Eine neue Hungerskrise im Niger und die Welt sieht nicht hin

Dr.- Ing. Marcel Oberweis







Noch haben wir die Bilder der ausgemergelten Menschen durch die Hungerkatastrophe im Niger im Jahr 2005 vor Augen. Niger, gelegen in der Sub-Sahelzone in Afrika, ist eines der ärmsten Länder der Welt und die Regenzeit im Jahr 2009 fiel in dem Wüstenland besonders kurz und unregelmäßig aus. Es folgten hohe Ernteausfälle und die Vorräte reichen nicht bis zur kommenden Ernte.

Die Flut der Hungernden steigt jeden Tag und gemäß den vorsichtigen Schätzungen der Vereinten Nationen sind fast 8 Millionen Menschen, die Hälfte der Bevölkerung, bedroht. Etwa 200.000 Kinder sind akut vom Hungertod bedroht, für viele wird die zaghaft anlaufende Hilfe jedoch zu spät kommen. Die Hilfsorganisationen schreiben, dass jeder fünfte Haushalt über Nahrungsmittel für nur noch zehn Tage verfügt. Die errichteten Lebensmittellager reichten im Durchschnitt für 2,8 Monate im Jahr 2009 und für 5,4 Monate im Jahr 2008. Da der Viehbestand kaum noch Nahrung findet, müssen die vielen Kleinbauern (fast 80 Prozent der Bevölkerung lebt auf dem Land) ihr Vieh verkaufen und die Verschuldung wächst in einem erschreckenden Mass. Das Ausmaß der Unterernährung hat bereits dramatische Züge angenommen und trifft insbesondere die älteren Menschen, die Frauen und Kinder.

Neben der klimatischen Ursache stellen die mit traditionellen Mitteln betriebene Landwirtschaft und Viehzucht eine weitere Ursache dar. Die schnell wachsende Bevölkerung kann nicht mehr ausreichend ernährt werden. Bedingt durch die hohe Geburtenrate, welche bei 7,1 Kindern pro Frau liegt, kommt es hohen Fehlbeträgen im Nahrungsmittelangebot. Als direkte Konsequenz steigen die Preise für Lebensmittel und verschärfen die ohnehin schlechte Versorgung der Menschen. Hatte man nach dem Machtwechsel im Februar 2010 gehofft, dass die Hungerkatastrophe abgewendet werden könnte, so stellt man fest, dass die Nahrungskrise Überhand genommen hat.

Es wirkt befremdend, dass Niger über hohe Reserven an Uran, Gold sowie Erdölvorkommen verfügt und die Förderrechte verkauft werden, die Bevölkerung jedoch wenig von den erwirtschafteten Devisen erhält. Würde Gerechtigkeit herrschen, dann wäre die Ernährungslage für die Bevölkerung ausreichend und die Landwirtschaft würde über genügend Wasser verfügen.

Aber nicht nur Niger ist betroffen, weitere Millionen Menschen in Mali, Tschad und Kamerun sehen der Hungersnot entgegen. Im Tschad sind etwa 2 Millionen betroffen, im Kamerun rechnet man mit etwa 500.000 Menschen und im Nordosten Malis mit etwa 300.000 Menschen. Es ist bekannt, dass viele Menschen der Sahelzone aus den landwirtschaftlich geprägten Regionen in die Städte fliehen, um dort die Elendsvierteln zu vergrößern.

„Dies ist erst der Anfang der Krise“, warnt Gareth Owen von der Hilfsorganisation „Save the Children“. Trotzdem gewusst war, dass sich die Hungerkatastrophe seit Monaten anbahnte, hat die Welt medienträchtig nach Haiti anlässlich des verheerenden Erdbebens im Januar 2010 gestiert und es flossen Euro-Milliardenbeträge für den Aufbau der zerstörten Landstriche.

Damit sich die Lebensbedingungen in der Sub-Sahelzone nachhaltig verbessern, bedarf es großer Anstrengungen, insbesondere im Bereich der Wasserbewirtschaftung. Nur Lebensmittel herbeibringen, kann auf Dauer keine Lösung sein. Die aktuelle Wasserkrise bedroht nicht nur die Lebensgrundlage einer wachsenden Zahl von Menschen, sondern auch das natürliche Ökosystem und den Frieden dieser Region.

Darf ich darauf hinweisen, dass sich die Versorgung mit Trinkwasser und die Bereitstellung von Wasser zur Bewässerung für die Hälfte der Weltbevölkerung als das Problem erster Ordnung erweisen. Die Vereinten Nationen sprechen von 884 Millionen Menschen im Jahr 2008. Das angepeilte Millenniumziel, die Zahl der Menschen bis 2015 zu halbieren, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, werden wir nicht erreichen. In einem LW-Artikel (24. Juni – Seite 2) erklärte der UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Ernährung, Olivier de Schutter, dass das Nicht-Erreichen der acht Millenniumziele nach zwei Drittel Wegstrecke auf einer schlechten, weil nicht verantwortungsvollen Politik, beruht. 

In diesem Zusammenhang darf zumindest hinterfragt werden, mit welcher Verachtung die reichen Länder der Erde das Elend der Minderbemittelten betrachten. Wurde nicht kürzlich die Bilanz des globalen Waffenhandels im Jahr 2009 vom Institut Sipri vorgestellt, laut welcher 1244 Milliarden Euro für Waffen ausgegeben wurden; ein Anstieg von 5,9 Prozent gegenüber 2008 und 49 Prozent seit 2000. Würde man diese beträchtlichen Geldmittel (etwa 9-mal die Ausgaben für die Weltentwicklungshilfe) zum Aufbau der Trinkwasser- und Abwässerversorgung, der schulischen Infrastrukturen und Medizinversorgung sowie der Bereitstellung von Energie aufwenden, käme es zu einer globalen Win-win-Situation aller Menschen auf diesem Planeten.

Wissend, dass die nächste Ernte erst im September zu erwarten ist, müssen umgehend die Hilfslieferungen an die darbende Bevölkerung anlaufen. Wenn diese ausbleiben, dann wird es im Sahel, eine der ärmsten Regionen der Welt mit ihren typischen klimatischen Bedingungen, zu einer Katastrophe mit ungewissem Ausgang kommen. Auch ein Beitrag seitens Luxemburg für unser ehemaliges Zielland Niger ist erbeten.