„Ich kenne jeden Winkel“

Ein Gespräch mit dem neuen CSV-Vorsitzenden

VON LAURENT ZEIMET 

Mit 90 Prozent der abgegebenen Stimmen wurde Michel Wolter (47) am Samstag an die Spitze der Christlich-Sozialen Volkspartei gewählt. Wolter will auf den bisherigen Erfolgen aufbauen. „Eine Revolution ist nicht nötig.“

LW: Herr Wolter, Ende Juli hat Premier Jean-Claude Juncker Sie zum neuen Vorsitzenden vorgeschlagen. Aber was ist Ihre Motivation, dieses Amt zu übernehmen?

Michel Wolter: Wenn man mich vor drei Jahren gefragt hätte, ob ich den Vorsitz übernehmen wolle, hätte ich mit Sicherheit abgelehnt. Inzwischen hat sich aber etwas geändert. Ich konnte in vielen Gesprächen mit Freunden feststellen, dass meine Kandidatur in der Partei konsensfähig wäre. Es ist eine besondere Ehre, den Vorsitz der größten Partei zu übernehmen. Die CSV hat eine lange Tradition und ich reihe mich in eine beeindruckende Vorgängerriege ein.

LW: Sie galten lange Zeit nicht unbedingt als Konsenspolitiker. Muss aber der CSV-Präsident nicht ein Brückenbauer sein?

Michel Wolter: Natürlich. Auch ich habe einen Reifungsprozess hinter mir. In den fünf Jahren als Fraktionsvorsitzender der CSV auf Krautmarkt musste ich oft einen Konsens zustande bringen. Es war beileibe nicht immer einfach, die verschiedenen Meinungen und Strömungen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Wissen Sie, nicht jeder kann am Ende einer Debatte Recht behalten. Aber wenn die Partei ihre Meinungsfindung abgeschlossen hat, dann muss jeder sich an den Beschluss halten. Das setzt eine kontroverse Auseinandersetzung voraus. In der Partei und mit der Gesellschaft. Davor scheue ich sicher nicht zurück. Die CSV hat in der Vergangenheit oft unter Beweis gestellt, dass sie schwierige Entscheidungen treffen kann, die sich im Nachhinein als richtig erwiesen. Ich bin überzeugt, dass die Bürger diese Verlässlichkeit schätzen.

LW: Wie wollen Sie diesen Diskussionen denn eine Orientierung geben? Gelten weiterhin das Grundsatzprogramm und das christliche Menschenbild?

Michel Wolter: Ohne Zweifel bleibt die katholische Soziallehre unser Fundament. Die CSV hat eine soziale Ausrichtung, ohne dabei wirtschaftsfeindlich zu sein. Umgedreht wird natürlich auch ein Schuh daraus.

LW: Und in der Gesellschaftspolitik?

Michel Wolter: Wir haben eine Meinung zu gesellschaftspolitischen Fragen. Wir haben aber nicht den Anspruch, dass jeder unsere Meinung teilen muss. Ich bitte allerdings darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass die CSV bewiesen hat, dass sie die Kraft zur Veränderung hat. Wer in der Mitte des Volkes stehen will, kann die Mehrheitsmeinung nicht ignorieren. Wir stellen uns diesen Fragen. Ohne Scheuklappen.

LW: Marc Spautz steht als Generalsekretär an Ihrer Seite. Es wurde bereits gemutmaßt, dass er den sozialen und Sie den Wirtschaftsflügel der Volkspartei bedienen sollen. Ein Irrtum?

Michel Wolter: Mit Marc Spautz verbindet mich eine lange Freundschaft. Wir haben uns eine Aufgabenteilung vorgenommen. Aber sicher nicht die, die Sie angesprochen haben. Marc Spautz wird sich in erster Linie um die organisatorischen Aufgaben kümmern. Nicht zuletzt die Vorbereitung der Kommunalwahlen. Als Vorsitzender werde ich mich selbstverständlich auch um diese Fragen kümmern, meine erste Aufgabe besteht aber darin, die inhaltliche und programmatische Arbeit voranzutreiben.

LW: Sehen Sie denn inhaltlichen Nachholbedarf?

Michel Wolter: Eine Partei muss kontinuierlich an ihrer Programmatik arbeiten. Wir stehen vor schweren Zeiten. Die CSV muss Antworten geben, wie wir der nächsten Generation eine Zukunft in diesem Land bieten wollen. Es gibt sicherlich Politikfelder, auf denen wir unsere Standpunkte noch klarer zum Ausdruck bringen können. Ohne vollständig sein zu wollen, denke ich an Bildung, Integration und eine langfristige soziale Absicherung. Die Partei hat die Freiheit, losgelöst von der Tagespolitik Impulse geben zu können. Im Mittelpunkt unserer Arbeit wird auch in den nächsten Jahren der soziale Zusammenhalt stehen. Der Arbeitsmarkt macht uns Sorgen. Die Jugendlichen müssen eine Chance haben, in das Berufsleben einsteigen zu können. Eine inhaltliche Revolution steht nicht auf der Tagesordnung.

LW: Sie haben die Kommunalwahlen angesprochen. Wagen Sie eine Zielsetzung?

Michel Wolter: Die nationale CSV wird für ein einheitliches Bild der Partei sorgen und einen politischen Rahmen vorgeben. Kommunalwahlen werden aber vor Ort entschieden. Lokale Themen stehen im Vordergrund. Daher werden wir unseren Lokalsektionen eine größtmögliche Autonomie gewähren. In der Vergangenheit konnte man oft spektakuläre Unterschiede zwischen den Ergebnissen bei Lokal- und Landeswahlen feststellen. Das wird im Oktober 2011 kaum anders sein. Die CSV vor Ort kann auf unsere Unterstützung zählen.

LW: Sie waren bereits auf vielen Ebenen der Partei aktiv, in den achtziger Jahren waren Sie CSJ-Präsident. Nützt Ihnen diese Erfahrung bei der neuen Herausforderung?

Michel Wolter: Ich glaube das ist ein Vorteil. Ich wurde sozusagen in die Partei hineingeboren. Ich bin Kommunalpolitiker, Abgeordneter, ich war Minister und Fraktionsvorsitzender. Ich verstehe die CSV als ein Dreieck aus Partei, Fraktion und Regierung. Ich kenne jeden Winkel dieses Dreiecks. Jede Spitze dieses Dreiecks ist auf die andere angewiesen. Wir können nur erfolgreich Wahlen gewinnen und im Interesse des Landes Politik gestalten, wenn wir miteinander arbeiten. Je nach Herausforderung ist die Regierung, die Fraktion oder die Partei in der Verantwortung. Wir haben bewiesen, dass wir das schaffen.

Quelle: Luxemburger Wort, 16. November 2009