bestehen wir auf einem partizipativen Prozess, bei dem Änderungsvorschläge aus der Bevölkerung aufgenommen werden, denn es ist schließlich ihre Verfassung.

Nun soll Ihre Partei die Zusage zur Verfassungsreform an eine Reform der Parteienfinanzierung geknüpft haben. Hat die CSV die Verfassung verkauft?

Nein, das haben wir nicht. Die Diskussionen über eine Reform der Parteienfinanzierung laufen parallel zu denen über eine neue Verfassung und haben keinen Einfluss auf diesen Prozess.

Jüngst hat sich CSJ-Präsident Alex Donnersbach für eine Abschaffung der Doppelmandate stark gemacht. Wird die CSV diesen Vorstoß aufgreifen?

Wir hatten diese Forderung schon mehrfach im Wahlprogramm stehen und streben es weiter an. Es ist aber nicht ganz so einfach, das Prinzip in der Praxis umzusetzen. Eine Abschaffung der Doppelmandate würde nämlich die Attraktivität des Bürgermeister- und Schöffenpostens, vor allem in kleinen Gemeinden mit niedrigen Aufwandsentschädigungen und wenig Congé politique schmälern. Deswegen benötigen wir parallel dazu eine Territorialreform mit, im Idealfall, weniger Gemeinden.

Für Schlagzeilen sorgte unlängst das plumpe Koalitionswerben bei DP und LSAP. Ist es Ihr Ziel, vor Ablauf der Legislaturperiode mit einem dieser Partner in die Regierungsverantwortung zurückzukehren?

Nein, denn ein solches Angebot hat es nie gegeben. Ich erinnere mich an ein kurzes Gespräch mit DP-Parteipräsidentin Corinne Cahen, aber darin habe ich sicher kein Koalitionsangebot gemacht. Da ist es wohl zu einer Missinterpretation gekommen. Und wer mit Etienne Schneider (LSAP) gesprochen haben soll, weiß ich bis heute nicht. Ich weiß aber sicher, dass es weder Martine Hansen noch ich waren. Sonst fällt mir niemand ein, der ein legitimiertes Angebot für Koalitionsgespräche machen könnte. Wir sind als CSV nicht so verzweifelt, dass wir Haus und Hof verkaufen, damit jemand, der bei den letzten Chamberwahlen auf Platz 13 im Zentrum gelandet ist, Premierminister werden kann.

Vor dem Urnengang 2018 hat der damalige CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler eine Koalition mit der ADR kategorisch ausgeschlossen. Bleibt es mit Blick auf die Parlamentswahlen 2023 bei dieser Abgrenzung gegenüber der Reformpartei?

Im Moment kämen wir mit der ADR auf 25 Sitze im Parlament, das wäre nicht besonders zielführend. Die Frage stellt sich also nicht. Auch wenn die ADR eine demokratische Partei ist, sehe ich keine programmatische Grundlage für eine Zusammenarbeit. Dies vor allem wegen ihrer antieuropäischen Haltung und dem reaktionären Gesellschaftsbild von einigen ADR-Akteuren. Ob sich das bis zur Wahl 2023 ändert, müssen wir sehen; ich gehe aber eher nicht davon aus.

Quelle : Luxemburger Wort, 9. November 2019, Marc Hoscheid, Marc Schlammes