Eine Modelleisenbahn habe er nie besessen, gesteht Claude Wiseler. Dafür schmückt nun ein hübsches TGV-Modell die Fensterbank im Büro des frisch gebackenen Transportministers. Claude Wiseler, bis dato für den Straßenbau zuständig, darf sich in den kommenden fünf Jahren auch um das Schienennetz kümmern. Der CSV-Politiker will eine Mobilitätskette schaffen, bei der die einzelnen Glieder harmonisch und kohärent ineinandergreifen, und bei der der Zug eine zentrale Rolle einnimmt.
Luxemburger Wort, Marc Schlammes
Luxemburger Wort: Welche Bedeutung kommt dem Schienenverkehr bei der Bewältigung eines stetig steigenden Verkehrsaufkommens zu?
Claude Wiseler: Dem Schienenverkehr kommt eine immense Bedeutung zu. Dies erklärt sich allein aus der Tatsache, dass kein anderes Verkehrsmittel über ein derart großes Fassungsvermögen verfügt. Bei der Bewältigung des Verkehrsvolumens dürfen unsere Anstrengungen aber nicht ausschließlich dem Zug gelten. Der öffentliche Transport als Ganzes muss in den kommenden Jahren prioritär behandelt werden. Nur so kann die Mobilität von morgen gewährleistet werden. Ich nenne es die Mobilitätskette, wo die einzelnen Glieder ineinandergreifen müssen und wo der Schienentransport eine zentrale Funktion einnimmt.
Luxemburger Wort: Wie realistisch ist nach Ihrer Einschätzung die Zielsetzung, bis 2020 ein Viertel aller Verkehrsbewegungen durch den öffentlichen Transport zu bewältigen?
Claude Wiseler: Es ist ein Ziel, auf das wir mit vollem Einsatz hinarbeiten. Natürlich wird die Verwirklichung von sich verändernden Mobilitätsgewohnheiten abhängen, und auch die Entwicklung des Landes wird eine Rolle spielen. Fest steht aber, dass die Zielsetzung 25/75 umso mehr eine Verpflichtung darstellt, als der Verkehr infolge der Entwicklung Luxemburgs zunimmt.
Luxemburger Wort: Aber eigentlich steht und fällt der "modal split" doch mit dem Finanzierungsvorbehalt, den die neue Regierung ausgesprochen hat.
Claude Wiseler: Der Finanzierungsvorbehalt gilt selbstverständlich in den nächsten Jahren bei allen Ausgaben. Wer etwas anderes sagt, der handelt unverantwortlich. Nun bedeutet Finanzierungsvorbehalt aber nicht, dass keine Investitionen mehr getätigt werden. Im Fonds du rail sind für 2010 Ausgaben über 240 Millionen Euro allein für Investitionen veranschlagt. Im Klartext bedeutet dies, dass dem öffentlichen Transport und der Schiene im Besonderen absolute Priorität bei der Investitionspolitik der kommenden Jahre eingeräumt wird.
Luxemburger Wort: Wie gedenken Sie in dem Zusammenhang, den Spagat zu schaffen zwischen der Investitionsnotwendigkeit einerseits und Haushaltszwängen andererseits?
Claude Wiseler: Wie schon gesagt, der Mobilität wird Vorrang eingeräumt. Konkret müssen wir demnach Sorge tragen, dass jene Infrastrukturarbeiten zuerst in Angriff genommen werden, ohne die die Mobilitätskette nicht funktioniert. Hier kommt dann auch die Landesplanung ins Spiel, die, so will es das IVL, ein harmonisches Miteinander von Arbeiten, Wohnen und Sich-Bewegen schaffen muss.
Luxemburger Wort: Welche Vorhaben werden denn nun vorrangig verwirklicht?
Claude Wiseler: Priorität genießen die Fertigstellung der zweigleisigen Trasse Luxemburg-Petingen und der Ausbau der Strecke Luxemburg-Bettemburg, die heute schon einen hohen Auslastungsgrad aufweist. Zu den prioritären Projekten zähle ich auch die Vorstadtbahnhöfe, die Erschließung der Standorte Belval und Ban de Gasperich, die Neugestaltung des Nordausgangs am Hauptbahnhof Luxemburg usw. Da wird Tempo gemacht.
Luxemburger Wort: Für Luxemburg ist eine angemessene Anbindung an die ausländischen Streckennetze wichtig, Beispiel TGV-Est. Welche Verbesserungen dürfen in Richtung Brüssel, Liege und Straßburg erwartet werden?
Claude Wiseler: Der TGV-Est ist eine Erfolgsgeschichte. Ab Dezember wird der Fahrplan um eine sechste Tagesverbindung erweitert. Von französischer Seite wird nun mit der TGV-Anbindung von Straßburg die zweite Etappe in Angriff genommen, wobei über eine mögliche zusätzliche finanzielle Beteiligung Luxemburgs verhandelt wird. Was die Brüsseler Strecke angeht, sollte nach Beendigung der Arbeiten ein Zeitgewinn von 20 Minuten zu erwarten sein. Dann müssen wir darauf bedacht sein, die Anbindung nach Liège in puncto Frequenzen und Fahrplanabstimmung zu pflegen, schließlich wird ab 2010 der TGV-Nord Köln und Paris via Liege verbinden. Mit der deutschen Seite laufen derweil Untersuchungen, um die Anbindung nach Saarbrücken zu verbessern; die Trasse nach Trier/Koblenz erfährt diese Verbesserung mit dem zweigleisigen Ausbau bei Igel.
Luxemburger Wort: Und beim Güterverkehr …
Claude Wiseler: Muss es darum gehen, im Hinblick auf den Ausbau der Logistikbranche günstige Voraussetzungen zu schaffen. Mit Lorry Rail, die "autoroute ferroviaire", die zwischen Bettemburg und Perpignan verkehrt, wurde bereits ein wichtiger Schritt getan. Daneben brauchen wir eine gute Zusammenarbeit innerhalb des Korridors Antwerpen-Lyon-Basel. Seit geraumer Zeit arbeiten wir beispielsweise an der Harmonisierung einzelner Standards.
Luxemburger Wort: Auf europäischer Ebene wurde in den vergangenen Jahren die Liberalisierung vorangetrieben. Wie gut sind Luxemburg und die CFL aufgestellt, um in einem offenen Markt zu bestehen?
Claude Wiseler: CFL cargo ist ein gutes Beispiel, wie sich auch ein kleines Land mit der Marktöffnung arrangieren kann. Mit allen Partnern konnte eine Lösung gefunden werden, die lebensfähig ist. Dass CFL cargo nun in Schwierigkeiten steckt, ist der allgemeinen Krise geschuldet. Das Unternehmen hat aber das Potenzial, sich eine strategische Position zu erkämpfen. Im Übri- gen erfolgen alle Weichenstellungen bei der Bahn mit Blick auf die Herausforderungen von morgen. In dem Sinn war es auch wichtig, dass Mitte des Jahres die Vereinbarungen für den Betrieb der Bahninfrastruktur sowie für den landesweiten und grenzüberschreitenden Zug- und Bustransport für 15 Jahre abgeschlossen wurden.
Luxemburger Wort: Das einst vom damaligen Transportminister Henri Grethen skizzierte Szenario, dass Luxemburg zwar immer über eine Eisenbahn verfügen werde, nicht unbedingt jedoch über eine CFL, werden wir also nicht erleben?
Claude Wiseler: Die nationale Eisenbahngesellschaft um ihren Generaldirektor Alex Kremer hat sich in jüngster Vergangenheit ganz gewissenhaft auf die Herausforderungen von morgen vorbereitet. In puncto Belegschaft, Material und Qualität ist die CFL heute gut aufgestellt. Das bedeutet wiederum nicht, dass man sich zu gegebenem Moment vor notwendigen Anpassungen sträubt. Ich bin jedenfalls zuversichtlich.
Quelle: Luxemburger Wort, 3. Oktober 2009, Marc Schlammes
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