Das Bruttoinlandsprodukt – kein Fortschrittsindikator

Laut den Angaben des Statistischen Amtes wuchs die luxemburgische Wirtschaft um durchschnittliche 4,8 Prozent während der Zeitspanne 1985 bis 2009 und verringerte sich auf 2,7 Prozent im Jahr 2010. Für das Jahr 2012 wird mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 2,1 Prozent gerechnet, so der Tenor anlässlich der Diskussion um die Haushaltsvorlage 2012. Die rezenten Schätzungen für das Jahr 2011 zeigen jedoch, dass das angepeilte Wachstum nicht erreicht werden kann, die Finanzkrise verhindert das gewünschte Erstarken der Wirtschaft.

Das Bruttoinlandsprodukt – kein Fortschrittsindikator

Laut den Angaben des Statistischen Amtes wuchs die luxemburgische Wirtschaft um durchschnittliche 4,8 Prozent während der Zeitspanne 1985 bis 2009 und verringerte sich auf 2,7 Prozent im Jahr 2010. Für das Jahr 2012 wird mit einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes (BIP) von 2,1 Prozent gerechnet, so der Tenor anlässlich der Diskussion um die Haushaltsvorlage 2012. Die rezenten Schätzungen für das Jahr 2011 zeigen jedoch, dass das angepeilte Wachstum nicht erreicht werden kann, die Finanzkrise verhindert das gewünschte Erstarken der Wirtschaft. Es sei hier vermerkt, dass ein Wachstum mit konstantem Wert die Exponentialkurve darstellt, die sich als Katastrophenkurve für die Menschheit erweist.

Das BIP stellt die klassische Kennzahl dar, mittels welchem der Gesamtwert der hergestellten Güter und der angebotenen Dienstleistungen berechnet wird. Es handelt sich um einen Indikator, der die monetären wirtschaftlichen Aktivitäten eines Landes rechnerisch erfasst. Unterschwellig zeigt er auf den Ressourcenverbrauch, die soziale Ungerechtigkeit und die Umweltzerstörung hin.

Bereits der „Club of Rome“ hatte im Jahr 1972 mit seinem Aufsehen erregenden Bericht „Grenzen des Wachstums“ darauf hingewiesen, dass das BIP nicht als die Richtschnur des Wohlergehens eines Landes dienen kann. Wieso sollten die Reparaturen an der Umwelt zur Erhöhung des BIP beitragen, liegen doch keine positiven Effekte mit Blick auf das Wohlergehen der Gesellschaft vor? Der geringe Arbeitsschutz, die schändliche Kinderarbeit und die desaströse Umweltverschmutzung werden in vielen Ländern nicht berücksichtigt. Es stellt sich die Frage, ob die Steigerung des BIP eines Landes gleichzeitig die Lebensqualität erhöht und den Wohlstand sichert.  

Die Stieglitz-Kommission hatte sich dieser Aufgabe in Frankreich bereits im Jahr 2009 angenommen und im Mai 2011 wurden die ersten Resultate seitens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) vorgestellt, es handelt sich um den sogenannten „Wohlstand-BIP“. Für dessen Berechnung werden elf Kriterien aus der Gesellschaft eines Landes benötigt u.a. das Wohnen, die Lebensqualität, die Arbeit, die Bildung, die Gesundheit, die Sicherheit, die Lebenszufriedenheit, die Umwelt sowie das Gleichgewicht zwischen dem Berufs- und Privatleben. Insgesamt 34 Länder wurden für diese Studie in die Betrachtung aufgenommen und das Resultat auf einer Skala von 0 (ganz schlecht) bis 10 (sehr gut) aufgetragen. Dänemark erreichte 7,8 und Ungarn 4,7 Punkte. Mit der Entwicklung dieses Indikators, der die Güte des Lebens wesentlich besser messen soll, betritt die OECD Neuland.

Die Vereinten Nationen hatten ihrerseits im Jahr 1990 den Indikator, den „Human Development Index“ (HDI) erstellt, welcher jedes Jahr im Rahmen des UN-Entwicklungsprogramms UNDP vorgestellt wird. Dieser berücksichtigt nicht nur das Pro-Kopf-Einkommen, sondern integriert die Lebenserwartung, den Bildungsgrad, die Ernährungslage, die Gesundheitsvorsorge. Dem UN-Jahresbericht 2009 zum HDI für 182 Nationen kann entnommen werden, dass Norwegen den Spitzenplatz mit dem HDI-Wert von Spitzenwert 0,943 einnimmt, vor Australien mit 0, 929 und den Niederlanden mit 0,910, derweil Luxemburg mit 0, 867 auf dem 25. Platz figuriert. Auf den letzten Plätzen befinden sich die ärmsten Länder der Welt: Niger mit 0,295 und die Demokratische Republik Kongo mit 0,286.1

Ein nachhaltiges und gerechtes Wirtschaftssystem entwickeln

„Das unendliche Wachstum ist in der endlichen Welt nicht möglich“ so die wissenschaftliche Erkenntnis. Die Menschheit ist mit großen Herausforderungen konfrontiert u.a. die begrenzten Reichweiten der fossilen Energieträger und die hohe Belastung in Bezug auf die natürlichen Ressourcen Wasser, Boden und Luft mit einem hohen ökologischen Fußabdruck, dies insbesondere in den Industrieländern. Bedingt durch das hohe Wirtschaftswachstum in den Schwellenländern entsteht zusätzlicher Druck auf das Klima und die Ressourcen. Die 7 Milliarden verbrauchen heute 1,5mal mehr Ressourcen als die Erde aufbieten kann, dies jedoch mit krassen Unterschieden je nach Kontinent und Land. Wenn hier nicht Remedur geschaffen wird, dann werden die Menschen zwei Planeten im Jahr 2030 brauchen, um ihr „Lebensglück“ zu erfüllen. Die Wasser- und die Nahrungsmittelkrisen werfen bereits heute ihre langen Schatten voraus und Millionen Menschen warten sehnsüchtig auf positive Signale bezüglich der Nahrungsmittelversorgung, der modernen Energieversorgung und der hygienischen Sanitäreinrichtungen. Die aufkommenden Spannungen auf dem afrikanischen Kontinent mögen als erste Warnung diesen.   

Der „World Energy Outlook“ hat in einer rezenten Publikation mitgeteilt, dass der weltweite Primärenergieverbrauch um 47 Prozent während der Zeitspanne 2010 bis 2035 ansteigen wird. Allein der Verbrauch an elektrischer Energie wird sich um 75 Prozent erhöhen und der tägliche Bedarf an Erdöl steigt von derzeit 89 Millionen Barrel auf mehr als 103 Millionen Barrel bis zum Jahr 2030. Zu behaupten, dem Energiehunger könne durch immer gewagtere Erdöl- und Erdgasbohrungen auf dem Meeresgrund und in abgelegenen Regionen begegnet werden, gilt als Trugschluss. Verstärkt auf die unkonventionellen Reserven Erdölschiefer und Erdölsand setzen – eine Förderung mit hohem Energieaufwand und gewaltigen Investitionen sowie einer erschreckenden Umweltbilanz -, bedeutet eindeutig Raubbau an der Natur. Diese kurzfristigen Eigeninteressen müssen der Vergangenheit angehören.

Den Weg des nicht nachhaltigen Wirtschaftssystems verlassen, bedeutet für die Weltgemeinschaft zu Beginn des 21. Jahrhunderts, die größte Herausforderung, die keinen Aufschub toleriert. Es drängt sich ein neues Modell der Zurückhaltung auf, dies gemäß dem Motto: „Mit weniger fossilen Energien leben, sie effizienter nutzen, die Nutzungsgrade erhöhen, die Recyclingquote steigern, das Stoffstrommanagement optimieren und die Rohstoffe weniger verschwenden.“ Der forcierte Ausbau zur Nutzung der erneuerbaren Energien in allen Kontinenten zeigt eindeutig, dass sich immer mehr Menschen dem Themenkreis Energie-Umwelt zuwenden. Der Verlust der Biodiversität, die aufziehende Energiekrise, der schleichende Klimawandel und die prekäre Nahrungsmittelknappheit, die sich vergrößernden Dürregebiete, das katastrophale Angebot an Trinkwasser und die anwachsenden Flüchtlingsströme können wohl nicht als positive Elemente des BIP in den einzelnen Ländern dienen, vielmehr verringern sie deren Grundlagen des Gedeihens.

Angesichts dieser Erkenntnisse macht es Sinn, eine neue Strategie für die gemeinsame zukünftige Entwicklung, welche durch den „Wohlstand-BIP“ gekennzeichnet wäre,  einzuleiten. Die wirtschaftlichen und die umweltschützerischen Interessen miteinander vernetzen, halte ich für den wichtigsten Ansatz des nachhaltigen Verhaltens in den kommenden Jahrzehnten. Sollten nicht auch Zufriedenheit, soziale Sicherheit, die Verfügung von Arbeitsplätzen und Gesundheit im „Wohlstand-BIP“ erfasst werden? Sicher, deren Monetarisierung ist nicht einfach, aber ohne diese Elemente kann es keinen wachsenden Wohlstand für alle Erdenbürger geben. Ein Wirtschaftssystem aufbauen, welches Wohlstand für alle Menschen garantiert und die Belange des Planeten respektiert, heißt die Devise. Neue dauerhafte Partnerschaften und eine enge Kooperation zwischen der Wirtschaft, der Gesellschaft sowie der Politik einfädeln, stellen den vernetzten Lösungsweg dar. Die Strategie zur Einführung der Kreislaufwirtschaft wird das Abfallaufkommen verringern und durch Recycling werden die Rohstoffe geschont. In diesem Zusammenhang sollten sich die politisch Verantwortlichen zum „Ronnen Dësch fir eis Zukunft“ zusammensetzen und gemeinsam eine Vision für die nachhaltig geprägte Wirtschaft entwickeln, dies in Luxemburg als auch in der Europäischen Union.  

Der EU-Umweltkommissar Jan Potocnik fordert in diesem Zusammenhang eine effizientere Ressourcennutzung als gemeinsamen Nenner aller Politikbereiche der EU-Staaten, dies nach dem Motto: „Wir können uns den aktuellen Ressourcenverbrauch im bisherigen Umfang nicht mehr leisten“. Die sich in der Entwicklung befindlichen kohlenstoffarmen Technologien werden zur Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern sowie der Treibhausgasemissionen beitragen, sie gelten als Exportschlager der europäischen Unternehmen. Seit dem Jahr 1990 hat die Europäische Union ihre Emissionen um 10 Prozent verringert, obwohl die Wirtschaftsleistung um 40 Prozent anstieg.

Der Wandel hin zum Wohlstand-BIP

Den vorstehenden Ausführungen darf entnommen werden, dass die bisherige Berechnung des BIP überholt ist. Ein BIP-Wachstum, welches auf einem höheren Verbrauch von natürlichen Ressourcen basiert, kann zeitlich nur begrenzt aufrechterhalten werden, dies kann negative Folgen für den Wohlstand der nächsten Generationen haben.

Es ergibt deshalb in meinen Augen keinen Sinn, wenn sowohl der Statec als auch die OECD Wachstumsraten von 1,75 bis 2,5 Prozent für die Jahre 2011 bis 2014  in Luxemburg voraussagen. Die Wissenschaft, die Politik und die Zivilgesellschaft sind angehalten, die wirtschaftliche Leistung kritisch auf ihre monetäre Qualität zu hinterfragen und die Erfassung von negativen Begleiterscheinungen der Volkwirtschaft nicht außer Acht zu lassen.

Das BIP kann nicht mehr mit Wohlstand gleichgesetzt werden – das bisherige „Mehr an BIP“ kann aufgrund der angeführten Mängel nicht mehr das vorrangige Ziel unseres Wirtschaftens bleiben. Robert Kennedy hatte diesbezüglich bereits im Jahr 1968 die folgende Aussage gemacht: „Das BIP misst alles, außer dem, was das Leben lebenswert macht.“ 2)

Die brisante Frage, der wir uns stellen und auf welche eine dringende Antwort geliefert werden muss,  ist diejenige nach der Form des Wirtschaftswachstums. Dies vor dem Hintergrund des Klimawandels und der begrenzten Ressourcen auf dem Planeten. Warum muss ein Land mit hohem Wohlstandsniveau noch weitere hohe Wachstumsraten erzielen? Wenn jedoch Wachstum, dann nach nachhaltigen Kriterien festgelegt – die ethische Diskussion ist gefordert. Als Quintessenz erhebt sich die Folgerung: „Das Leben auf dem Planeten Erde kann nur gedeihen, wenn wir den Raubbau und demzufolge den ökologischen Schaden gegenüber den kommenden Generationen einschränken. Die Ressourceneffizienz erlaubt es, die natürlichen Ressourcen zu schonen und die schädlichen Emissionen zu verringern.“ Mit der Einführung des „Wohlstand-BIP“ nähern wir uns diesem Ziel.

Quellenhinweis:
1)    http://de.wikipedia.org/wiki/Human_Development_Index
2)    „Die schwierige Kunst, den Wohlstand zu berechnen“  (Handelsblatt  21.1.2011)