“In der Mitte von Land und Leuten”

Interview mit François Biltgen

Von Laurent Zeimet

Nach gut sieben Jahren tritt François Biltgen an der Spitze der CSV ab. Seine Bilanz ist bemerkenswert: Die CSV konnte ihren Wähleranteil von 30 auf 38 Prozent steigern. Das Luxemburger Wort unterhielt sich mit dem scheidenden Präsidenten.

LW: Herr Biltgen, als Sie vor sieben Jahren zum ersten Mal für den Vorsitz kandidierten, meinte Ihre Vorgängerin Erna Hennicot-Schoepges in Anspielung auf die Erneuerung der Partei: „Die Wäsche ist gemacht.“… 

François Biltgen: Ja, und heute kann ich sagen, wir haben nicht nur eine neue Waschmaschine, sondern unser Haus vergrößert. Aber hier wohnt immer noch die gleiche Familie.

LW: Die CSV konnte sich auf 38 Prozent steigern. Die Latte für ihre Nachfolger hängt jetzt ziemlich hoch. 

François Biltgen: Das war nicht immer so. 1999 landeten wir bei knapp 30 Prozent. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, deutlich über 30 Prozent zu kommen, weil ich der Ansicht bin, dass man sich nur Volkspartei nennen kann, wenn man mindestens 30 Prozent der Wähler überzeugen kann. Eine These, die LSAP-Präsident Alex Bodry jüngst bestätigte. Wir schafften 2004 dann 36 Prozent. 2006 spielte ich mit dem Gedanken, kein drittes Mal für den Vorsitz anzutreten. Aber einige Kollegen meinten, das wäre doch ein bisschen „feige“, nach einem solchen Wahlerfolg von der Bühne abzutreten. Ich habe lange nicht daran geglaubt, dass wir in diesem Jahr unseren Erfolg aus 2004 wiederholen könnten. Dass wir das Ergebnis dann sogar noch übertroffen haben, war bemerkenswert. Wieso soll die neue Mannschaft es nicht schaffen, das Ergebnis weiter zu verbessern? Wenn die CSV so bleibt wie sie ist, halte ich das durchaus für möglich.

LW: Nun hatte der Erfolg der CSV ja auch etwas mit ihrem populären Spitzenkandidaten Jean-Claude Juncker zu tun.

François Biltgen: Natürlich war ich froh, Wahlkampf mit einer Persönlichkeit wie Jean-Claude Juncker führen zu können. Die CSV war vor und bleibt nach Juncker eine starke Partei. Unsere Geschichte liefert den Beweis. Pierre Werner war in der CSV ein Monument. Als er 1984 nicht mehr antrat, konnten wir mit Jacques Santer dennoch ein Ergebnis erzielen, das erst 2004 wieder übertroffen wurde. Obwohl Santer zu diesem Zeitpunkt noch nicht Premierminister war. Auch Jean-Claude Juncker hätte sich ohne die CSV nicht so entwickeln könnnen. Das Dreieck aus Partei, Programm und dessen stimmige Verkörperung durch den Spitzenkandidaten macht den Unterschied. Der CSV gelingt es immer wieder, außergewöhnliche Führungspersönlichkeiten hervorzubringen. Mir ist für die Zukunft nicht bange.

LW: In den sieben Jahren hatten Sie es ja nicht immer einfach. Manche Fragen brachten die Partei nahe an die Zerreißprobe. Wie gingen Sie mit diesen Herausforderungen um?

François Biltgen: Das hat mich auch psychisch und physisch angespannt. Die CSV hat aber gezeigt, dass sie solche Situationen überstehen kann. Es waren durchaus schwierige Auseinandersetzungen. Wir haben heftig diskutiert. Aber eben im Familienkreis. Man muss akzeptieren können, dass sich die eigene Sicht der Dinge nicht immer durchsetzt. Wenn ein Beschluss stand, habe ich diesen hundertprozentig in der Öffentlichkeit vertreten. Andere Spitzenleute übrigens ebenso.

LW: Es wurde oft von der Modernisierung der CSV gesprochen. Woran machen Sie diese fest?

François Biltgen: Ich halte an meinem Leitsatz fest: Die CSV ist konservativ in ihren Prinzipien und fortschrittlich in ihren Standpunkten. Ich will das an einem konkreten Beispiel festmachen. Wir haben uns in unserem Grundsatzprogramm zur Ehe als Fundament des Zusammenlebens in der Gesellschaft bekannt. Nun erleben wir, dass in vielen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften Solidarität gelebt und Verantwortung übernommen wird. Diese sollten also auch rechtlich geschützt werden. Die Adoption von Kindern ist dagegen eine ganz andere Frage. Für uns steht nicht das Recht der Adoptierenden im Mittelpunkt, sondern das Recht des Kindes. Wir wollen diese Frage aus dem Blickwinkel des Kindes prüfen. Eine Idealposition ist so natürlich auch nicht festzuschreiben. Aber es geht darum, den gesellschaftlichen Veränderungen auf Grundlage dieser Wertvorstellungen Rechnung zu tragen. Es geht um eine Erneuerung, ohne dabei dem Zeitgeist hinterherzulaufen. Wir können auf 10 000 Mitglieder verweisen, die unsere Werte teilen.

LW: Diese Modernisierung wird gerne als gewisse Beliebigkeit abgetan. 

François Biltgen:
Das könnte man uns vorwerfen, wenn wir auf Umfragen schielten. Das tun wir nicht. Wir halten uns an unsere Grundwerte, um auf neue Fragen der Zeit angemessene Antworten geben zu können.

LW: Die CSV ist mit Abstand stärkste Kraft. Die politische Konkurrenz tut sich damit schwer, hat man den Eindruck. 

François Biltgen:
Das mag sein. Wir sagen, was wir wollen und kritisieren nicht die anderen. Wir geben die Themen vor. Das gehört zum Leadership. Die CSV steht in der Mitte von Land und Leuten.

LW: Innerhalb der Europäischen Volkspartei kann die CSV nun auf eines der besten Wahlergebnisse verweisen. Fühlt die CSV sich im konservativen Sammelsurium noch wohl? 

François Biltgen: In der Tat ist auf nationaler Ebene keine C-Partei so stark wie die CSV. Ich stelle mit Genugtuung fest, dass die sich die EVP wieder ihrer alten Werte besinnt. Auf dem kommenden Kongress steht die soziale Dimension Europas auf der Tagesordnung. So etwas war von der EVP lange nicht mehr zu hören. Ich freue mich, dass das Pendel nun in unsere Richtung ausschlägt.

LW: Wird sich François Biltgen in der CSV denn nun zurückhalten? Wie wollen Sie sich weiter in die Parteipolitik einbringen?

François Biltgen: Ich halte mich an ein einfaches Prinzip: Wenn die Arbeit getan ist, ist die Arbeit getan. Ich werde meine Nachfolger sicherlich nicht mit gutgemeinten Ratschlägen belästigen und werde mich vor dem Schwiegermutter-Syndrom hüten. Wissen Sie, ich werde mich mit meinen Aufgaben in der Regierung sicherlich nicht langweilen. Zwei Mal dachte ich in den sieben Jahren an einen Rücktritt. Als ich schwer erkrankte und später bei dem Streit um das Gesetz 5611 über die Beschäftigungsreformen. Meine Familie gab mir beide Male Rückhalt. Nun will ich meinen Nächsten mehr Zeit schenken. Ich bin mir stets bewusst, es gab ein Leben vor und es gibt ein Leben nach der Politik. Man muss sich im Leben immer eine Zukunftsperspektive erhalten.

QUELLE: LUXEMBURGER WORT, 14. November 2009