Jean-Marie Halsdorf, Innenminister, zu aktuellen Reformen im Gemeindewesen.
Das 21. Jahrhundert, so viel steht fest, stellt unsere Gemeinden vor große Herausforderungen. Für die nationale Politik gilt es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass landesweit handlungsfähige, sprich starke Gemeinden bestehen, die den Ansprüchen unserer Zeit gerecht werden und ihren Bürgerinnen und Bürgern flächendeckend optimale Dienstleistungen anbieten können.
Das Regierungsprogramm sieht tiefgreifende Reformen vor, die darauf abzielen, genau diese Gemeindelandschaft entstehen zu lassen: territoriale Neuordnung, Reform der Gemeindefinanzen, Neugestaltung der Gemeindeaufsicht … . Diese Reformvorhaben müssen als ein Ganzes angesehen werden, denn Ziel und Zweck weitsichtiger Innenpolitik muss es sein, den Grundstein für eine tiefgehende Neugestaltung des Gemeindewesens zu legen.
Autonomie durch Stärke
Die Gemeindeautonomie ist ein verfassungsrechtlich verankertes Prinzip unserer Rechtsordung. Jedoch muss man feststellen, dass es vielen luxemburgischen Gemeinden heute nicht mehr möglich ist, ihren vielschichtigen Aufgaben in voller Autonomie nachzukommen. Daher haben sich die Gründungen interkommunaler Syndikate in den letzten Jahren vermehrt und dies in einem Maße, dass viele unserer Gemeinden den größten Teil ihres Haushaltes nicht mehr selbst verwalten, sondern direkt den Gemeindeverbänden übertragen, die dann mit der Ausführung kommunaler Aufgaben betraut werden.
Stärke durch Größe
Ziel der territorialen Neuordnung ist es folglich, durch Förderung von Gemeindefusionen eine Gemeindelandschaft zu schaffen, in der alle Gemeinden die nötige Größe – man spricht von der „kritischen Masse“ – besitzen, um ihrem öffentlichen Auftrag im Interesse ihrer Bürgerinnen und Bürger nachzukommen. Das ist in der luxemburgischen Staatsordnung kein Pappenstiel, denn wir kennen in unserem Land nur zwei Verwaltungsebenen: öffentliche Dienstleistungen werden entweder vom Staat oder von den Gemeindenerbracht.
Eine kommunale Verwaltungsreform ist also kein Spleen des zuständigen Ministers, wie es manche darzustellen versuchen, sondern eine bittere Notwendigkeit, wenn der Staat seiner Rolle gerecht werden soll, allen Menschen in diesem Land den Zugang zu gleichwertigen öffentlichen Dienstleistungen zu ermöglichen.
Diese Veränderung des Gemeindewesens hat auch Auswirkungen auf die Ausrichtung der Kommunalaufsicht, der oft verschrienen «Tutelle». Stärkere, autonomere Gemeinden bedürfen einer anderen Aufsicht als dies heute der Fall ist. Schon 2005 hatte ich Vorschläge für eine tiefgreifende Reform der Kommunalaufsicht, der oft verschrienen «Tutelle». Stärkere, autonomere Gemeinden bedürfen einer anderen Aufsicht als dies heute der Fall ist. Schon 2005 hatte ich Vorschläge für eine tiefgreifende Reform der Kommunalaufsicht vorgelegt, mit einer völlig neuen Philosophie im Umgang des Staates mit den Gemeinden. Die territoriale Neuordnung soll die Voraussetzungen dafür schaffen. Kurz gesagt: Autonomie durch Stärke, Stärke durch Größe.
Effektivität durch Einigkeit
Auch auf anderen Ebenen stehen tiefgreifende Veränderungen für das Gemeindewesen an. Stichwort: Rettungsdienste. Hier gab es geteilte Aufgaben zwischen dem Staat mit seinem Zivilschutz und den Gemeinden mit ihren lokalen Feuerwehren. 116 Gemeinden, das sind 116 unterschiedliche Politiken im Rettungswesen, zuzüglich derer des Staates. Dies trägt nicht gerade zur Effektivität bei. Deshalb wurde in den vergangenen Jahren in minutiöser Arbeit, im Dialog und unter Einbeziehung aller Beteiligter, ein Konzept erarbeitet, das es nun umzusetzen gilt. Zum Wohl der Allgemeinheit und im Interesse der Menschen, die im Notfall auf diese Dienste angewiesen sind. Einigkeit, Dialogbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein waren hier der Schlüssel zur Lösung.
Für eine gerechte Wasserversorgung
Gleiches gilt bei einem anderen Thema, das dieser Tage die Gemüter bewegt: beim Wasserpreis. Die Wasserwirtschaft fällt seit jeher in den Aufgabenbereich der Gemeinden Folglich gibt es auch hier bei 116 Gemeinden 116 verschiedene Ansätze in der Wasserpolitik. Das Prinzip der Nachhaltigkeit und dessen Festschreibung in der Wasserrahmenrichtlinie gebieten die Erhebung eines kostendeckenden Wasserpreises. Dies führt unweigerlich, aufgrund der unterschiedlichen geografischen und demografischen Gegebenheiten, zu wesentlichen Unterschieden bei der Festlegung des Wasserpreises in den verschiedenen Gemeinden. Mir scheint es nicht tragbar in einem 500.000 Menschen umfassenden Staat, die Verbraucher je nach Wohnort bei der Versorgung mit einem Grundlebensmittel zu diskriminieren, genauso wenig wie es nicht mehr denkbar ist, in diesem Bereich 116 unterschiedliche Wege zu gehen. Auch hier müssen Staat und Gemeinden verantwortungsvoll und kohärent handeln, um für eine gerechte Wasserversorgung unserer Bevölkerung zu sorgen. Effektivität durch Einigkeit eben.
Jean-Marie Halsdorf
Innenminister und Minister für die Großregion
Profil, 27. November 2010