„Keine Therapie hinter verschlossenen Türen”

125 Jahre staatliche Kinderheime in Luxemburg Der CSV-Abgeordnete Mill Majerus ist ein Fachmann auf dem Gebiet staatlicher Kinderheime. Er war jahrelang im Familienministerium für diese Einrichtungen zuständig. In einem Tageblatt-Interview sprach er über den Werdegang: Weg vom Hospiz, hin zu einer modernen Einrichtung für Kinder.

Tageblatt, 5. Oktober 2009,  

Tageblatt: Herr Majerus, wie haben sich in den vergangenen Jahrzehnten die staatlichen Kinderheime entwickelt? 

Mill Majerus: "Die Verhältnisse vor mehr als 40 Jahren in den Kinderheimen waren einfach unhaltbar. In den Hospizen damals herrschte noch ein anderer Ton. Kinder aus armen Verhältnissen waren mit zum Teil schwerstbehinderten Kindern unter einem Dach vereint. Dazu kamen noch alte, pflegebedürftige Menschen. In den 1960ern kam es zu einem Umdenken: Zwischen den extremen Altersunterschieden kam es zu einer Trennung, außerdem wurden behinderte Kinder in neu geschaffenen Einrichtungen untergebracht. In Schifflingen und Düdelingen wurden acht Häuser gekauft, restauriert und für die entsprechenden Bedürfnisse der Kinder umgebaut. Damals wurden dort zwischen zehn und zwölf Kinder untergebracht. Inzwischen hat sich diese Zahl auf acht eingependelt. Hinzu kommt, dass durch neues und besser geschultes Personal die Qualität der Kinderversorgung über die Jahrzehnte deutlich verbessert wurde. Eine fundierte, fachspezifische Ausbildung hat zu einer großen Verbesserung in den Kinderheimen geführt. Auch das Modell einer "großen Familie" hat sich bewährt. Jungs und Mädchen wurden gemischt. Auch bei den Altersgruppen gibt es keine klare Trennung mehr."
 
"T": Immer wieder hört man von Problemen zwischen den leiblichen Eltern der Kinder und den Heimen. Woran liegt das? 

M.M: "Beim Thema Kinderheime befindet man sich immer in einem Dreiecksverhältnis: der familiäre Hintergrund des Kindes, die Heimgruppe und schlussendlich das Kind. Dies unter einen Hut zu bekommen, ist nicht immer ganz einfach. Gerade bei Kindern, die aus Schutzgründen aus dem eigentlichen Elternhaus herausgenommen werden mussten, ist dies schwer. 

Oftmals sind die Verhältnisse bei leiblichen Eltern nicht wirklich geklärt oder auch einfach nicht aufklärbar. Eheprobleme, Scheidungsfälle, sexuelle Gewalt und vieles mehr, führen zwischen Kinderheimen und leiblichen Eltern zu einem Konkurrenzdenken. Hier eine nüchterne Verbindung herzustellen, fällt schwer auch heute noch. Beide Parteien sehen sich leider immer noch als Feinde." 

"T": Wie begegnet man dieser Situation? 

M.M: "Dezentralisierung spielt hier eine wichtige Rolle. In den staatlichen Kinderheimen wurden eigens neue Strukturen aufgebaut, wo sich beide Parteien auf einem neutralen Boden treffen können. Sie sind dezentral organisiert und bieten den leiblichen Eltern und den Kindern einen geschützten Rahmen, um sich zu treffen. Hier haben die staatlichen Kinderheime eine ganz klare Vorreiterrolle. 

Das wird nicht nur im Süden Luxemburgs gemacht, auch im Norden des Landes, im ‘Parc Housen’, unweit von Hosingen. Ebenso in Schrassig im Gefängnis gibt es inzwischen solche Räumlichkeiten. Dies ist ein absolutes Pilotprojekt. Unter der Leitung des Direktors der staatlichen Kinderheime, Rene Schmit, ist in der letzten Zeit viel passiert. 

Man hat es inzwischen verstanden, dass die Kinder nicht einfach nur versorgt, sondern auch therapeutisch aufgefangen werden müssen. Therapie darf nicht hinter verschlossenen Türen stattfinden, sondern muss in das alltägliche Leben des Kindes integriert werden. Hier sind die staatlichen Kinderheime auf einem guten Weg." 

Quelle: tageblatt, 5. Oktober 2009