„Grexit wird nicht passieren“
Für Juncker ist der Ruf des österreichischen Vizekanzlers Spindelegger Ruf nach Euro-Rauswurf für Schummelstaaten „nicht zweckdienlich“. Er glaubt an Griechen, sie bräuchten nicht zwingend mehr Zeit. Die USA sollten sich um eigene „Irren und Wirren“ kümmern.
Herr Juncker, Vizekanzler Spindelegger fordert, dass Staaten künftig aus dem Euro ausgeschlossen werden können. Finnland bereitet sich schon auf das Schlimmste vor. Wie schlimm steht es wirklich um den Euro?
Jean-Claude Juncker: Die Lage ist keine einfache. Die Probleme sind vielschichtig und das Stimmengewirr ist etwas zu lautstark. Die Fragen um Griechenland verlangen eine ruhige Hand. Der für September erwartete Troika-Bericht wird Feststellungen treffen, in deren Licht wir unsere Entscheidungen vorbereiten müssen. Sich jetzt mit der Frage zu beschäftigen, ob und wie ein Land aus der Eurozone ausgeschlossen werden könnte, das halte ich für nicht zweckdienlich.
Ich würde mich als österreichischer Politiker sehr zurückhaltend äußern. Es ist im allgemeinen Bewusstsein, wie hochgradig ungerecht im Schnellverfahren beschlossene Drohungsmechanismen wirken können. Als jener Premierminister, der Österreich als erster nach den Sanktionen besucht hat, kann ich mich genau an das Trauma erinnern. Man muss nicht unbedingt in derartiger martialischer Rhetorik vorgehen, wenn man sich mit einem zugegeben schwächelnden Land wie Griechenland beschäftigt.
Sie reisen nächste Woche nach Griechenland…
Juncker: Ja, genau deshalb sage ich das.
Es gibt ranghohe Stimmen, die von Vorbereitungen berichten, dass Griechenland noch heuer die Eurozone verlassen wird.
Juncker: Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone ist nicht Teil meiner Arbeitshypothese. Ich habe zwar gesagt, ein Austritt wäre gestaltbar. Gemeint ist, dass er technisch gestaltbar ist, er ist aber politisch nicht gestaltbar und er ist auch mit unabsehbaren Risiken behaftet. Es macht daher wenig Sinn, über derartige Austrittszenarien öffentlich zu fabulieren.
Was heißt technisch möglich?
Juncker: Das bedeutet, dass die Griechen wieder eine eigene Währung einführen müssten. Das bedürfte einer extremen Vorbereitung. Aber je länger wir darüber reden, desto mehr setzt sich diese Hypothese in den Köpfen fest, man würde daran arbeiten. Man arbeitet nicht daran.
Ein Griechenland-Austritt wird keinesfalls kommen?
Juncker: Nein, ich sehe das nicht. Ich denke, dass sich einige Banken und Versicherungen auf ein derartiges Szenario einzustellen versuchen. Das ist Vorbereitungsarbeit, die nicht notwendig ist. Es wird nicht passieren. Es sei denn, Griechenland verletzt alle Auflagen und hielte sich an keine Vereinbarung. Im Fall einer totalen Verweigerung Griechenlands betreffend der Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen, würde man sich mit der Frage beschäftigen müssen. Weil ich aber davon ausgehe, dass Griechenland versuchen wird, seine Anstrengungen zu verdoppeln und die gesteckten Ziele zu erreichen, gibt es keinen Grund, davon auszugehen, dass dieses Ausstiegsszenario relevant werden kann.
Nun versucht Athen die Zeit zum Erreichen der Sparziele zu strecken. Gleichzeitig tut sich ein noch größeres Finanzloch auf. Werden die Euroländer, indesbesondere Deutschland, nicht bald sagen, wir wollen nicht mehr?
Juncker: Ich bin ein altmodischer Europäer. Wer Mitglied in der EU und der Währungsunion ist, der wird gebraucht, auch wenn er im Moment mehr Probleme mit sich herumschleppt als er Lösungen anzubieten hat. Die Frage nach einer Verlängerung der Anpassungsperiode kann man aus heutiger Sicht nicht endgültig beantworten. Es hängt vom Troika-Abschlussbericht und der Reaktion des IWF darauf ab. Aus heutiger Sicht sehe ich diese Verlängerung nicht als zwingend geboten.
Verstehen Sie Sorgen der Bevölkerung, dass das Geld bald nichts mehr wert sein könnte?
Juncker: Ich verstehe die Sorgen sehr gut. Doch die kleinen Sparer müssen sich nicht sorgen, ihre Vermögenswerte sind nicht in Gefahr. Ich gehe davon aus, dass der Euro auf Dauer bestehen wird.
Als Eurogruppen-Chef erreichen Sie viele Einwürfe – ob aus Finnland, Österreich oder Deutschland. Wie schwer tun Sie sich damit?
Juncker: Es macht den Job des Eurogruppen-Chefs schwieriger, aber nicht interessant.
Sie haben Ihre Funktion bis Jahresende verlängert. Was könnte Sie denn reizen, danach zu bleiben?
Juncker: Eigentlich nichts. Ich habe mich nochmal plattschlagen lassen, weil sich die Frage der Nachfolge als relativ schwierig herausgestellt hat. Aber ich möchte wirklich mit Jahresbeginn aufhören. Nicht weil ich dem Euro jetzt den Rücken zukehren möchte. Grund ist die Doppelbelastung, es gibt ein echtes Zeitproblem.
Österreichs Finanzministerin meinte unlängst, Italien könnte der nächste Krisenfall sein. Wie ist Ihr Verhältnis?
Juncker: Mein Verhältnis zu Maria Fekter ist gut und freundschaftlich. Wir sind uns einmal in die Haare geraten, aber so etwas halten Freundschaften aus. Über Italien und Spanien hat sich ja nicht nur Fekter geäußert. Es gibt keinen Grund, an der Konsolidierungsbereitschaft Italiens und auch Spaniens zu zweifeln. Beide Länder haben erhebliche Konsolidierungsmaßnahmen vorgenommen, werden aber von den Finanzmärkten so behandelt, als ob sie das nicht getan hätten. Zinssätze von mehr als 7 % sind völlig daneben. Sie werden der eigentlichen Lage nicht gerecht. Neben Konsolidierungsmaßnahmen braucht es Strukturreformen und eine wachstumsorientierte Politik.
Was halten Sie von den mehr oder minder gut gemeinten Vorschlägen aus den USA, was Europa besser machen sollte?
Juncker: Die Amerikaner wären gut beraten, sich mit den Irren und Wirren vornehmlich der amerikanischen Finanzpolitik auseinanderzusetzen – bei aller Legitimierung, auf Fehlentwicklungen aufmerksam zu machen. Die USA sind ein überschuldetes Land, haben mehr Schulden und ein höheres Haushaltsdefizit als die Eurozone. Ähnliches gilt für Großbritannien. Wir stehen alle vor denselben Aufgaben.
Sie haben einmal gesagt: ‚Wenn es ernst wird, dann muss man lügen.‘ Was war die größte Lüge oder Notlüge in der Schuldenkrise?
Juncker: Dieser Spruch hängt mir in den Kleidern. Das war kein Programmentwurf (lacht). Lügen soll man nicht, aber alles sagen muss und darf man auch nicht. Wenn Menschen darunter leiden, dass eine Information vorzeitig bekannt wird, obwohl eine Entscheidung noch nicht getroffen ist, dann profitieren von dem Wissen die Multimilliardäre und nicht kleine Sparer. Wer also immer alles sagt, der muss wissen, für wen er unterwegs ist.
Wird denn der Bevölkerung über den Zustand und die Zukunft des Euro halbwegs reiner Wein eingeschenkt?
Juncker: Viele Menschen verstehen nicht, welche Entscheidungen wir wieso und weshalb treffen. Die Politik befindet sich in einem Erklärungsnotstand. Darunter leide ich sehr, weil ich Angst habe, dass uns die Menschen ihr Vertrauen entziehen. Dann würden Reflexe in der Bevölkerung entstehen, die der wirtschaftlichen Gesundung nicht förderlich sind. Insofern bin ich manchmal verärgert, wenn man den Menschen Angst eintreibt. Populisten haben ein leichtes Spiel – sie versuchen einfache Vernichtungslösungen anzubieten. Es ist sehr schwer, dagegen anzukämpfen.
In Österreich fordert Frank Stronach den Euro-Austritt.
Juncker: Ich habe diesen Herrn Stronach jetzt das erste Mal bei meinem Österreich-Urlaub entdeckt. Er ist auf meinem Radarschirm via Tiroler Tageszeitung erschienen.
Es gibt Stimmen, die einen Nord-Euro fordern. Droht eine Spaltung der Eurozone?
Juncker: Die Eurozone darf nicht so verändert werden, dass es eine gemütliche Wohnung für diejenigen gäbe, denen es besser geht, während die anderen im Keller untergebracht werden. Solche einfachen Lösungen klingen einleuchtend, sind aber fehlgeleitet.
Quelle: Tiroler Tageszeitung
Das Gespräch führten Alois Vahrner und Nina Werlberger