Die Weltbevölkerung wandert in die Städte ab, die Landflucht ist ungebrochen, so der Tenor des 5. Weltstädteforum der Vereinigten Nationen. An dem „World Urban Forum“ unter dem Motto “Recht auf Stadt – Die Kluft überbrücken” hatten etwa 15.000 Menschen aus mehr als 160 Ländern teilgenommen. Die Tagung fand in Rio de Janeiro vom 22. bis 26 März 2010 statt und hatte sich als Schwerpunkt den Aufbau eines lebenswürdigen Leben in den Megastädten des 21. Jahrhunderts gesetzt. Eine Freie Tribüne von Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter
Im Mittelpunkt der Tagung standen die Herausforderungen der immer größer werdenden Mega-Städte und die zunehmende Verstädterung. Heute leben mehr als die Hälfte der 7 Milliarden Menschen unseres Planeten in den Städten, leider lebt jeder dritte Bewohner in den Slums, wo weder sauberes Wasser noch sanitäre Einrichtungen vorhanden sind und es keinen Anschluss an die elektrischen Energie gibt. Es sind dieselben Menschen, die unter den schleichenden Konsequenzen des Klimawandels am meisten leiden. Den Aussagen der Wissenschaftler werden es jedoch in 50 Jahren etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung sein. Die Städte der Entwicklungsländer werden das Wachstum der Weltbevölkerung in den kommenden Jahrzehnten aufnehmen d.h. von derzeit 7 Milliarden auf 9,5 Milliarden Menschen bis 2050.
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon hob in seinem Grußwort die desolate Situation der Hunderte Millionen Bewohner in den Elendsvierteln der Megastädte hervor. Nicht nur müssen sie mit der verheerenden Armut fertig werden, sondern auch mit den negativen Folgen des Klimawandels. Ihre derzeitigen Lebensbedingungen, die den reichen Menschen wohl bekannt sind, seien ein Verstoß gegen das Menschenrecht.
Bei näherer Betrachtung der Lage in den Megastädten u.a. Sao Paulo, Kual Lumpur, Jakarta, New Delhi, Kairo, Mumbai und Lagos erkennt man die trostlose Lage der Menschen, die in den meisten Fällen eine tiefen sozialen Graben zwischen den Reichen und den Armen aufzeigt. Der vorgelegten Habitat-Umfrage in 30 Städten in der Karibik, in Afrika, in Asien und in Lateinamerika kommen die Reformen und die Infrastrukturprojekte u.a. der Straßenbau und die Kanalisierung sowie die Reinigung der Flüsse und Bäche vor allem den reichen Bevölkerungsschichten zugute. Nichtsdestotrotz verlassen die Menschen die angestammte Heimat und ziehen in die Armensiedlungen, wo sie ein desolates Leben fristen. Den UN-Berichten zufolge schafften weltweit 227 Millionen Menschen den Sprung aus den Slums in ein besseres Leben zwischen 2000 und 2010. Während demselben Zeitraum wuchs die absolute Zahl der Slumbewohner von etwa 770 Millionen auf etwa 830 Millionen Menschen und diese leben vornehmlich in den sich rasant aufbauenden Megastädten. Diese Städte weisen eine Bevölkerung von mehr als 5 Millionen Einwohnern auf. Es gibt zurzeit weltweit 39 Megastädte mit mehr als 5 Millionen Einwohnern und im Jahr 2015 werden es möglicherweise bereits 60 sein.
Von den größten Megastädten liegen 20 im asiatischen Raum und in Lateinamerika, wenn man die administrativen Stadtgrenzen heranzieht, ist die chinesische Stadt Chongqing die größte der Welt. Sie stellt eine eigenständige Verwaltungseinheit mit 31,7 Millionen Einwohnern dar. Die Fläche des Verwaltungsgebietes der Stadt ist mit 82.403 km2 fast so groß wie das EU-Land Österreich mit 83.871 km2 und besteht überwiegend aus Gebieten mit ländlicher Siedlungsstruktur.
Missstände – so weit man sieht
Angesichts der Schwere der anstehenden Probleme stand die nachhaltige Entwicklung mit all ihren Gesichtspunkten im Mittelpunkt der zahlreichen Vorträge. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser, die Entsorgung des Abwassers und die Müllbeseitigung stellten weitere Themenkreise dar. Durch die Zusammenballung dieser Menschenmassen auf engstem Raum kommt es unweigerlich zu sozialen und ethnischen Spannungen und zu einer dramatischen Lebensqualität und einer desolaten Umwelt. Wenn auch die Städte in den reichen Ländern ihre „Probleme“ mit der Umwelt haben, so sind diese doch ein Nichts gegenüber den Megatonnen an lebensfeindlichen Emissionen, die in diesen Ländern in die Umwelt entlassen werden. Weitere Charakteristika stellen die hohe Bevölkerungsdichte dar, die unkontrollierte Flächenexpansion und die anschließende Erosion, das prekäre Ernährungsproblem, das hohe Verkehrsaufkommen des individuellen Verkehrs durch das Nichtvorhandensein des Öffentlichen Transports, das Fehlen jeglicher Infrastrukturen, das Fehlen von adäquatem Wohnraum und der Schutz der Frauen und Mädchen.
Bedingt durch die Globalisierung lagern die Unternehmen Teile der Produktion in die Entwicklungsländer aus, um von den „billigen“ Arbeitskräften zu profitieren, ohne dass der Lebensstandard in diesen Ländern steigt. Dieser Zustand mag eine Zeit lang gedeihen, aber die Menschen werden sich aufraffen und ihren Anspruch auf „ein Stück Glück“ geltend machen. Es werden die politischen Unruhen nicht ausbleiben. Noch früher werden sie um Land und um Wasserrechte ausbrechen und sich wie ein Blutfaden durch die Drittweltländer, sowohl auf dem Land als auch in den Megastädten, ziehen. Noch gewaltiger werden die Probleme, wenn es zu Katastrophen in diesen Megastädten kommt, da an eine Evakuierung bzw. eine Notversorgung der Bevölkerung nicht zu denken ist, denn die Infrastruktur erlaubt dies nicht.
Man kann nur hoffen, dass das 5. UN-Weltstädteforum den Teilnehmern die Einsicht gegeben hat, dass die Zeit des Debattierens zu Ende kommen muss und Handeln nun gefragt ist. Das ehrgeizige Programm der Vereinten Nationen muss den Schluss zulassen, dass die Verwirklichung der Gerechtigkeit für alle Menschen nicht nur aus ethischen Gründen erforderlich ist, sondern auch den wichtigsten Beitrag zur langfristigen Friedenssicherung darstellt; das Engagement aller Menschen ist hierfür erforderlich.
Dr.-Ing. Marcel Oberweis, CSV Abgeordneter, 6. April 2010
Literaturhinweise:
http://www.n-tv.de/panorama/Recht-auf-Stadt-auch-in-Slums
http://www.3sat.de/Weltstädteforum in Rio de Janeiro eröffnet