Marc Spautz im LW-Gespräch : Der CSV-Fraktionsvorsitzende über den Koalitionsfrieden, die Rolle der Bürgermeister und eine grenzenlose Fantasie
Am 11. Oktober wurde Marc Spautz zum neuen Vorsitzenden der CSV-Fraktion bestimmt; er trat die Nachfolge von Lucien Thiel an, der am 25. August verstorben war. Im Interview mit dem „Luxemburger Wort“ spricht Marc Spautz über das Verhältnis zu den Sozialisten, den Index und die Lektionen, die aus den Kommunalwahlen zu ziehen sind.
Wort: Herr Spautz, über welche Eigenschaften muss der Vorsitzende der CSV-Fraktion verfügen?
Marc Spautz: Helmut Schmidt hat einmal gesagt, Fraktionsvorsitzender einer Mehrheitspartei zu sein, sei der undankbarste Job, den es gebe, es sei aber auch die größte Herausforderung, denn man vermittelt und schafft Kompromisse zwischen so vielen Meinungen und Strömungen, wie es Mitglieder in der Fraktion gibt.
Wort: Wie stark sind denn die Strömungen in der CSV-Fraktion?
M. Spautz: Das hängt ganz von den Themen ab, die auf der politischen Tagesordnung stehen. Ich kann mir vorstellen, dass die Ansichten innerhalb meiner Fraktion auseinander gehen werden, wenn es etwa um die Verschärfung des Rauchverbots geht. Einige Kollegen sind völlig damit einverstanden, andere bewegen sich eher auf einer liberalen Linie. Ausschlaggebend aber ist ein Parteibeschluss, der besagt, dass dem Gaststättenbetreiber ein Mitspracherecht eingeräumt werden muss.
Wort: Die gesellschaftspolitischen Reformen könnten zu einem weiteren Streitthema innerhalb der Fraktion werden. Wie wollen Sie mögliche Meinungsverschiedenheiten schlichten?
M. Spautz: Ich orientiere mich am Wahlprogramm meiner Partei beziehungsweise am Koalitionsabkommen.
Wort: Bei der Debatte über das Euthanasie-Gesetz war das Koalitionsabkommen für die LSAP auf einmal nicht mehr bindend. Könnte dies bei der Reform des Abtreibungsgesetzes erneut der Fall sein?
M. Spautz: Das kann ich mir nicht vorstellen.
Wort: Für die Koalition verlief die erste Halbzeit der Legislaturperiode nicht ganz so brillant, wir erinnern an den Streit um das Sparpaket beziehungsweise die gescheiterte Tripartite. Woran lag es?
M. Spautz: Ein Problem mag eine mangelhafte Kommunikation nach innen und nach außen gewesen sein. Ich denke aber, dass die Divergenzen sich mittlerweile gelegt haben und dass beide Parteien sich der Herausforderungen bewusst sind, die wir im Interesse des Landes meistern müssen.
Wort: Gehen Sie nicht davon aus, dass die LSAP sich aufgrund der Wahlresultate vom 9. Oktober zu einem Linksruck verleiten lässt, der das Regieren ziemlich schwierig machen könnte?
M. Spautz: Ich kann mir vorstellen, dass Linkskräfte innerhalb der LSAP einen solchen Versuch starten werden. Ich gehe aber davon aus, dass das Koalitionsabkommen für die Sozialisten bindend bleibt und nicht aufgrund von Wahlergebnissen in Frage gestellt wird.
Wort: Könnte dem Koalitionsfrieden in den kommenden Monaten neues Ungemach drohen, falls neue Sparmaßnahmen beschlossen werden?
M. Spautz: Lassen Sie uns erstmal abwarten, welche Beschlüsse die Sozialpartner und die Regierung innerhalb der Tripartite treffen werden.
Wort: Sie sind also zuversichtlich, dass sich Patronat und Gewerkschaften trotz verhärteter Fronten aufeinander zubewegen werden?
M. Spautz: Ich bin vom guten Willen der Sozialpartner überzeugt. Natürlich bin ich mir bewusst, dass die Indexfrage eine hohe Hürde darstellt, aber es ist nicht die einzige hohe Hürde. Solange die Index-Frage jedoch nicht geklärt ist, werden auch andere Probleme wie die Jugendarbeitslosigkeit oder wichtige Strukturreformen außen vor bleiben. Viel wäre getan, wenn es uns gelingen würde, die Inflation in den Griff zu bekommen. Und was die Gespräche in der Tripartite angeht, so bin ich nicht zuletzt aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Gemengelage davon überzeugt, dass den Sozialpartnern eine Einigung gelingen wird, ohne dass das Prinzip des Inflationsausgleichs gleich ganz ausgehebelt wird. Ob der Index verschoben wird oder andere Anpassungen beschlossen werden – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Wort: Auf welches Ergebnis sich die Tripartite auch immer einigen wird, werden die Abgeordneten nicht umhinkommen, sich bei den Haushaltsdebatten ihrer Verantwortung zu stellen. Wird die Budgetvorlage trotz veränderter Rahmenbedingungen in ihrer ursprünglichen Form verabschiedet werden?
M. Spautz: Als sich Ende 2008 die wirtschaftlichen Eckwerte von Tag zu Tag verschlechterten, wurde die Haushaltsvorlage 2009 dennoch in der Form verabschiedet, in der sie ursprünglich verfasst worden war. Die nötigen Anpassungen wurden dann erst später in die Wege geleitet. Was den Haushalt 2012 angeht, so muss daraus klar hervorgehen, dass sich die Schuldenspirale nicht weiterdrehen darf.
Wort: Dennoch hat Finanzminister Luc Frieden seine ursprünglichen Pläne etwas abgeschwächt; so schnell sollen die Schulden nun doch nicht abgebaut werden.
M. Spautz: Angesichts des veränderten konjunkturellen Umfelds können wir uns nicht kaputtsparen. Deswegen ist es auch richtig, dass die Investitionen für den Bau der Sekundarschulen in Clerf und Differdingen, die zunächst verschoben worden waren, nun doch getätigt werden, nicht zuletzt, weil es dabei um die Zukunft unserer Jugend geht.
Wort: Apropos Jugend: Ein Problem bleibt die hohe Jugendarbeitslosigkeit. Was kann die Politik dagegen tun?
M. Spautz: Indem wir zum Beispiel die Orientierung verbessern. Wenn Arbeitsamt, Arbeits-, Bildungs-, Mittelstands- und Wirtschaftsministerium enger zusammenarbeiten würden, könnten sie den Schülern ein verständlicheres Bild von der Vielfalt der unterschiedlichen Berufe vermitteln. Dann gibt es auch das Problem der Niedrigqualifizierten. Die fanden in der Vergangenheit einen Arbeitsplatz in der Industrie. Das Land muss weiter als Industriestandort attraktiv bleiben, sonst wird es uns nicht gelingen, die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.
Wort: Wieso gelingt es denn nicht, Industriebetriebe in Luxemburg zu halten?
M. Spautz: Dass daran allein die hohen Löhne schuld sein sollen, ist bestimmt nicht der Fall. Meiner Meinung nach schrecken viele Unternehmen vor den administrativen Hürden zurück. Ich hoffe, dass mit dem neuen Flächennutzungsgesetz die Regeln etwas praxisbezogener werden, beispielsweise bei der Ausweisung von Gewerbegebieten. Ich denke auch, dass sich die Prozeduren mit der Bündelung der Kräfte im Nachhaltigkeitsministerium beschleunigen werden.
Wort: Viel Zeit wurde mit der Analyse der Wahlresultate vom 9. Oktober verbracht. Die LSAP fordert nun eine Debatte über das Wahlgesetz. Sehen Sie Handlungsbedarf?
M. Spautz: Unserem aktuellen Wahlsystem zufolge stimmen die Wähler nicht über den Bürgermeister ab, sondern über die Zusammensetzung des Gemeinderats, in dem diejenigen Parteien die Mehrheit stellen, die über die Hälfte der Stimme plus eine verfügen. Natürlich kann man das in Frage stellen. Wieso hat das aber niemand getan, als wir Ende Januar Kommunal- und Wahlgesetz abänderten? Und wenn wir die Debatte über das kommunale Wahlsystem führen, müssen auch Fragen zur Direktwahl des Bürgermeisters geklärt werden, wie sie etwa von Innenminister Jean-Marie Halsdorf aufgeworfen wurden.
Wort: Sollte man sich in diesem Zusammenhang auch mit der Trennung von Abgeordneten- und Kommunalmandat beschäftigen, die jüngst wieder von Parlamentspräsident Laurent Mosar ins Gespräch gebracht wurde?
M. Spautz: Das hängt ganz davon ab, welche Rolle unsere Gemeinden in Zukunft haben sollen. Meiner Meinung nach wäre es zum Beispiel wünschenswert, wenn immer mehr Kommunen fusionieren würden, sodass in Zukunft nur rund 60 übrig blieben. Den Bürgermeistern dieser großen Gemeinden käme eine Vielzahl von Aufgaben zu, und damit wird sich die Frage nach einer Trennung von Abgeordneten- und Bürgermeistermandat ganz von selbst beantworten. Die Ämtertrennung darf aber nicht so weit gehen, dass man den Kommunalpolitikern jeden Einfluss auf den parlamentarischen Gesetzgebungsprozess verwehrt. Das würde zur Katastrophe führen. Ich könnte mir daher eine Art zweite Kammer vorstellen, in der alle Bürgermeister vertreten wären und die dort Gutachten zu allen Gesetzen mit Auswirkungen auf die Gemeindepolitik ausarbeiten würde.
Wort: Abschließend noch zwei Fragen zu Personalangelegenheiten: Wie wird es der Fraktionsvorsitzende Marc Spautz mit dem Abgeordneten Robert Weber halten und welches Profil soll Ihr Nachfolger als CSV-Generalsekretär haben?
M. Spautz: Ich gehe von einer konstruktiven und reibungslosen Zusammenarbeit mit Robert Weber aus. Was den künftigen CSV-Generalsekretär betrifft, so wird es darum gehen, die Zusammenarbeit mit den einzelnen Parteistrukturen zu vertiefen, die Schwachstellen auszumerzen, die bei den Kommunalwahlen an den Tag getreten sind, und die Weichen für die Landeswahlen im Jahr 2014 zu stellen. Darüber wird ein Parteitag im März 2012 entscheiden.
INTERVIEW: JOELLE MERGES UND MARC SCHLAMMES
Quelle: Luxemburger Wort, 7. November 2011